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Eva Haacke
Weg vom Diktakt der Flächentarife
Die Arbeitgeber wollen den Umfang der
Mitbestimmung neu aushandeln
Wenn es um so heikle Themen wie Tarifautonomie und Mitbestimmung
in deutschen Unternehmen geht, sind sich Arbeitgeberverbände
und Gewerkschaften manchmal näher als die
Wirtschaftsverbände untereinander. Seit Jahren tobt der
Streit, wie weit die Mitbestimmung in Aufsichtsräten und auf
betrieblicher Ebene gehen darf. Genauso uneins ist man sich, wo
Flächentarifverträge enden und betriebliche
Bündnisse beginnen sollten. Dabei verlaufen die Fronten nicht
nur quer durch das "Haus der Deutschen Wirtschaft" in Berlin, in
dem die Spitzenverbände BDA, BDI und DIHK sitzen, sondern auch
zwischen Konzernchefs und Mittelständlern, Verbandsvertretern
und ihren großen Mitgliedsfirmen.
Beim Tarifrecht beispielsweise wollen alle kräftig
mitreformieren, dabei "ist der Strukturwandel in Deutschland so
gravierend, dass dies teilweise jetzt schon zu einer Aufweichung
der Flächentarifverträge führt", erklärt
BDI-Hauptgeschäftsführer Ludolf von Wartenberg. Schon
jetzt sind tausende Betriebe sind nicht mehr bereit, sich dem
"Diktat" der branchenweiten Flächentarife zu beugen, die die
Mindestverdienste einheitlich für alle Betriebe und
Beschäftigten festlegen: Im Februar 2004 musste die IG Metall
erstmals einer Öffnungsklausel zustimmen, die Unternehmungen
Abweichungen vom Tarifvertrag auch ohne akute Notlage erlaubt. Der
Arbeitgeberverband Gesamtmetall verlor im Jahr 2003 233 Mitglieder
an den "OT-Bereich" ("Ohne Tarifbindung"), 350 traten gleich ganz
aus. Mittlerweile stehen bei Gesamtmetall 2.000 OT-Mitglieder 5.100
Mitgliedern mit Tarifbindung gegenüber.
Der erst im Januar neu angetretene Präsident des von
Großunternehmen dominierten Bundesverbands der deutschen
Industrie (BDI) Jürgen Thumann hält sich bei dem
Zank-Thema noch zurück, dafür nahm sein Vorgänger
Michael Rogowski kein Blatt vor den Mund: Tarifverträge und
das Betriebsverfassunggesetz gehörten in ein großes
Lagerfeuer, polterte er. Der Chef des Arbeitgeber-Dachverbands BDA
Dieter Hundt tobte, obgleich auch im Arbeitgeberlager längst
klar ist, dass man um eine Lockerung der Tarifverträge nicht
herumkommt - nur bitte nicht gleich abschaffen, lautet das Credo
dort. Der Streit um die juristische Materie, die selbst ausgebuffte
Tarifpolitiker kaum unfallfrei erklären können, trennt
auch Großkonzerne und kleinere Unternehmen: Während die
Automobilbranche beispielsweise tarifliche Lohnerhöhungen
für den Betriebsfrieden in den vergangenen Jahren gut
verkraftete, gerieten viele schwächere Mittelständler
durch die Tarifverträge in Existenznot. Die Folge: Die
Bestandsschutzpolitik der Gewerkschaften kostete
Arbeitsplätze, Unternehmen meldeten reihenweise Insolvenz an
oder wanderten ab.
Auch ohne eine gesetzliche Änderung der Tarifautonomie
befindet sich der klassische Mechanismus des
Flächentarifvertrags in Auflösung. Selbst im
größten deutschen Wirtschaftszweig, der Metall- und
Elektroindustrie, sind betriebliche Arbeitsbündnisse
inzwischen gängige Praxis. Egal, ob Bosch, Daimler oder
Siemens, alle griffen schon auf eigene Absprachen mit der
Belegschaft zurück. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement
(SPD) sieht das gerne: "Was die Verantwortlichen freiwillig regeln,
ist immer besser als ein Gesetz." Handlungsbedarf sieht er in der
Bauwirtschaft und im öffentlichen Dienst - derzeit gibt es
etwa für Bund, Länder und Gemeinden praktisch keine
Tariföffnungsklauseln für betriebliche Bündnisse,
auch wenn die öffentlichen Arbeitgeber ihrem Kontrahenten,
ver.di-Chef Frank Bsirske, eine solche Klausel abtrotzen
wollen.
Bei dem anderen Dauerstreit-Thema, der Mitbestimmung in
Aufsichtsräten und auf betrieblicher Ebene, liegen sich BDA
und BDI - zumindest nach außen - in den Armen. Obwohl der BDI
weitergehende Reformen forderte, präsentierten beide
Spitzenverbände Ende 2004 ein 50-seitiges Positionspapier. Die
Kernforderungen: In allen Betrieben sollen Arbeitnehmer und
Arbeitgeber den Umfang der Mitbestimmung neu aushandeln.
Außerde darf in Unternehmen, die nach dem deutschen Modell von
Vorstand und Aufsichtsrat geleitet werden, maximal ein Drittel der
Kontrollposten von Arbeitnehmervertretern besetzt werden. Zum
dritten sollen die Mitspracherechte der Betriebsräte und die
Zahl freigestellter Arbeitnehmervertreter verringert werden. Die
Wirtschaftsverbände rütteln damit an einem Heiligtum der
gewerkschaftlichen Errungenschaften: Schließlich wachen die
Arbeitnehmervertreter mit Argusaugen über das
Mitbestimmungsgesetz aus dem Jahr 1976. In den Aufsichtsräten
von rund 800 deutschen Unternehmen läuft nichts ohne die
Arbeitnehmervertreter - kein neuer Vorstandschef und kein
Stellenabbau. Aber auch im Unternehmerlager stößt das
Vorhaben der Verbände nicht nur auf Gegenliebe. Vor allem die
Großunternehmen fürchten, dass durch einen Radikalkurs
seitens der Wirtschaft nur die Hardliner unter den Gewerkschaftern
Auftrieb erhalten und erwarten Krach mit den Funktionären.
Also lobten Daimler-Chrysler Chef Jürgen Schrempp und
EnBW-Chef Utz Claasen die Mitarbeit der Arbeitnehmer in
Aufsichtsräten, und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement
sagte: "Wenn es bei Opel keine Mitbestimmung gäbe, dann
flögen dem Management längst die Brocken um die Ohren."
Mancher kleine und mittelständische Betrieb dagegen
bemüht sich auch weiterhin, die Zahl der Beschäftigten
knapp unter 200 zu halten, um bloß keinen Betriebsrat
freistellen zu müssen und um zusätzliche Kosten zu
vermeiden.
Tatsächlich wirkt das deutsche Mitbestimmungsmodell im
europäischen Vergleich exotisch. "Es weist das höchste
Gesamt- und Einzelmitbestimmungsniveau auf", heißt es im
BDA/BDI-Papier. Mancher Investor, so vermuten die Verbände,
mache deshalb lieber einen Bogen um Deutschland. Zumindest nutzen
die Manager bei Fusionen gerne die Gelegenheit, ihren Firmensitz
ins Ausland zu verlegen. "Viele Holdings, vor allem von
Familiengesellschaften, haben Deutschland längst verlassen",
klagt BDA-Hauptgeschäftsführer Reinhard Göhner, "das
können wir uns nicht leisten". Das Mitbestimmungsrecht
müsse sich europäischen Entwicklungen öffnen, lautet
sein Hauptargument. Brüssel hat vorgearbeitet: Ein Entwurf
für eine neue Rechtlinie sieht vor, dass Arbeitgeber und
Arbeitnehmer die Mitbestimmung künftig selbst aushandeln. Bei
Nichteinigung gilt die Drittelparität, das heißt, ein
Drittel der Aufsichtsratssitze wird von Arbeinehmervertretern
besetzt. Das deutsche Modell der paritätischen Mitbestimmung
wäre damit Geschichte.
Eva Haacke ist Korrespondentin im Berliner Büro der
"Wirtschaftswoche".
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