Norbert Kluge
Beteiligung gehört in Europa dazu
Die Mitbestimmung ist ein Kernelement der
europäischen Demokratie
In den meisten europäischen
Mitgliedsstaaten haben Arbeitnehmer das Recht, in den obersten
Verwaltungs- und Führungsorganen von Unternehmen ihre
Interessen vertreten zu können – nur
Großbritannien, Belgien und Italien und die drei neuen
EU-Staaten des Baltikums und Zypern machen Ausnahmen. In der Praxis
sind jedoch selbst dort Beispiele der Arbeitnehmerbeteiligung auf
höchster Ebene anzutreffen. Arbeitnehmerbeteiligung auf
Unternehmensebene gehört daher, wenig verwunderlich, zu den
Kernelementen der rechtlichen Grundausstattung von Europas
Demokratie. Nach Art. II-87 der kommenden Europäischen
Verfassung haben Arbeitnehmer das individuelle Grundrecht auf
Information und Konsultation. Die Europäische Sozialcharta von
1961 erwähnt in Artikel 2 des Protokolls zusätzlich das
Recht auf Mitwirkung.
In der europäischen Geschichte nach dem
Zweiten Weltkrieg gab und gibt es einen politischen Konsens,
dass rechtlich abgesicherte Arbeitnehmerbeteiligung Ausdruck
gesellschaftlich verantwortlichen Wirtschaftens darstellt. Wegen
der sehr unterschiedlichen Ausprägungen und Auffassungen
über den generell akzeptierten Weg demokratischer Kontrolle
wirtschaftlicher Vorgänge dauerte es allerdings mehr als 30
Jahre, ehe mit der Direktive zur Arbeitnehmerbeteiligung in der
Europäischen Aktiengesellschaft (SE=Societas Europee) vom
Oktober 2001 eine gangbare Lösung gefunden wurde. Die
universellen Herausforderungen global offener Kapitalmärkte
und anspruchsvoller mobiler Investoren treffen bis heute in Europa
auf historisch sehr unterschiedliche Traditionen.
In Europa werden zwei Grundsysteme der
Unternehmensführung unterschieden: Das so genannte
?monistische System“, in dem Kontrolle und Ausführung
von Managemententscheidungen nicht getrennt sind, sowie das so
genannte dualistische System, wie man es in Deutschland, wo
Geschäftsführung und Aufsichtsrat getrennt sind, kennt.
Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sind gleichberechtigte
Mitglieder neben den Vertretern der Unternehmenseigner.
Vergleichbar unterliegen Arbeitnehmervertreter in den
Vorständen der monistisch geführten Unternehmen ebenso
den gleichen Rechten und Pflichten wie die anderen
Direktoren.
In keinem System können Vertreter der
Arbeitnehmer die Eignerseite majorisieren. Ihre enge
gewerkschaftliche Bindung der Arbeitnehmervertreter ist nichts
Ungewöhnliches: Während die deutsche Mitbestimmung in
großen Gesellschaften mit mehr als 2.000 Arbeitnehmern sowie
in den Unternehmen der Montanindustrie mit mehr als 1.000
Beschäftigten eine begrenzte Anzahl von externen
Aufsichtsratsmitgliedern auf der Arbeitnehmerbank kennt, die von
den Gewerkschaften selbst gestellt werden, können in
schwedischen Unternehmen nur Arbeitnehmervertreter ins Direktorium
gelangen, die von den gewerkschaftlichen Mitgliedern eines
Unternehmens gewählt wurden.
Die Aufgabe der Arbeitnehmervertreter
unterscheiden sich in beiden Systemen kaum voneinander. Sie
überwachen die Geschäfte, beteiligen sich an der
Bestellung und Abberufung geschäftsführender Direktoren
und nehmen grundsätzlichen Einfluss auf Investitionen mit
strategischer Bedeutung fürs Unternehmen. Mitbestimmung
bedeutet letztlich, dass die Interessen der Arbeitnehmer
systematisch bei der Führung von Unternehmen
berücksichtigt werden müssen und Entscheidungen des
Managements in dieser Hinsicht begründungspflichtig sind.
Durch die SE-Direktive könnte ein Schwachpunkt der
Arbeitnehmerbeteiligung auf Unternehmensebene bald der
Vergangenheit angehören: Nicht nur Arbeitnehmervertreter, die
von nationaler Ebene dazu berechtigt sind, können die
Interessen ihrer Kollegen aus anderen Ländern mitvertreten.
Eine europäisch zusammengesetzte und legitimierte
Interessenvertretung kann dann auf gleicher Augenhöhe der
(polyglotten) Leitung grenzüberschreitend operierender
Konzerne gegenüber treten.
Norbert Kluge ist Sozialwissenschaftler am Europäischen
Gewerkschaftsinstitut in Brüssel und leitet dort das Projekt
SEEUROPE zur Arbeitnehmerbeteiligung in der Europäischen
Aktiengesellschaft.
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