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Dagmar Deckstein
Skatrunde statt Tarifpoker
Beobachtungen am Rande der
Tarifkämpfe
Dass Frauen in der bundesrepublikanischen Tarifkampfgeschichte
eine relativ untergeordnete Rolle spielen, ist wohl
hinlänglich bekannt. Weder auf Arbeitgeber- noch auf
Gewerkschaftsseite erklimmen sie Spitzenämter, in denen sie
sich in und nach zähem Feilschen um Lohnprozente so richtig in
Szene setzen können.
Aber keine Regel ohne Ausnahme. So wie die ebenso resolute wie
streitbare Chefin der längst in ver.di aufgegangenen
ÖTV.
Monika Wulf-Mathies, von 1982 bis 1994 Vorsitzende der
Gewerkschaft "Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr",
zoffte sich schon mit einigen Bundesinnenministern um jenen
"ordentlichen Schluck aus der Pulle" - für eine stets
kampfbereite Armada der Müllmänner,
Straßenbahnfahrer oder Krankenschwestern. Keine Frage, dass
über "die Moni", wie sie von den ÖTV-Mitgliedern
liebevoll genannt wurde, auch die eine oder andere Anekdote die
Runde machte. Ihrer Weiblichkeit ist zum Beispiel die
"Knietätschel"-Geschichte geschuldet. Die hat sich so
zugetragen: Monika Wulf-Mathies und Bundesinnenminister Friedrich
Zimmermann, CSU, hatten sich in der Phase des Endspurts im
Tarifpoker 1988 für den öffentlichen Dienst vom
traditionellen Verhandlungsort, dem Degerlocher Waldheim am
Fuße des Stuttgarter Fernsehturms, zurückgezogen. Das
entscheidende Spitzengespräch unter vier Augen wurde im nahen
Edelrestaurant "Fässle" fortgesetzt. Es ging wie immer um
Löhnerhöhungen und die letzten, minimalen Dezimalzahlen
hinterm Komma. Da soll der CSU-Mann der ÖTV-Frau
plötzlich das Knie getätschelt und gefragt haben: "Na
Mädel, gibst dir 'nen Ruck?"
Der Wahrheitsgehalt dieser Schnurre wurde vonWulf-Mathies heftig
abgestritten. Welch einen Eindruck machte das auch vor der
kampferprobten Basis, wenn ihre Chefin auf dem Höhepunkt des
Tarifpokers weiche Knie bekäme?
Es menschelt also allenthalben in diesem Geschäft, in
dessen genaue Abläufe die Öffentlichkeit so wenig
Einblick erhält wie ins vatikanische Konklave. Wie sehr,
konnte das Publikum in den Jahrzehnten großer und kleiner
Tarifschlachten spätestens an den heimi-schen Fernsehern
ermitteln: Sie zeigten tagein, tagaus sichtbar abgekämpfte,
graugesichtige und unrasierte Recken von Arbeitgeber- und
Gewerkschaftsseite, die im Morgengrauen nach durchverhandelter
Nacht vor die Kameras treten. "Wir haben einen Abschluss er-zielt,
den wir angesichts der harten Arbeitgeberhaltung gerade noch
vertreten können." Mit solchen Statements galt es vor allem
der eigenen Klientel zu signalisieren, man habe sich für ihre
Interessen bis an den Rand der Erschöpfung verkämpft und
sich vom tarifpolitischen Gegner selbstredend nicht über den
Tisch ziehen lassen.
Nicht nur den draußen wartenden Journalisten, die solch
heiße Tarifnächte unter Zuhilfenahme vieler Tassen Kaffee
und gerne auch Skatblättern zu überstehen trachteten,
drängte sich hin und wieder ein Verdacht auf. Könnte es
ein, dass die Tarifkämpfer hinter den verschlossenen
Türen schon weit vor Mitternacht einig geworden sind? Dass sie
die Zeit bis zum ersten Hahnenschrei vielleicht ebenso Skat
spielend tot geschlagen hatten, um den Eindruck ihres harten
Feilschens bis zum Letzten nicht zu gefährden?
Einer, der es wissen muss, ist Walter Riester. Seit 1980
prägte der Tarifexperte der IG Metall so manchen
zukunftsweisenden Branchenabschluss - bis ihn Bundeskanzler Gerhard
Schröder 1998 als Arbeitsminister nach Berlin holte. Das ist
der heutige SPD-Bundestagsabgeordnete seit 2002 zwar nicht mehr,
aber nach wie vor gilt er als wandelndes Lexikon der
Tarifgeschichte.
Aus den vielen durchkämpften Tarifnächten, die er
schon mit wechselnden Kontrahenten auf Arbeitgeberseite hinter sich
gebracht hat, kondensierte er diese eine grundlegende Erkenntnis:
Ein Tarifabschluss ist immer das Ergebnis eines
psychologisch-dynamischen Prozesses. Manchmal müssen die
Unterhändler am Verhandlungstisch alle Nase lang die Sitzung
unterbrechen, um ihren in den Hinterzimmern der Kongresshotels
lauernden "Lagern" diesen Kompromissvorschlag oder jenes beinharte
"Nein" des Gegners zu überbringen. Je besser aber "die Chemie"
zwischen den beiden Verhandlungsführern von Arbeitgeber- und
Gewerkschaftsseite stimmt, desto geschmeidiger gestaltet sich
dieser Prozess.
Das haben das Traum-Duo Walter Riester und Dieter Hundt, der
heutige Arbeitgeber-Präsident, oft genug bewiesen. Und von
solchen chemischen Verhältnissen spricht auch der letzten
Metallerstreik anno 1995 eine beredte Sprache: Der Tarifstreit
eskalierte, weil Gewerkschafter Werner Neugebauer und
Arbeitgebervertreter Rainer Hildmann einfach nicht miteinander
konnten. Das kommt davon, wenn man es in Bayern den
Baden-Württembergern, den ewig Erfolgreichen, mal zeigen will.
Am Ende mussten wieder Riester und Hundt ran, um die bayerischen
Kohlen aus dem Feuer zu holen.
Skat spielen sie also nicht, die Tarifrecken der langen
Nächte. Aber manchmal trinken sie Champagner. 1992, erinnert
sich Riester, ließ er die Metallrunde am späteren Abend
für eine Weile unterbrechen. Aber nicht, weil die Fronten
festgefahren gewesen wären, sondern weil des Schwabens Dieter
Hundt Leib- und Magenverein, der VfB Stuttgart, vor wenigen Minuten
Deutscher Fußballmeister geworden war. "Da habe ich Herrn
Hundt herzlich gratuliert, und wir leerten zusammen eine Flasche
Champagner auf den Sieg." Unbemerkt von ihren draußen
harrenden Entouragen, versteht sich.
Dagmar Deckstein ist Redakteurin bei der "Süddeutschen
Zeitung" in München.
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