Michaela Hoffmann
Weder einzigartig, noch ein Exportschlager
Das deutsche System der Mitbestimmung im
internationalen Vergleich
Der Mann hat keinen leichten Job. Daheim
verteufelt die SPD ausländische Investoren als
gefräßige Heuschrecken. Derweil soll Jürgen Weber
Topmanagern in Übersee den Standort Deutschland schmackhaft
machen.
Als einer der Bundesbeauftragten für
Auslandsinvestitionen trommelt der Vorsitzende des
Lufthansa-Aufsichtsrats heftig für Good Old Germany - vor
wenigen Wochen erst wieder in Detroit. Tolle Reformen gebe es
hierzulande, schwärmte Weber, flexible Arbeitnehmer und bald
auch sinkende Steuern. Mit einem Thema jedoch hatte es der
Chefverkäufer Deutschlands schwer: "Die Präsenz von
Gewerkschaften in den Aufsichtsräten", sagt Weber, "ist
niemandem in Amerika zu vermitteln, und daran müssen wir auch
etwas ändern."
Mit dieser Forderung steht der
Lufthansa-Manager nicht allein. Nirgendwo sind Gewerkschaften und
Betriebsräte so mächtig wie hierzulande, klagen die
Wirtschaftsverbände. Ineffizient und teuer sei die deutsche
Mitbestimmung, wettern sie, und obendrein ein Inves- titionshemmnis
erster Güte. Alles Unsinn, halten Gewerkschafter und
Sozialpolitiker dagegen: Kein Land der Welt biete Unternehmern
einen derartigen sozialen Frieden. Die deutsche Teilhabe-Kultur
werde von anderen sogar abgekupfert.
Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte.
"Weder einzigartig noch ein Exportschlager" sei die deutsche
Mitbestimmung, sagt Martin Höpner vom Max-Planck-Institut
für Gesellschaftsforschung. Der Kölner Wissenschaftler
hat die Mitbestimmung in den Aufsichtsräten einerseits
(Unternehmensmitbestimmung) und die Rechte der Betriebsräte
andererseits (betriebliche Mitbestimmung) innerhalb der EU
untersucht. Sein Ergebnis: Mitbestimmte Leitungsgremien sind keine
deutsche Eigenart, bei der Mehrheit der EU-Länder werden
Arbeitnehmervertreter in die Konzernspitze einbezogen.
Da Unternehmen von Land zu Land sehr
unterschiedlich strukturiert sind, ist ein Vergleich der
Mitbestimmungssysteme schwierig. So kennen nicht alle eine
Doppelspitze mit Vorstand und Aufsichtsrat, häufig gibt es nur
ein Leitungsgremium. Dort mitreden zu können, bedeutet eine
gehörige Portion Einfluss auf das operative Geschäft
für die Mitarbeiter, auch wenn es nur einige Wenige
sind.
Zum Beispiel in Skandinavien: In Schweden
entsenden die Gewerkschaften zwei Mitglieder mit vollem Stimmrecht
in den Verwaltungsrat in Unternehmen mit mehr als 25
Beschäftigten. Bei mehr als 1.000 Mitarbeitern sind es sogar
drei. Ähnliche Regeln finden sich in Norwegen und Finnland. In
Dänemark stellen die Arbeitnehmervertreter sogar die
Hälfte der Verwaltungsräte, allerdings existiert
gleichzeitig ein Direktorium an der Unternehmensspitze. In den
Niederlanden genießt der Betriebsrat gewissermaßen ein
Vorschlagsrecht für ein Drittel der Mitglieder des
Aufsichtsrats.
Wenig Einfluss haben dagegen die
Arbeitnehmervertreter in Frankreich. Sie sitzen zwar im
Verwaltungsrat mit am Tisch, sind aber keine ordentlichen
Mitglieder und haben kein Stimmrecht.
Ganz anders Österreich: Ein Drittel der
Aufsichtsratssitze wird dort von den Mitarbeitern besetzt, die eine
per Gesetz exakt definierte Reihe zustimmungspflichtiger
Geschäfte abnicken müssen.
Bemerkenswert ist auch die Entwicklung in den
osteuropäischen EU-Ländern. Sie haben sich fast durchweg
für das duale System aus Vorstand und Aufsichtsrat
entschieden. Wie in Deutschland sind ein Drittel der Kontrolleure
Arbeitnehmervertreter. Das gilt für Polen, die Tschechische
Republik, die Slowakische Republik und Ungarn. Nur Slowenien hat
sich weitergehend an Deutschland orientiert: In Unternehmen mit
mehr als 1.000 Beschäftigten werden die Aufsichtsräte
paritätisch besetzt.
Wenn es um die betriebliche Mitbestimmung
geht, fällt der Ländervergleich etwas anders aus. Das
Ergebnis Höpners: Österreichische, niederländische,
dänische und schwedische Arbeitnehmer können fast so viel
mitreden wie deutsche Betriebsräte. In Belgien, Finnland,
Frankreich, Norwegen und Griechenland ist die betriebliche
Mitbestimmung "auf mittlerem Niveau". Schwach sind die
Arbeitnehmervertreter in Großbritannien, Irland, Italien,
Spanien und der Schweiz. Und: Lange Zeit war mit der Mitbestimmung
an den jeweiligen Grenzen Schluss. Doch inzwischen dringt
Brüssel auf eindeutige EU-Regeln, wenn Firmen aus
verschiedenen Ländern fusionieren oder sich gegenseitig
kaufen. Kein leichtes Unterfangen, denn die Interessen der Staaten
sind sehr unterschiedlich. Länder mit wenig Mitbestimmung
fürchten, dass sich eine zu arbeitnehmerfreundliche
Lösung EU-weit ausbreiten könnte. Rot-Grün indes
kann sich in Brüssel mit Rücksicht auf die Gewerkschaften
nicht zu weit herunterhandeln lassen.
Die waren denn auch völlig empört,
als Wirtschaftsminister Wolfgang Clement Ende vergangenen Jahres
keine 100-Prozent-Lösung im deutschen Sinne für die
geplante Fusionsrichtlinie durchsetzen konnte. Ungeklärt ist,
welche Gesetze gelten, wenn zwei Unternehmen
grenzüberschreitend fusionieren. Scheitern in einem solchen
Fall die Verhandlungen von Unternehmensleitung und
Arbeitnehmervertretern, könnten deutsche Mitarbeiter schon
bald schlechter gestellt werden. Denn geplant ist Folgendes: Die
paritätische Mitbestimmung bleibt nur erhalten, wenn
mindestens 33 Prozent der Belegschaft aus Deutschland stammt - auch
wenn die neue Europa AG ihren Sitz hierzulande hat. Die hiesigen
Gewerkschafter hatten für einen Schwellenwert von 25 Prozent
gekämpft - und mussten zurückstecken.
Ähnlich frustrierend für IG Metall
und Co. endeten die Verhandlungen 1994 über den
Euro-Betriebsrat. Der ist zwar inzwischen Pflicht für die
Mehrzahl der Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern, die
EU-weit operieren, aber er genießt lediglich
Informationsrechte. Bayer etwa hat ein solches Gremium, oder auch
Siemens und VW. Der Autokonzern aus Wolfsburg ist sogar noch einen
Schritt weitergegangen. Dort haben Belegschaftsvertreter aus allen
internationalen Standorten einen Weltbetriebsrat ins Leben gerufen.
Ähnliche Pläne gibt es bei DaimlerChrysler.
Die Globalisierung von unten geht jedoch nur
schleppend voran. Denn außerhalb der EU wird Mitbestimmung
lange nicht so groß geschrieben. "In USA oder Japan gibt es
sie eigentlich gar nicht", sagt Roland Köstler vom
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut in der
Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf. In diesen
Ländern haben die Mitarbeiter keinen gesetzlichen Anspruch auf
eine unabhängige Vertretung. Zwar machen sich hier und dort
Gewerkschaften für Interessen der Belegschaft stark, dies
funktioniert aber eben nur dort, wo genügend Mitglieder
zusammenkommen.
Die unternehmerische Mitbestimmung sei
außerhalb der EU ebenfalls so gut wie kein Thema, berichtet
Köstler. Bei einem einjährigen Aufenthalt in Japan
erlebte er Ähnliches wie Lufthansa-Manager Weber: Nämlich
nur Kopfschütteln, wenn er berichtete, dass in Deutschland
Arbeitnehmer in Spitzengremien sitzen. Köstler: "Denen ist
unser System völlig unbegreiflich."
Michaela Hoffmann ist Parlamentskorrespondentin bei der
"Wirtschaftswoche".
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