|
|
Thomas Gesterkamp
Nomaden der Arbeit
Telearbeit setzt auf mobile Mitarbeiter und
geteilte Schreibtische
Der Name klingt irgendwie altmodisch, dabei
handelt es sich um eine durchaus innovative Arbeitsform: die
Telearbeit. Die mobilen Angestellten arbeiten überall, ob zu
Hause oder unterwegs. Im Büro müssen sie sich nur zu
bestimmten Zeiten blicken lassen. Ohne Telefon und Laptop
läuft da nichts - dafür sparen die Unternehmen Kosten
für Büroflächen und betriebliche Infrastruktur.
Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, ohne
Laptop unterwegs zu sein", sagt Klaus Niester. Der 37-jährige
Vertriebsingenieur hält sich nur selten an seinem offiziellen
Arbeitsplatz auf. Meist ist er nicht im Betrieb, sondern "auf
Achse" - oder er ist zu Hause. Jeden Morgen loggt sich Niester vom
heimischen Schreibtisch aus kurz in den Firmenrechner ein, um die
aktuellen Daten abzugleichen. Anschließend hat er einen
Überblick über laufende Termine und neue Nachrichten,
ohne einen einzigen Schritt vor die Tür gesetzt zu
haben.
Klaus Niester ist "alternierender
Telearbeiter": Er fährt nicht mehr zur Arbeit, stattdessen
kommt die Arbeit zu ihm. "Mein Büro ist überall dort, wo
ich mich gerade aufhalte." Per Handy und tragbarem Computer bleibt
er stets erreichbar. Er wechselt ständig seinen Arbeitsort,
pendelt zwischen Betrieb und Privatwohnung, sitzt im Zug, Auto oder
Flugzeug, arbeitet phasenweise auch beim Kunden. "Wenn unser ganzes
Team gleichzeitig im Büro antreten würde, würde der
Raum aus allen Nähten platzen", schmunzelt der Mobilarbeiter.
"Aber das kommt so gut wie nie vor."
Vorbild USA
Die Vertriebszentrale der Firma SAP in
Walldorf bei Heidelberg ist verwaist. Nur sechs Angestellte sitzen
hinter ihren Laptops. Für rund 60 Mitarbeiter des
größten deutschen Softwareunternehmens ist das
Großraumbüro zentrale Anlaufstelle. "Shared desk" -
geteilter Schreibtisch - heißt das aus den Vereinigten Staaten
übernommene Prinzip.
Pionier dieser Arbeitsform war in Deutschland
der Computerriese IBM. Der US-Konzern bietet schon seit Anfang der
neunziger Jahre "alternierende Telearbeit" auf freiwilliger Basis
an. Über 4.000 Mitarbeiter und damit ein Fünftel der
Belegschaft verbringen inzwischen mindestens die Hälfte ihrer
Arbeitszeit außerhalb der Firma. Nicht mitgezählt wird
dabei, wer nur gelegentlich elektronische Verbindung zum
Unternehmen aufnimmt. Rund 2.000 Beschäftigte praktizieren
mobile Telearbeit im Vertrieb, 1.700 gehören zum technischen
Außendienst, 600 sind stationäre Arbeiter in der eigenen
Wohnung. Alle drei Gruppen verfügen über
Online-Zugänge zum Unternehmen; die Kosten für Rechner
und Übermittlungskosten trägt der Arbeitgeber. Für
IBM macht sich die Auslagerung trotzdem bezahlt: Der Konzern spart
auf diese Weise Büroflächen und Kosten für die
betriebliche Infrastruktur.
"Geteilter Schreibtisch" bedeutet keineswegs
die beliebige Wahl des Arbeitsortes. Zu festgelegten Zeiten sind
mobile Telewerker wie Klaus Niester verpflichtet, sich im
Unternehmen blicken zu lassen. Denn hier, in Teamprozessen mit
Kollegen, findet weiterhin der Kern der kreativen und strategischen
Arbeit statt. Lediglich personenbezogene und klar umrissene
Tätigkeiten können isoliert und damit auch anderswo
erledigt werden. "Nur noch zu Hause arbeiten" sei ausdrücklich
unerwünscht, betont Werner Zorn, Fachmann für Telearbeit
bei IBM Deutschland: Zeitweilige Präsenz im Betrieb wird
vielmehr erwartet. Wer dort arbeiten will, sucht sich einen freien
PC mit Netzzugang - und räumt diesen, sobald er fertig ist.
Persönliche Gegenstände und kleinteiliges Handwerkszeug,
die einst den eigenen Schreibtisch schmückten, sind in
Schließfächern verschwunden, die die umherziehenden
Mitarbeiter bei Bedarf öffnen können. Das Büro als
steriles Technikterminal für gelegentliche Besuche: Ob sich
dieses Konzept je massenhaft durchsetzen wird, scheint zweifelhaft.
Amerikanische Firmen haben sich vom "Desk Sharing" teilweise schon
wieder verabschiedet.
Zwar experimentieren auch andere deutsche
Unternehmen wie etwa Siemens mit Telearbeit. Doch nur wenige
fordern die Belegschaft auf, ständig die Pulte zu tauschen.
Die meisten Angestellten haben nämlich keine Lust, jeden Tag
um ihr Territorium zu kämpfen. Sie brauchen offenbar ihr
eigenes Revier, das sie weder dauernd aufräumen noch stets
proper hinterlassen wollen. Die Familienfotos, die Postkarten aus
dem Urlaub, die Urkunde vom Segeltörn und der selbst gemalte
Kalender der Jüngsten gehören einfach nicht in den
Wandschrank; sie schaffen Verbundenheit gerade durch ihren festen
Platz.
Mit dieser Problematik hat sich auch das
Stuttgarter Fraunhofer-Institut beschäftigt und sich
hierfür eigens ein Experimentierfeld geschaffen. Für das
Zukunftsprojekt "Office 21" wurden persönlich reservierte
Arbeitsplätze gar nicht erst eingerichtet. Jeder Mitarbeiter
schiebt auf einem fahrbaren Container seine Unterlagen, das mobile
Telefon und einen per Funk vernetzten Rechner vor sich her.
Für 35 Angestellte reichen auf diese Weise 18 Plätze, die
jeden Tag neu verteilt werden. Die anderen Teammitglieder sind
beruflich unterwegs, machen Urlaub oder arbeiten zu Hause. Die
Propheten der Beraterzunft denken schon einen Schritt weiter: Im
"Hotel"-Konzept melden sich die Tele-Nomaden online bei der
virtuellen Rezeption ihres Arbeitgebers, buchen für ein paar
Stunden einen Büroraum und verschwinden dann nach kurzer
Sesshaftigkeit wieder.
Das nonterritoriale Büro, dessen Nutzer
ständig wechseln, habe "absichtlich keinen individuellen
Charakter" mehr, glaubt der amerikanische Soziologe Richard
Sennett. Die uniforme Architektur des "flexiblen Kapitalismus" sei
"in einer Weise standardisiert, bei der man von einer Stadt in die
andere umziehen kann und sich gleichsam in ein und demselben Raum
bewegt". Eine Umgebung, die sich in wenigen Minuten umgestalten
lässt, lässt niemanden mehr Wurzeln schlagen: Die
Menschen sollen sich gar nicht erst an einen festen Ort
gewöhnen.
Über zwei Millionen Erwerbstätige
in Deutschland haben nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums
mittlerweile die Chance, einen Teil ihrer Arbeit von zu Hause aus
zu erledigen. Doch das Ausmaß der Verbreitung von Telearbeit
werde "weit überschätzt", kritisiert der Soziologe Frank
Kleemann. Er hat sich in einem Forschungsprojekt an der Technischen
Universität Chemnitz mit dem Thema beschäftigt. "Die
vorliegenden Studien sollen vor allem große Zahlen
produzieren." Kleemann glaubt, dass "dabei Leute mitgezählt
werden, die gar keine echten Teleheimarbeiter sind, etwa Lehrer,
die einen Teil ihrer Unterrichtsvorbereitungen zu Hause am PC
machen".
Alternierende Telearbeit scheint auf den
ersten Blick gerade für Eltern die ideale Lösung zu sein,
um ohne Stress Beruf und Familie unter einen Hut zu kriegen. Wenn
aber die Lebensbereiche nicht mehr strikt voneinander getrennt
sind, kann das auch negative Folgen haben. "Handlungsreisende" wie
Klaus Niester konnten sich einst nach getaner Arbeit
zurücklehnen und dem Motto folgen "Was ich nicht weiß,
macht mich nicht heiß". Jetzt haben sie stets alles zu wissen,
denn es erscheint ja auf ihrem Display - und schreit nach
sofortiger Antwort. Noch ein Anruf, noch eine dringende Mail. Die
vernetzte Kommunikation lässt die Grenzen zwischen Job und
Freizeit verschwimmen.
"Twenty four - seven", so lautet auch das
Motto des ständigen Bereitschaftsdienstes in Nordamerika:
Stets bei der Arbeit, 24 Stunden täglich, sieben Tage die
Woche. Sieht so die Arbeitswelt der Zukunft aus?
Telearbeitsforscher Kleemann ist skeptisch. Für die große
Mehrheit der Beschäftigten werde das ein unrealistisches
Szenario bleiben. Doch in einigen Berufen ist es in der Tat
schwierig geworden, zu unterscheiden: Wo fängt die Arbeit an,
wo hört sie auf?
Forciert durch moderne Kommunikationstechnik
kehrt für diese Erwerbstätigen die Heimarbeit
zurück, die in der Vergangenheit Künstlern oder
selbstständigen Handwerkern vorbehalten war. Es sei jedoch
kein Schritt zurück in die Vergangenheit, betont Forscher
Kleemann. "Das wird meist nicht wie in vorindustriellen Zeiten
vermischt, sondern zeitlich und räumlich voneinander
abgegrenzt." Der Chemnitzer Untersuchung zufolge schotten sich
gerade hoch qualifzierte männliche Arbeitnehmer, die sich zu
Hause ein zweites Büro leisten können, von privaten
Ansprüchen, etwa der Familie, ab.
So sind sie zwar ungestört, aber auch
weit entfernt vom "Flurfunk", von der in vielen Firmen wichtigen
informellen Kommunikation. IBM hat in seiner Böblinger
Zentrale deshalb zusätzlich zur Kantine dezentrale
Teeküchen in unmittelbarer Nähe der geteilten
Schreibtische eingerichtet. Kreativer Kontakt zwischen den
einzelnen Telewerkern ist ausdrücklich erwünscht. SAP
bietet sogar Fitnessräume und Duschen an:
Gemeinschaftsgefühle sollen nun nicht mehr bei der Arbeit,
sondern bei der Nutzung betrieblicher Freizeitangebote aufkommen.
Die Unternehmen schaffen bewusst neue soziale Räume; sie
inszenieren Kommunikation, weil diese ökonomisch nützlich
ist.
Die extremen Anforderungen an Mobilität
lassen das Bedürfnis nach einer beruflichen "Heimatbasis" umso
mehr wachsen. Auch die elektronische Vernetzung kann den Fokus des
gemeinsamen Arbeitsortes nicht vollständig ersetzen. Manche
der Arbeitsnomaden sind fast dankbar, wenn ihnen das Unternehmen
feste Pflichttermine vorschreibt. "Gerade weil ich dauernd
unterwegs bin, brauche ich klare Rhythmen und eine Anlaufstelle im
Betrieb", weiß Vertriebsmann Niester. Für ihn sind die
festen Termine der Projektgruppen und andere regelmäßige
Sitzungen mit den Kollegen eine "willkommene Abwechslung vom
manchmal einsamen Alltag".
Thomas Gesterkamp arbeitet als freier Journalist in
Köln.
Zurück zur Übersicht
|