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Susanne Kailitz
Editorial
Eigentlich sollte es ja gerade ruhiger werden. Die Politiker und
Gewerkschafter dieses Landes waren schon drauf und dran, sich
geistig aus dem Alltagsgeschäft in die Sommerpause zu begeben,
und die Journalisten sammelten Themen, die durch die
Saure-Gurken-Zeit hinweghelfen sollten. Doch nun ist alles ganz
anders und spannender, und es wird wieder mit Vehemenz um die
Zukunft Deutschlands gestritten. Im September 2005 wird es
vermutlich Neuwahlen geben, und bis dahin werden alle Lager ihre
Vorstellungen davon, wie es mit dem deutschen Sozialstaat
weitergehen soll, auf den Tisch legen müssen.
Man wird sich auf eine erbitterte Diskussion einstellen
dürfen. Das traditionelle Bündnis von SPD und
Gewerkschaften ist zerbrochen - gerade erst warnte IG-Metall-Chef
Jürgen Peters Kanzler Schröder davor, mit der Agenda 2010
in den Wahlkampf zu ziehen. Auch Michael Sommer erklärte, der
DGB werde keine Wahlempfehlung für Rot-Grün abgeben. Die
Gräben zwischen der Arbeiterpartei und den
Arbeitnehmervertretern sind nach der Auseinandersetzung um Hartz IV
tief - und auch die Heuschrecken-Attacke des SPD-Vorsitzenden Franz
Müntefering auf die Unternehmer konnte daran nichts
ändern. Die Grünen müssen sich bei den
Arbeitsmarktthemen erst Gehör verschaffen - und ein klares
Profil entwickeln. Obwohl sie an der Idee der Tarifautonomie
festhalten, klebt an ihnen in der Debatte um höhere
Zuverdienstmöglichkeiten für
Arbeitslosengeld-II-Empfänger ungewollt das Etikett
"Wirtschaftsliberalos".
Doch auch die Pläne von Schwarz-Gelb dürften den
Gewerkschaften nicht schmecken. Die CDU schlägt -
spätestens seit ihrem Sieg in Nordrhein-Westfalen - einen
härteren Kurs in der Arbeitsmarktpolitk ein. Lockerungen des
Kündigungsschutzes und Arbeitszeitverlängerungen sind
Konzepte, mit denen die Union schon länger liebäugelt.
Noch deutlicher werden die Liberalen: FDP-Chef Westerwelle
würde den Einfluss der Gewerkschaften lieber heute als morgen
radikal beschneiden - ganz im Sinne der Aufforderung des ehemaligen
BDI-Chefs Michael Rogowski, man müsse "Lagerfeuer machen" und
die Flächentarifverträge verbrennen. Beide haben der
vermeintlichen "Verbändemacht" und dem vielzitierten
"Tarifkartell" den Kampf angesagt.
Derart attackiert, sehen sich die Gewerkschaften als letztes
Bollwerk gegen den menschenfeindlichen Raubtierkapitalismus. Sie
halten weiter fest am Flächentarif, an Mindestlöhnen und
am Kündigungsschutz. Berthold Huber sieht im "Diktat der
Anteilseigner" eine bedrohliche Fehlentwicklung, die das System der
sozialen Marktwirtschaft zerstöre - dennoch kommt der
IG-Metall-Vize nicht daran vorbei, Abweichungen vom
Flächentarif zuzulassen. Kann das Beharren der Gewerkschaften
auf traditionellen Errungenschaften heute noch funktionieren - oder
blockiert das nicht die Unternehmen, die Arbeitsplätze
schaffen wollen? Führt der Verzicht auf Mitbestimmung zu mehr
Sicherheit, gewährt durch gnädig gestimmte
Konzernchefs?
Und wie steht es überhaupt um die Perspektive der
Organisationen selbst, die antreten, die Zukunft dieser Republik zu
retten? Noch immer haben die Gewerkschaften den Anspruch, politisch
mitzugestalten - doch ihr Einfluss schwindet mit ihren Mitgliedern.
Betriebsräte kämpfen oft an zwei Fronten: zum einen gegen
Betriebsleitungen, die ihre Arbeiter mit Drohungen zu
Zugeständnissen zwingen will, zum anderen gegen Belegschaften,
denen es nicht um das große gewerkschaftliche Prinzip, sondern
um einen sicheren Arbeitsplatz und ein vernünftiges Einkommen
geht. Können Gewerkschaften überhaupt noch eine
politische Rolle spielen - oder müssen sie sich künftig
darauf beschränken, Dienstleister beim Aushandeln von Tarifen
zu sein? Spannende Fragen in spannenden Zeiten. Ihnen will diese
Ausgabe nachgehen.
Die Autorin ist Volontärin bei "Das Parlament".
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