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Martin Teschke
Zurück in die Schublade und alles neu?
Das Antidiskriminierungsgesetz soll
Beschäftigte vor Benachteiligung schützen
Wenn kurz vor der parlamentarischen Sommerpause das
Antidiskriminierungsgesetz (ADG) auf dem Terminplan steht,
dürfte es im Deutschen Bundestag hoch hergehen. Die Opposition
und die Arbeitgeberverbände zeichnen das Schreckensbild eines
bürokratischen Monsters, das Milliarden Euro verschlingt und
obendrein eine noch nicht abzusehende Zahl von Arbeitsplätzen
vernichtet. Die rot-grüne Regierungskoalition und die
Gewerkschaften polemisieren, wer gegen das Gesetz sei, wolle in
Wahrheit nur weiter diskriminieren. Doch worum geht es
eigentlich?
Das Gesetz soll verhindern, dass jemand aufgrund von Alter,
Geschlecht, Behinderung, sexueller Orientierung, ethnischer
Herkunft, Religion oder Weltanschauung benachteiligt wird. Es gilt
zwar auch im Zivilrecht, der Schwerpunkt des Gesetzes aber liegt im
Schutz vor Diskriminierung im Arbeitsleben. Künftig sollen
Arbeitgeber verpflichtet werden, Beschäftigte vor
Diskriminierung zu schützen. Dies gilt für
Auswahlverfahren, Einstellungsbedingungen ebenso wie für
Kündigungen, den beruflichen Aufstieg, Fortbildungen und so
weiter. Wenn ein Arbeitgeber dabei zum Beispiel aus rassistischen
Motiven handelt, macht er sich eines Diskriminierungstatbestandes
schuldig und muss mit einer Schadenersatzklage rechnen. Beim
Bundesfamilienministerium wird eine unabhängige
Antidiskriminierungsstelle installiert. Diese Schlichtungs- und
Koordinierungseinrichtung soll Betroffene über ihre Rechte
informieren, ihnen Beratung vermitteln und eine gütliche
Einigung zwischen den Beteiligten anstreben. Im Einzelfall
läuft das folgendermaßen ab: Die Beschäftigten haben
grundsätzlich ein Beschwerderecht. Wenn ein Arbeitnehmer sich
von einem Kollegen, einem Vorgesetzten oder vom Arbeitgeber selbst
diskriminiert fühlt, kann er beim Arbeitgeber Beschwerde
einlegen. Dieser muss der Beschwerde nachgehen. Tut er dies nicht
oder weist die Beschwerde zurück, hat der Arbeitnehmer vor
Gericht die Möglichkeit, die Diskriminierung glaubhaft zu
machen; der Arbeitgeber muss dann nachweisen, dass eine
Benachteiligung nicht vorgelegen hat. Sonst hat er Schadenersatz zu
leisten - nach der Gesetzesvorlage etwa in Höhe von drei
Monatsgehältern.
Genau hier setzt die Kritik von Opposition und Ar-beitgebern an:
die Furcht vor einer "Flut von Klagen und Prozessen". Der Deutsche
Industrie- und Han-delskammertag (DIHK) beispielsweise entwirft ein
seiner Meinung nach keineswegs übertriebenes Szenario:
Angenommen ein Einzelhändler für Damenunterwäsche
suche in einer Stellenausschreibung eine junge dynamische
Verkäuferin mit guten Deutschkenntnissen; dieser
Einzelhändler müsse sich nun einen Rechtsanwalt zulegen,
da er befürchten müsse, gleich drei Gruppen benachteiligt
zu haben - graue Panther, Männerschutzverbände und
ethnische Minderheiten. Mit dem ADG, so die Argumentation von
Opposition und Arbeitgeberverbänden, sei der Klagelust von
abgewiesenen Bewerbern und "windigen" Rechtsanwälten Tür
und Tor geöffnet. Träfe die Befürchtung ein,
kämen auf die Unternehmen in der Tat Milliarden-Belastungen
zu. Die Versicherungswirtschaft hat bereits reagiert: Als erste
Versicherung bereitet der Gerling-Konzern Allgemeine Versicherung
eine Police für Arbeitgeber gegen Diskriminierungsklagen vor.
Die rot-grüne Regierungskoalition verweist hingegen auf die
Erfahrungen mit dem Paragrafen 611a BGB, der die
Schadenersatzansprüche von diskriminierten Männern und
Frauen im Arbeitsrecht seit 1980 regelt.
Nach einer Recherche der Hans-Böckler-Stiftung in der
Datenbank Juris sind in den vergangenen 25 Jahren bei den
Arbeitsgerichten lediglich 112 Antidiskriminierungsprozesse
geführt worden. Zum Vergleich: In demselben Zeitraum gab es
mehr als 50.000 Arbeitsrechtsfälle. Stellvertretend für
zahlreiche Branchen betont die Bundesvereinigung der Deutschen
Arbeitgeberverbände (BDA), das Gesetz sei zu
bürokratisch, rechtlich zu unausgegoren, weshalb die
Unternehmen nun ihre Rechtsabteilungen ausweiten müssten. Das
aber koste Geld, das bei der Schaffung neuer Stellen fehle.
Was also ist zu tun? Das Antidiskriminierungsgesetz einfach
wieder streichen? Dafür ist es längst zu spät. Ein
ADG ist bereits im Koalitionsvertrag von 1998 festgeschrieben
worden. Außerdem haben die europä-ischen Staats- und
Regierungschefs Mitte 2000 ein Antidiskriminierungsgesetz
beschlossen, das bis Mitte 2003 in nationales Recht umgesetzt
werden sollte. Bereits im Sommer 2001 legte die damalige
Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin dazu einen
Ministerentwurf vor, der aber nach dem Protest der Kirchen wieder
in der Schublade verschwand. Ende 2004 hat die EU-Kommission
Deutschland wegen der verspäteten Umsetzung vor dem
Europäischen Ge-richtshof verklagt; Der Bundesrepublik droht
nun eine Konventionalstrafe in Millionenhöhe.
Schlusslicht Deutschland
Das weiß auch die Opposition. Maria Eichhorn, Vorsitzende
der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen, und Jugend in der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, fordert deshalb auch nicht die
Abschaffung des Antidiskriminierungsgesetzes, sondern: "Zurück
in die Schublade und alles neu!" Die Bundesregierung soll "sich auf
die Umsetzung der europäischen Vorgaben" beschränken.
Rot-Grün bestreitet hingegen, dass es die EU-Vorgaben
übererfüllt. Im Kern habe man im Arbeitsrecht sogar
lediglich den Paragraphen 611a BGB um Punkte wie Alter, sexuelle
Orientierung, ethnische Herkunft ergänzt. Dies entspreche den
Regelungen, wie sie auch die anderen EU-Mitglieder getroffen
hätten.
Was beide Lager gern verschweigen: Deutschland gehört in
Sachen Antidiskriminierungsgesetz zu den Schlusslichtern der
Europäischen Union. Andere Länder gehen noch über
die Vorgaben der EU hinaus. In den Niederlanden beispielsweise gibt
es sogar mehr Merkmale, die Diskriminierung definieren. Dort fallen
auch eine Diskriminierung nach Personenstand und eine
Benachteiligung von Teilzeit- gegenüber
Vollzeitbeschäftigten unter das Gesetz. Großbritannien
wiederum räumt seinen Schiedsstellen außergewöhnlich
große Kompetenzen ein. Ein Unternehmer ist dort zur Auskunft
verpflichtet. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, drohen
Sanktionen. In Frankreich führt sogar ein hochrangiger Manager
die Antidiskriminierungsstelle. Der scheidende Renault-Chef Louis
Schweitzer leitet die "Hohe Behörde zum Kampf gegen
Diskriminierung und für Gleichheit".
Die Frage bleibt, ob das Gesetz Ungerechtigkeiten in der
Arbeitswelt (siehe Kasten) wirklich nachhaltig beseitigen kann. Die
Europa-Abgeordnete Silvana Koch-Mehrin warnt: "Die Regelungen
könnten sich zu einem Einstellungshindernis entwickeln", sagte
die FDP-Politikerin. "Recht führt zu
Bewusstseinsänderung", hält Heide Pfarr dagegen. Die
Professorin und wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der
Hans-Böckler-Stiftung beruft sich auf das seit 1980 geltende
Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts: Das Verbot "hat
den Frauen ja nicht geschadet, obwohl das auch bei Erlass dieses
Gesetzes behauptet worden war".
Das Institut für Menschenrechte, namentlich Direktor Heiner
Bielefeldt und seine Kollegin Petra Follmar-Otto, hat es in einer
Stellungnahme folgendermaßen formuliert: "Eine umfassende
Politik der Antidiskriminierung kann sich nicht in rechtlichen
Vorschriften und der Schaffung von Klagemöglichkeiten
erschöp-fen - so wichtig diese auch sind -, sondern muss
brei-ter ansetzen." Die Wissenschaftler nennen Bildung, Erziehung,
öffentliche Kampagnen und Medien, um "einen Wandel in den
Einstellungen der Menschen zu erreichen und damit auf einer Ebene
wirksam zu wer-den, die sich rechtlicher Regelung prinzipiell
ent-zieht". Sicher ist damit zweierlei. Erstens: Das
Antidiskriminierungsgesetz wird noch über Jahre umstritten
sein. Zweitens: Das Antidiskriminierungsgesetz wird noch in diesem
Jahr kommen. Es ist im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig. Stimmt
die von den unionsregierten Ländern dominierte
Länderkammer mit einfacher Mehrheit gegen das Gesetz, kann der
Bundestag mit der Kanzlermehrheit das Votum des Bundesrats
überstimmen. Die Opposition bräuchte im Bundesrat eine
Zweidrittelmehrheit, die sie aber auch nach ihrem Wahlsieg im Mai
in Nordrhein-Westfalen nicht hat.
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