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Werner Sauerborn
Eine selbst verschuldete Unmündigkeit
Die Gewerkschaften in der
Globalisierungsfalle
Auf eine Faustformel gebracht, ließe sich sagen: das
Abräumen gewerkschaftlicher Errungenschaften geht dreimal
schneller als ihre Durchsetzung brauchte. Das gilt für die
Mitgliederzahlen der Gewerkschaften, für ihre tarifpolitische
Bilanz bei Geld und Arbeitszeit, für ihre sozialpolitische
Errungenschaften und nicht zuletzt für ihr gesellschaftliches
Ansehen. Gäbe es einen Index für den Respekt, der den
Arbeitnehmerorganisationen von Politik, Wirtschaft und Medien
entgegengebracht wird, so würde sich die Faustformel auch hier
bestätigen.
Warum eigentlich? Bei Lichte besehen, vertreten die
Gewerkschaften die legitimen Interessen von
Bevölkerungsmehrheiten. Im ideologischen Wettkampf mit dem
Neoliberalismus würden sie bei jedem unbestochenen
Schiedsrichter einen klaren Punktsieg davon tragen. Die
gewerkschaftlichen Analysen haben sich bestätigt, während
die Therapien der Marktradikalen das glatte Gegenteil ihrer
Verheißungen zeitigen: die versprochene Kettenreaktion
Lohnverzicht/Sozialabbau - Gewinnsteigerung -
Investitionen/Wachstum - Arbeitsplätze/Wohlstand ist beim
zweiten Kettenglied hängen geblieben. Eine zunehmende Spaltung
der Gesellschaft in Arm und Reich ist das messbare Resultat, aber
weder Wachstum noch Beschäftigung. Die einfache Frage, mit
welchem Geld der deutsche Arbeitnehmer dann konsumieren soll,
bleibt unbeantwortet, ihre Ignorierung hat erst richtig in die
Wirtschaftskrise hineingeführt. Die Politik der
Arbeitszeitverlängerungen hat die Massenarbeitslosigkeit in
schwindelnde Höhen getrieben, weil sie eine Kompensation der
produktivitätsbedingten Erübrigung von Arbeit durch
Arbeitsumverteilung seit Jahren verhindert.
Warum hat nicht Erfolg, wer Recht hat? Weil Recht bekommen,
nicht vom Rechthaben abhängt, sondern von Macht und
Möglichkeit, in Interessenauseinandersetzungen das Recht oder
das Richtige auch durchsetzen zu können. Praktische
Erfahrungen mit der tatsächlichen Machtverteilung machen
Arbeitnehmer und Gewerkschaften täglich. Zum Beispiel, wenn
sich der Arbeitgeber eines durchaus hoch rentablen und
exportstarken Unternehmens an seinen Betriebsrat wendet und von ihm
ein "betriebliches Bündnis zur Standortsicherung" mit
Personalkostensenkungen von 20 Prozent fordert, weil man ansonsten
die anstehende Produktlinie in Rumänien oder China ansiedeln
werde. Nachdem ausgeschlossen werden konnte, dass es sich nur um
einen Bluff handelte, und einige kleinere Zugeständnisse
gemacht wurden, lenkt der Betriebsrat meist mit widerstrebender
Zustimmung der Gewerkschaft ein. Alternativen: keine. Sehr wohl war
man sich dabei bewusst, dass dies einen negativen Dominoeffekt
für den Flächentarifvertrag auslösen würde und
dass solche Standortsicherungsverträge makroökonomisch
irrational sind, weil sie eine weitere Schwächung der
Nachfrage bewirken.
Das mangelnde Bewusstsein war nicht das Problem, sondern die
reale Machtverteilung. Hinzu kommt für die Gewerkschaften die
desavouierende Ausstrahlung dieses Schlüsselkonflikts.
Politisch-programmatisch vertreten sie, zu Recht, das Prinzip
"Lohnverzicht schafft keine Arbeitsplätze", aber wenn es
darauf ankommt, beteiligen sie sich an Lösungen à la
"Lohnverzicht rettet Arbeitsplätze". Sie stimmen damit im
praktischen Handeln der Ideologie der Gegenseite zu, die sich mit
jedem medial ausgetragenen Einzelfall wunderbar reproduziert. Die
richtig gestellte Frage lautet also: Warum haben sich die
Machtverhältnisse so dramatisch zulasten der Gewerkschaften
verschoben?
Gewerkschaftliche Macht in der privaten Marktwirtschaft ist
immer nur mehr oder weniger Gegenmacht. Die Arbeitgeberseite hat
durch die Garantie des Privateigentums an Produktionsmitteln ein
machtpolitisches Prä, dem die Arbeitnehmer nur in dem
Maße ein Gewicht entgegensetzen können, wie sie die
Konkurrenz untereinander als Arbeitskraftanbieter auf dem
Arbeitsmarkt eingrenzen können. Jeder Einzelne ist dem
Arbeitgeber hoffnungslos unterlegen, auch die solidarisch
zusammenstehende Belegschaft eines Betriebs ist es noch. Erst eine
Koalition der Arbeitnehmer einer Branche ist in der Lage, der
Arbeitgeberseite Paroli zu bieten. Das Produkt dieser relativen
Machtbalance heißt Flächentarifvertrag - die Konkurrenz
der Unternehmen einer Branche um die niedrigsten Lohnkosten und
Sozialstandards wird ausgeschlossen, alle weiteren
Wettbewerbsdimensionen bleiben unangetastet.
Mit einem solchen Konsens, wie er den rheinischen Kapitalismus
prägte, konnten auch die Arbeitgeber gut leben. Die
ökonomische Globalisierung hat diesen relativen Frieden
gesprengt. Migration und Mobilität von ArbeitnehmerInnen sind
sprunghaft und grenzüberschreitend angestiegen. Wenn ein
deutsches Unternehmen die Option hat, einen Standort hier, in
Rumänien oder China anzusiedeln, wird die Arbeitskraft in
China, Rumänien und hier kostenmäßig direkt
vergleichbar, abrufbar und gegeneinander ausspielbar. Wenn
Dienstleistungsfreiheit hergestellt wird, geraten Ingenieure,
Ärzte oder IT-Spezialisten in Deutschland, Mallorca und Indien
in direkte Konkurrenz zueinander. Es ist also tendenziell ein nach
Branchen segmentierter Weltarbeitsmarkt entstanden.
Die Grenzen des Arbeitsmarkts, innerhalb derer die
Gewerkschaften die Arbeitnehmerkonkurrenz ausschalten müssen,
haben sich verschoben. Nationale Tarifverträge mögen sich
weiter Flächentarifverträge nennen und von den
Gewerkschaften unter diesem Motto verteidigt werden. De facto und
ökonomisch gesehen sind sie Tarifverträge in nationalen
Segmenten globaler Arbeitsmärkte - und können als solche
eben nicht mehr funktionieren. Die Arbeitgeber verabschieden sich
von einer solchen tariflichen Regulation, weil die Gewerkschaften
ihnen nicht mehr versprechen können, dass ihre Wettbewerber
auf dem gleichen Markt, von den gleichen - besser: vergleichbaren -
tariflichen Regelungen erfasst sind und damit ausgeschlossen ist,
dass sie sich über niedrigere Lohnkosten einen
Wettbewerbsvorteil verschaffen.
Das Kapital streift die nationalen Fesseln ab und verschiebt von
seiner globalen Handlungsebene aus die nationalen und lokalen
Machtverhältnisse. Der gewerkschaftliche
Handlungsrückstand beläuft sich auf inzwischen 15 bis 20
Jahre. Und das scheint es noch nicht gewesen zu sein: Von den Einen
in den Gewerkschaften wird die Globalisierung nach wie vor als
großer Bluff der Gegenseite abgetan, deren
Erpressungspotenzial mit Verweis auf die hohe Profitabilität
oder die großen Exporterfolge vom Tisch gewischt - sozusagen
nichts Neues seit Dschingis Khan. Von anderen wird Globalisierung
als Naturgesetz verstanden. Motto: Wo man nichts ändern kann,
muss man sich geschickt anpassen, nämlich mit einer sozial
geläuterten Standortlogik. Viel zu schwach entwickelt,
widersprüchlich und unzureichend betrieben sind Ansätze
wie europäische Tarifkoordination,
Euro-/Weltbetriebsräte, grenzüberschreitende
Kooperationen.
Es ist den Beteiligten gegenüber ungerecht, ihnen
ökonomischen Unverstand oder gar Verrat an den
gewerkschaftlichen Idealen vorzuwerfen. Wenn es eine Schuld am
Bedeutungsverlust der Gewerkschaften gibt, dann liegt er in ihrer
"selbst verschuldeten Unmündigkeit", die Veränderungen
ihrer Handlungsbedingungen - und damit eigentlich sich selbst - zu
verstehen.
Wenn die Gewerkschaften nicht noch weiter an Boden verlieren
wollen, werden sie sich mit nachholendem Tempo und höchster
Priorität und trotz der unendlich vielen unüberwindbar
scheinenden Schwierigkeiten an die Fersen des Kapitals heften und
sich selbst globalisieren müssen.
Werner Sauerborn arbeitet bei ver.di in Baden-Württemberg als
Referent für Grundsatzfragen.
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