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Alfons Frese
Angriff der Arbeitgeber auf den "Irrtum der
Geschichte"
Die Modernisierung der Mitbestimmung heißt
Beschneidung
Sie meinen es doch nur gut, die Arbeitgeber. Sie
wollen "das deutsche Mitbestimmungssystem mit seinem weltweit
höchsten gesetzlichen Gesamt- und Einzelmitbestimmungsniveau
aus seiner Isolation befreien". Doch wenn sich die deutsche
Mitbestimmung auf internationales Niveau begibt, dann werden die
Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer kräftig beschnitten. Und
zwar im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaften die
"Arbeitnehmerbank" und auf der betrieblichen Ebene die Stellung der
Betriebsräte.
Die Ausgangslage für den Angriff der
Arbeitgeber ist günstig. Rückenwind kommt von der EU, die
mit der europäischen Aktiengesellschaft und der
Fusionsrichtlinie Maßstäbe auch für die
Mitbestimmung setzt. Der Gegner ist so schwach wie lange nicht
mehr: Die Gewerkschaften verlieren Jahr für Jahr
Hunderttausende Mitglieder und müssen sich in allen
möglichen Branchen gegen Angriffe auf die tariflichen
Standards wehren. Und so schoss im vergangenen Herbst der damalige
Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI),
Michael Rogowski, schweres Geschütz ab. Als "Irrtum der
Geschichte" qualifizierte Rogowski die deutsche Mitbestimmung. Kurz
darauf legte der BDI gemeinsam mit der Bundesvereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) einen Bericht zur
Modernisierung der Mitbestimmung vor. Ziel der Studie: "Deutschland
als Standort attraktiver machen." Das entscheidende Instrument
dazu: Unternehmen und Arbeitnehmervertreter sollten Art und Umfang
der Mitbestimmung innerhalb eines gesetzlichen Rahmens künftig
frei vereinbaren können. "Die große Vielfalt
unterschiedlicher Unternehmen erfordert unterschiedliche
Partizipationsformen", sagt Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt
und spricht von "mehr partnerschaftlicher Verantwortung". Für
den DGB führt das zur Abschaffung der paritätischen
Mitbestimmung im Aufsichtsrat, was wiederum einer "Restauration
altmodischer Machtverhältnisse" gleichkomme. Die Bewertung der
Vorschläge der Kommission Mitbestimmung durch den DGB-Vorstand
ist entsprechend deutlich: "Unter dem Deck-mantel von Reformen
betreiben BDA und BDI die Demontage sowohl der betrieblichen
Mitbestimmung wie auch der Unternehmensmitbestimmung und sogar der
Tarifautonomie." Einvernehmen besteht zwischen den Sozialpartner
immerhin in der Einschätzung, dass die Mitbestimmung vor dem
Hintergrund der Globalisierung "weiterentwickelt werden muss". Aber
wie?
Ein Kenner der Materie soll es richten.
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat Kurt Biedenkopf (CDU)
mit der Leitung einer Regierungskommission zur Mitbestimmungsreform
berufen, damit "das bewährte System der deutschen
Mitbestimmung bewahrt und in Europa gesichert werden kann", wie ein
Regierungssprecher den Auftrag formuliert. Acht Experten, jeweils
drei Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter sowie zwei
Wissenschaftler, sollen den früheren sächsischen
Ministerpräsidenten unterstützen. Biedenkopf befasste
sich bereits Ende der 60er Jahre im Auftrag des damaligen
Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger mit dem Thema. Von seiner
Expertise floss einiges in das Mitbestimmungsgesetz von 1976 ein.
In rund 760 deutschen Kapitalgesellschaften wird das Gesetz
angewendet - zum Nachteil des Standorts Deutschland, wie etwa der
FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle meint, "weil ausländische
Investoren auch deshalb einen Bogen um Deutschland machen".
Jürgen Schrempp, Vorstandsvorsitzender der Daimler-Chrysler
AG, widerspricht. "Wer behauptet, dass die Mitbestimmung
schädlich für Investitionen in Deutschland sei, liegt
falsch." Schließlich behalte ja das Kapital nach wie vor das
letzte Wort: Wenn es zu einem Patt im Aufsichtsrat kommt, hat der
Aufsichtsratsvorsitzende, den die Kapitalseite stellt, die
entscheidende Doppelstimme.
Aus Europa kommt Druck auf das deutsche
System. Seit einigen Monaten ist die Regelung über die
Europäische Aktiengesellschaft in Kraft. Danach richtet sich
die Stärke der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nach dem
Ergebnis einer Verhandlung zwischen der Unternehmensleitung und
Arbeitnehmervertretern. Scheitern die Verhandlungen, greift bei
deutscher Beteiligung im Rahmen einer Fusion die paritätische
deutsche Mitbestimmung - sofern mindes-tens ein Viertel der
Belegschaft in Deutschland arbeitet. Wird eine Holding oder eine
Tochtergesellschaft gegründet, müssen mindestens 50
Prozent der Arbeitnehmer deutsch sein, damit es weiterhin
gleichberechtigt zugeht. Ansonsten stellen die
Arbeitnehmervertreter bei Unternehmen mit mehr als 500
Beschäftigten ein Drittel der Aufsichtsräte. Das alles
betrifft Unternehmen mit einer dualistischen Führung, also mit
einem Vorstand und einem Aufsichtsrat. Wird die Firma monistisch
geführt, also allein durch einen Verwaltungsrat, gibt es
für die Arbeitnehmer lediglich einen Konsultationsrat als
Beteiligungsorgan.
Für die EU-Fusionsrichtlinie, an die
derzeit in Brüssel letzte Hand angelegt wird, gilt im Prinzip
die Drittelparität, sofern in den Verhandlungen keine andere
Lösung herausspringt. Bis spätestens 2008 muss die
Fusionsrichtlinie in nationales Recht umgesetzt werden - und genau
in diesem Kontext streben die Arbeitgeber die Veränderung der
deutschen Mitbestimmung nach europäischem Vorbild an: Weg von
der paritätischen Besetzung des Aufsichtsrats, hin zur
Drittelparität. Welche Bündnispartner sie dafür
finden werden, ist offen. Die FDP hat sich als einzige deutlich in
Sinne der Arbeitgeber positioniert. Die Union hält sich bei
der Mitbestimmung über den Aufsichtsrat bedeckt, will aber die
Reform des Betriebsverfassungsgesetzes von 2001
rückgängig machen. Die Forderung von Arbeitgeberseite,
künftig keine Gewerkschaftsvertreter mehr im Aufsichtsrat
zuzulassen, weist der arbeitsmarktpolitische Sprecher der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karl-Josef Laumann, zurück. "Ich
halte nichts davon, wenn im Aufsichtsrat nur noch Mitarbeiter eines
Unternehmens und keine Gewerkschaftsvertreter mehr sitzen
dürfen."
Ulrich Jürgens, Mitarbeiter am
Wissenschaftszentrum Berlin, hat die Aufsichtsratsarbeit untersucht
und kommt zu dem Ergebnis, dass in einem Aufsichtsrat, "der den
neuen Herausforderungen an die Kontroll- und Beratungsaufgabe
gerecht werden will, alle Wissensarten hinreichend präsent
sein müssen": das "interne Organisationswissen" der
Arbeitnehmer, das politische und fachliche,
branchenübergreifende Wissen der Gewerkschaftsvertreter und
schließlich das Fachwissen der leitenden Angestellten. Da die
Wirtschaftsabläufe sich beschleunigen, sind auch schnellere
Entscheidungen erforderlich, was wiederum eine kompetente und
zielführende Kooperation im Aufsichtsrat erfordert. Aber, so
hat jedenfalls Jürgens festgestellt, bei der Kooperation und
Koordination "gibt es Nachholbedarf". Es fehle in den
Aufsichtsratssitzungen "eine ausgeprägte
Diskussionskultur".
Das fällt indes nicht mehr groß ins
Gewicht, wenn die Arbeitnehmervertreter eh nur noch am Katzentisch
sitzen. Aber ist das gut für die Unternehmen und den Standort
Deutschland? Wolfgang Streeck, Direktor des Max-Planck-Instituts
für Gesellschaftsforschung in Köln, hat Zweifel.
"Für die Belegschaften war die Mitbestimmung auf
Unternehmensebene der sichtbarste Ausdruck dafür, dass sie,
zumindest als organisierte Gruppe, nunmehr mit denen, die über
ihre Arbeitsplätze und damit über ihr Leben entschieden,
auf gleicher Augenhöhe sprechen konnten." Streeck bewertet die
Einschränkung der Mitbestimmung als eine Botschaft an die
Beschäftigten, dass man ihnen und ihren gewählten
Vertretern nicht mehr zutraut, kompetent über das Schicksal
ihres Unternehmens mitzuentscheiden: "In einer Zeit, in der es mehr
denn je darauf ankommt, dass Belegschaften sich mit ihrem
Unternehmen identifizieren, könnte eine solche Botschaft
fatale Folgen haben."
Alfons Frese ist Redakteur beim "Tagesspiegel" in
Berlin.
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