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Alfons Frese
Peinlichkeiten und ein tiefer Graben
Die deutschen Arbeitervertretungen sind auch
untereinander zerstritten
"Das war nur peinlich", bewertet ein
Gewerkschafter lapidar den Streit zwischen den beiden
Gewerkschaftschef Hubertus Schmoldt und Jürgen Peters. Im
letzten Sommer, sozusagen zwischen Montagsdemonstrationen und dem
so genannten Arbeitnehmerbegehren gegen die Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik der rot-grünen Bundesregierung, legten der
Metaller und der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau,
Chemie, Energie (IG BCE) den Zustand der deutschen
Arbeitervertretungen offen.
Eine gewerkschaftliche Strategie, die vor
allem auf Verweigerung und Blockieren setzt, ist zum Scheitern
verurteilt", giftete Schmoldt in Richtung IG Metall und ver.di und
qualifizierte deren Forderung nach einem höheren
Spitzensteuersatz als "schlichten Populismus". Peters zahlte in
gleicher Münze zurück. Die Vorwürfe des Kollegen
Schmoldt seien "persönlich anmaßend und unkollegial und
politisch dazu geeignet, die Gewerkschaften zu schwächen". Und
im Kanzleramt freute sich derweil der Erfinder der Agenda 2010, wie
im öffentlichen Streit der Spitzengewerkschafter deren
Widerstandsautorität gegen seine Politik
zerbröselte.
Das ist Geschichte. Hartz IV setzte die
Regierung wie geplant zum 1. Januar um. IG Metall und ver.di
plädieren zwar immer noch für einen höheren
Spitzensteuersatz und eine Vermögensteuer, aber es ist alles
in allem ruhig geworden in und um die Gewerkschaften. Eines der
Lieblingsprojekte von ver.di-Chef Frank Bsirske, das im vergangenen
Jahr auch an der Uneinheitlichkeit des Arbeiterlagers scheiterte,
wurde von der Politik wiederbelebt. Ausgerechnet Edmund Stoiber,
über dessen Niederlage sich Peters und Co. bei der
Bundestagswahl gefreut hatten, holte die Idee eines gesetzlichen
Mindestlohns aus der Ablage. Da wird sie womöglich auch bald
wieder verschwinden. Denn bereits im vergangenen Herbst hatte die
Politik sich hinter den Gewerkschaften versteckt. Nach dem Motto:
Die sind sich nicht einig, also können wir nichts
machen.
Der Graben ist seitdem nicht flacher
geworden. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die
Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) wollen einen
gesetzlichen Mindestlohn, um auch die Arbeitnehmer in
Wirtschaftsbereichen nach unten abzusichern, in denen es
überhaupt keine Tarife gibt oder aber die Tarife nicht gezahlt
werden. "Gegen einen freien Fall der Löhne über alle
Branchen hilft nur ein gesetzlicher Mindestlohn", kommentierte
Bsirske den Plan der Bundesregierung, das Entsendegesetz aus der
Bauwirtschaft auf alle Branchen auszudehnen. Die
Industriegewerkschaften, diesmal stehen Chemiker und Metaller in
einer Reihe, lehnen einen gesetzlichen Mindestlohn ab, weil sich
sich noch immer eines vergleichsweise hohen Organisationsgrads mit
entsprechender Tarifbindung erfreuen. Ein gesetzlicher Mindestlohn,
so die Befürchtung, würde die Tarifautonomie ankratzen -
und irgendwann wäre der Lack ab vom deutschen System der
Lohnfindung, dem Kerngeschäft der Gewerkschaften.
Dabei ist dieses System selbst einem rasanten
Wandel unterworfen. Die Chiffren dafür lauten Pforzheim,
Kamp-Lintfort und Sindelfingen. Im Tarifabschluss von Pforzheim
ließ sich die IG Metall auf Öffnungsklauseln unter
anderem zur Verlängerung der Arbeitszeit ein; an den
Siemens-Standorten in Kamp-Lintfort und Bocholt musste sie
materielle Einbußen von bis zu 30 Prozent für ihre
Mitglieder akzeptieren, damit deren Arbeitsplätze nicht nach
Ungarn verlagert wurden. Schließlich presste Daimler-Chrysler
Betriebsrat und Gewerkschaft Einsparungen von 500 Millionen Euro
ab. Im Gegenzug gab es langfristige Produktions- und
Arbeitsplatzgarantien. Nach dem gleichen Muster folgte später
ein neuer Haustarif bei Volkswagen. Siemens, Daimler-Chrysler, VW:
Die stärksten Bataillone der IG Metall mussten
zurückweichen vor der internationalen
Standortkonkurrenz.
Verzicht auf Reizbegriffe
Der Beschäftigung sichernde Pragmatismus
auf der betrieblichen Ebene findet noch keine Entsprechung im
Umgang mit gesellschaftlichen und vor allem sozialpolitischen
Reformen. Als DGB-Chef Michael Sommer im Februar die Notwendigkeit
einer neuen Finanzarchitektur der Sozialsysteme einräumte und
einen Dreiklang aus paritätischer Beitragsfinanzierung,
Steuern und privater Vorsorge das Wort redete, schäumten
Peters und ver.di-Chef Bsirske. Peters, den unsäglichen Streit
mit Schmoldt noch in guter Erinnerung, mäßigte sich und
beließ es bei der öffentlichen Empfehlung, "auf bestimmte
Reizbegriffe zu verzichten, die dann vom Gegner instrumentalisiert
werden". Sommer akzeptiert seit langem, dass die Höhe der
Lohnzusatzkosten beschäftigungshemmend ist und plädiert
für Freibeträge bei den Sozialabgaben. Das Problem der
prekären Beschäftigungsverhältnisse (Mini- und
Ein-Euro-Jobs) könnte mit einem Schlag gelöst sein,
hoffen die DGB-Strategen und bringen zur Finanzierung eine
Mehrwertsteuererhöhung ins Spiel. Aber in die Offensive kommt
Sommer damit nicht, denn Bsirske, Peters und Schmoldt halten davon
nichts. Peters nennt den Ansatz, die Arbeitskosten stärker von
den Sozialkosten zu entkoppeln, höhnisch "die neue
Zauberformel". Im Ergebnis würden "die Arbeitnehmer die Zeche
zahlen"; für Peters "eine Zumutung".
An Zumutungen haben die ehemaligen
Bündnispartner in den letzten Jahren genug erfahren. Der DGB
befürchtet das Abrutschen der Mitgliederzahl unter die
Sieben-Millionen-Marke, der SPD kommt eine politische Mehrheit nach
der anderen abhanden. Jetzt ist Burgfrieden, beide Seiten haben die
Bundestagswahl 2005 im Blick. Die meisten Gewerkschafter haben
trotz aller Bitterkeit über die rot-grüne Politik die
Alternative vor Augen. Wenn Union und FDP die nächste
Regierung bilden, dann sind Angriffe auf Tarifautonomie und
Mitbestimmung so sicher wie die nächste Tarifrunde. Und diese
Bedrohung ist so groß, dass die eigenen Differenzen dahinter
verschwinden.
Alfons Frese ist Redakteur des "Tagesspiegel" in Berlin.
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