|
|
Stephan Israel
Eine deutsche Debatte um ein deutsches
Modell
Im Sommer verabschiedet das EU-Parlament die
Fusionsrichtlinie
Das vorläufig letzte Kapitel im Jahre
langen Streit um den Export des deutschen Modells der
Arbeitermitbestimmung wird gerade geschrieben: Noch vor der
Sommerpause wird das EU-Parlament die so genannte Fusionsrichtlinie
verabschieden, in der auch die Frage der Mitbestimmung nach
grenzüberschreitenden Unternehmenszusammenschlüssen
geregelt wird. Macht nun Mitbestimmung "Made in Germany" europaweit
Schule oder hebelt Brüssel im Gegenteil das
arbeitnehmerfreundliche Modell Deutschlands aus?
Beide Erwartungen beziehungsweise
Befürchtungen erweisen sich als übertrieben. Konservative
Parteien und Arbeitgeber in Deutschland hatten gehofft, die
paritätische Mitbestimmung auf dem Umweg über
Brüssel auch zu Hause zurückdrängen zu können.
Regierung und Gewerkschaften wollten umgekehrt einen möglichst
weitgehenden Export des Modells. Sie wollten verhindern, dass die
Mitbestimmung über EU-Regelungen aufgeweicht wird. Die
Fusionsrichtlinie wird den Export der deutschen
Arbeitermitbestimmung in engen Grenzen erlauben. Die Regierungen
der 25 Mitgliedstaaten und der Rechtsausschuss des EU-Parlaments
haben dem Kompromiss bereits zugestimmt. Dieser sieht vor, dass bei
grenzüberschreitenden Fusionen die Vorgaben des
Herkunftslandes gelten.
Stammen die fusionierenden Unternehmen aus
Ländern mit unterschiedlich hohem Mitbestimmungsniveau, sollen
Konzernleitung und Arbeitnehmer versuchen, das Maß der
Vertretung auszuhandeln. Kommt keine Einigung zustande, bleibt im
Falle eines deutschen Unternehmens die paritätische
Mitbestimmung nur dann erhalten, wenn mindestens ein Drittel der
Belegschaft aus Deutschland stammt. Steuert der deutsche Teil des
fusionierten Unternehmens weniger Arbeitskräfte bei, kann die
Mitbestimmung ganz wegfallen. Deutschland war zuletzt mit der
Forderung gescheitert, die Schwelle für den Export des
Mitbestimmungsmodells niedriger zu halten. Eine Übernahme des
paritätischen Modells sollte schon möglich sein, wenn nur
ein Viertel der Beschäftigten im fusionierten Unternehmen in
Deutschland tätig ist. Man hatte sich dabei an der Vorgabe der
Richtlinie zur so genannten Europa AG orientiert. Dort war die
Hürde mit 25 Prozent tiefer angesetzt worden. Im EU-Parlament
wollen sich die Sozialdemokraten noch einmal für die
arbeitnehmerfreundlichere Schwelle stark machen. Der Export des
deutschen Modells unterliegt aber ohnehin einer weiteren
Einschränkung.
EU-Mitgliedstaaten wie Großbritannien
oder Italien, in denen Aufsichtsrat und Vorstand in einem Gremium
zusammengefasst sind, können den Einfluss der Arbeitnehmer per
Gesetz auf ein Drittel begrenzen. Der Streit um die Mitbestimmung
ist in Brüssel eine weitgehend deutsche Debatte geblieben. Die
EU-Kommission wird dabei in der Rolle des Sündenbocks
dargestellt, die sich den Kampf gegen die Mitbestimmung auf die
Fahne geschrieben habe. Dabei ist die Kommission als Hüterin
der EU-Verträge neben Ministerrat der Regierungen und dem
EU-Parlament nur eine von drei Institutionen, die im Fall der
Fusionsrichtlinie mitreden konnten.
EU-Kommission als Sündenbock
Widerstand gegen den deutschen Export kommt
vor allem von Mitgliedstaaten, in denen die Mitbestimmung nicht
verbindlich ist, und die befürchten mussten, dass ihre
Unternehmen gezwungen werden könnten, obligatorische
Mitbestimmungsrechte einzuführen.
In 18 der 25 EU-Mitgliedstaaten ist
Mitbestimmung gesetzlich geregelt. Die drei baltischen Staaten,
Zypern, Großbritannien, Italien und Belgien kennen keine
verpflichtende Arbeitnehmermitsprache. Bei der Kommission
bestreitet man, einen Vorbehalt gegen die Mitbestimmung zu haben.
Die Kommission hatte sich ursprünglich für eine
arbeitnehmerfreundlichere Lösung ausgesprochen als sie jetzt
dem Parlament vorliegt. Mitbestimmung dürfe aber kein
Hindernis für grenzüberschreitende Fusionen von
Unternehmen darstellen. Die Kommission plädiert in einem
Papier: "Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer sollte nicht als
Hemmnis angesehen werden." Sie könne zum Erfolg des
Unternehmens beitragen. Auch Interessenvertreter der Gewerkschaften
in Brüssel bestreiten, dass Firmen mit paritätischer
Mitbestimmung im globalen Wettbewerb oder etwa bei Fusionen
benachteiligt seien. Zumindest gebe es dafür keine
wissenschaftlich erhärteten Erkenntnisse. Es gebe auf der
anderen Seite Unternehmen, die der Frage der Arbeitermitsprache
misstrauisch gegenüber stünden, gesteht die Kommission
ein.
Die Richtlinie biete die Möglichkeit,
mit Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten zu fusionieren, was
früher nicht ohne beachtliche Schwierigkeiten möglich
gewesen sei. Unternehmen und Arbeitnehmer hätten neu die
Möglichkeit, neue Mitbestimmungsvereinbarungen auszuhandeln,
die sich von den in ihren Unternehmen bestehenden Regeln
unterscheiden. Nur wenn keine Einigung erzielt werde, komme als
Auffanglösung die Regelung des Mitgliedstaats mit den
strengsten Anforderungen zum Zug. Aus der Sicht der Kommission ist
die Fusionsrichtlinie ein großer Schritt vorwärts. Auch
Klaus-Heiner Lehne (CDU), Berichterstatter des Europäischen
Parlamentes und rechtspolitischer Sprecher der EVP-ED-Fraktion,
spricht von einen "ausgewogenen Kompromiss, der die verschiedenen
Vorstellungen in der EU unter einen Hut bringt". Das Modell der
Drittelparität sei in vielen mittel- und osteuropäischen
Staaten verbreitet. Lehne sieht in dieser Lösung auch einen
Beitrag zur aktuellen Diskussion um die Zukunft der
Arbeitnehmermitbestimmung in Deutschland. "Wir sollten die Augen
vor attraktiven Modellen unserer EU-Partner nicht
verschließen."
Die Debatte über die paritätische
Mitbestimmung ist auf dem Umweg über Brüssel wieder in
Deutschland angekommen. Doch auch in Brüssel dürfte die
Mitbestimmung auf dem Tisch und unter Druck bleiben. Die
Fusionsrichtlinie sei nur das Vorspiel für ein weiteres
europäisches Gesetz, vermutet ein Gewerkschaftsvertreter in
der EU-Hauptstadt: Eine so genannte 14. Richtlinie soll nach
ähnlichem Muster grenzüberschreitende
Firmensitzverlegungen von Unternehmen erleichtern. Damit wäre
der Flucht aus starken Mitbestimmungssystemen endgültig
Tür und Tor geöffnet.
Stephan Israel ist EU-Korrespondent in Brüssel für die
NZZ am Sonntag.
Zurück zur Übersicht
|