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Ulrike Baureithel
Der Leichtlohn ist weg, die Ungerechtigkeit
bleibt
Noch immer haben weibliche Berufe einen
geringeren Wert als männliche
Der Kampf gegen die sogenannten
Leichtlohngruppen in den 60er- und 70er-Jahren war eine der ersten
betrieblichen Auseinandersetzungen nach dem Krieg, an denen Frauen
sich organisiert für ihre eigenen Belange einsetzten.
Entstanden waren die unteren Lohngruppen, nachdem Mitte der
50er-Jahre das Bundesarbeitsgericht die "Lohnabschlagsklausel"
für Frauen als mit dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes
nicht vereinbar erklärte. Dennoch dauerte es in manchen
Branchen Jahrzehnte, bis die Leichtlohngruppen aus deutschen
Tarifverträgen wieder verschwanden.
Ab 1975 erhielten die Frauen auch seitens der
EU mit einer entsprechenden Richtlinie Rückendeckung. Die
Amsterdamer Verträge von 1999 und der Europäische
Gerichtshof stärkten diese noch einmal: Männer und Frauen
erhalten für gleiche Leistung gleichen Lohn, und Frauen
dürfen qua Geschlecht nicht niedriger entlohnt werden. Doch
wie kommt es dann, dass Frauen weltweit immer noch 65 Prozent der
insgesamt geleisteten Arbeit verrichten, aber nur über zehn
Prozent des Einkommens und ein Prozent des Eigentums verfügen?
Warum verdienen in der Europäischen Union voll
beschäftigte Frauen sowohl in der Industrie als auch im
Dienstleistungssektor im Durchschnitt nur drei Viertel so viel wie
ihre männlichen Kollegen, weibliche Angestellte in Deutschland
sogar um die 30 Prozent? Warum nehmen die Einkommen der Frauen mit
zunehmendem Lebensalter kontinuierlich ab?
Hier setzt das sogenannte Gender
Mainstreaming an. Anders als in den früheren
Gewerkschaftskämpfen sollen Frauen nicht im Betrieb gegen
Diskriminierung angehen. Vielmehr sind die Entscheidungsträger
aller Hierarchien aufgerufen, mit Blick auf das Gleichheitsgebot
schon im Vorfeld ihre Maßnahmen auf geschlechtsspezifische
Auswirkungen hin zu überprüfen. Top down nennt sich das
im Fachjargon, die Revolution kommt sozusagen von oben und hat
geradezu administrativen Charakter. In jedem Bereich werden
Prüfkriterien entwickelt, die helfen sollen, "gender-korrekte"
Entscheidungen zu treffen, in Seminaren werden die Verantwortlichen
auf die Gender-Perspektive hin "trainiert". Doch bevor etwas
entschieden und verändert werden kann, bedarf es einer
Analyse, die über das dürre Zahlenmaterial hinausgeht.
Zwar sprechen die Daten eine eindeutige Sprache, doch sie
erklären den katastrophalen gender gap - die
geschlechtsspezifische Diskrepanz bei den Einkommen zum Beispiel -
nicht, es sei denn, man ginge davon aus, dass Frauen per se
schlechter ausgebildet und qualifiziert sind als Männer. Sind
sie nicht, wie der Blick auf die Schulkarrieren zeigt: Da
überrunden die Schülerinnen leistungsmäßig ihre
Mitschüler und haben, was die Bildungsabschlüsse
betrifft, in den letzten Jahren gut aufgeholt und
gleichgezogen.
Dennoch ist es nach wie vor so, dass es einen
geschlechtsspezifischen Zugang zum Beruf gibt und die
Berufslandschaft geschlechtsspezifisch segmentiert ist: Es gibt
noch immer sogenannte "Frauen-" und "Männerberufe" (mit
jeweiligen Ausnahmen) und in den "Frauenberufen" lässt sich
weniger Einkommen erzielen als in den von Männern dominierten.
Den Streit, ob der Beruf das Ansehen macht oder die "Berufenen",
haben feministische Berufsforscherinnen mittlerweile geklärt:
Der Status einer Profession steigt oder sinkt je nachdem, ob ihn
mehrheitlich Frauen oder Männer ausüben, unabhängig
vom Inhalt der Tätigkeit. Nicht "weibliche" Berufe machen das
Ansehen, sondern die Frauen, die einen bestimmten Beruf ergreifen.
Die Pioniere der Chemie oder der Informatik beispielsweise waren
weiblich; als sich das Terrain dann als zukunfts- und
karriereträchtig erwies, wurde es von Männern erobert.
Mit der männlichen Übernahme stieg auch das Prestige des
jeweiligen Berufs; so wie der Beruf der Sekretärin heute
keineswegs mehr an das Ansehen erinnert, den ein Sekretär im
19. Jahrhundert noch hatte. Deshalb warnen die Forscherinnen auch
davor, die "weiblichen" Aspekte eines Berufs nur aufwerten zu
wollen. Das "doing gender" ist so allgegenwärtig, dass selbst
dort, wo Männer einen Frauenberuf oder Frauen einen
Männerberuf ergreifen, diese bemüht sind, sich im
beruflichen Alltagsverhalten als "Männer" und "Frauen"
auszuweisen. Und wo sich vereinzelt Männer in Frauenberufen
finden, besetzen sie in aller Regel die oberen
Hierarchien.
Doch was ist dafür verantwortlich, dass
die weibliche Berufstätige und damit ihre Tätigkeiten
einen geringeren Wert haben als die der Männer? Liegt es
daran, dass sie überwiegend in sogenannten "Assistenzberufen"
tätig sind und Männern zuarbeiten? Oder dass sie als die
unsichereren Arbeitskräfte angesehen werden, unkalkulierbar,
weil sie "ganz selbstverständlich" Kinder und/oder alte
Menschen zu versorgen haben? Oder ist es nicht vielmehr auch
umgekehrt: Die Tatsache, dass Frauen - unentgeltlich - soziale
Dienstleistungen erbringen, legt nahe, ihnen solche Leistungen auch
im Beruf abzuverlangen und entsprechend schlecht zu
vergüten.
Die Analyse von Tarifverträgen ist
hierfür aufschlussreich. Bei der Bewertung von
Arbeitsplätzen, die vorwiegend Frauen einnehmen, werden ganz
andere Kriterien und Gewichtungen angelegt als in
männerdominierten Bereichen. Noch immer ist das, was als
"schwere Arbeit" gilt und entsprechend Zulagen einbringt an der
männlichen Muskelkraft und nicht an der weiblichen
Ausdauerleistung orientiert.
Auch das Kriterium "Verantwortung" hat eine
geschlechtsspezifische Komponente, indem es vor allem auf
Arbeitsplätze in der oberen Hierarchieebene, die eher von
Männern besetzt werden, angewandt wird. Oft wird
"Verantwortung" auch an bestimmte formale Qualifikationen (zum
Beispiel ein akademischer Abschluss) gebunden, sodass ganze
Berufsgruppen (zum Beispiel Erzieherinnen) von vornherein
herausfallen. Auch soziale Qualifikationen bleiben systematisch
unterbewertet. Mit dem von den Schweizer Wissenschaftlern Katz und
Baitsch entwickelten analytischen Bewertungssystem (ABAKABA) liegt
mittlerweile ein Instrument vor, das den emotionalen und
psycho-sozialen Aspekten eines Berufes mehr Gewicht einräumt
als den körperlichen Belastungen und technischen
Fähigkeiten. Würde es angewandt, müssten sogenannte
Frauentätigkeiten fast durchweg neu eingruppiert
werden.
Bei der Neubewertung der Arbeit und
überhaupt des Normalarbeitsverhältnisses - in dem Sinne,
dass Männer und Frauen gleich an der Berufs- und
Familienarbeit beteiligt sind, ohne dass sich dabei für eine
Seite Nachteile ergeben - sind keineswegs nur die Tarifpartner,
sondern es sind auch andere Akteure wie der Gesetzgeber oder die
Gerichte gefragt. Tätigkeitsbewertung, Arbeitszeit- und
Lohnpolitik, Qualifizierungsmaßnahmen, die Gestaltung von
Berufsbildern - all dies wären Felder, in denen die
Gender-Perspektive in den Mainstream einfließen müsste.
Wie wenig dies beispielsweise der Gesetzgeber berücksichtigt,
offenbarte sich bei der Einführung der Altersteilzeit, die
ursprünglich nur von Vollzeitbeschäftigten beansprucht
werden konnte und weibliche Teilzeitbeschäftigte erheblich
diskriminierte. Es bedurfte der massiven Intervention von
Gewerkschafterinnen und anderen Lobbyistinnen, dass dies im
Tarifvertrag nachträglich korrigiert werden konnte.
Als Strategie kann sich das Gender
Mainstreaming allerdings nicht mit der Analyse der
Verhältnisse und dem Appell an die Entscheidungsträger
begnügen - und schon gar nicht darf es konkrete
Frauenfördermaßnahmen ersetzen. Gerade dort, wo es um die
Verteilung von knappen Mitteln geht wie im Arbeitsleben, ist aber
genau dies zu befürchten: Es ist kein Zufall, dass das Gender
Mainstreaming die Quoten-Diskussion in den Hintergrund
gedrängt hat. Und es könnte sein, dass auch in diesem
Fall Männer den Stab umdrehen, um vom Gender Mainstreaming zu
profitieren. Denn dass sich Gender Mainstreaming im Sinne der
Nutzung weiblicher "Humanressourcen" ganz gut in die neoliberale
Unternehmensphilosophie einpassen lässt, haben Konzerne wie
etwa die Deutsche Telekom schon erkannt. Die dortige Beauftragte
für "Chancengleichheit und Diversity", Sylvia Stange,
unterstreicht, dass dem Unternehmen aus der "speziellen
KundInnenorientierung" der Mitarbeiterinnen "wirtschaftliche
Vorteile" erwachsen. "Diversity", so ihr Resümee, würde
"als Business Case auch vom Management akzeptiert". Die
Kombatantinnen gegen die Leichtlohngruppen wussten noch, wofür
und gegen wen sie kämpfen. Im globalen Gender Mainstreaming
gehen die Orientierungen gelegentlich verloren.
Ulrike Baureithel ist Redakteurin der Wochenzeitung
"Freitag".
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