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Martin Gerner
Demokratische Revolution mit Hindernissen
Gekaufte Stimmen, eingeschüchterte
Wähler: Parlamentswahlen in Afghanistan
"Weitgehend friedliche und gut organisierte
Wahl, ohne Vorkommnisse in 92,7 Prozent der Wahlbüros." So
lautete vor einigen Tagen das erste offizielle Statement der rund
100 EU-Wahlbeobachter in Afghanistan nach dem Urnengang am 18.
September. Der Selbstmordanschlag in Kabul zehn Tage später
mit neun Toten und vielen Verletzten verheißt wie schon im
vergangenen Jahr nach der Präsidentschaftswahl ein
mögliches Wiederaufflammen der Gewalt, wenngleich NATO- und
US-Militärexperten die Lage noch vor Monatsfrist als
vergleichsweise stabil dargestellt hatten.
Der Anschlag ereignete sich fast parallel zum
Gartenfest in der deutschen Botschaft in Kabul. Dort hatte man den
"Tag der deutschen Einheit" wegen des bevorstehenden Ramadan-Festes
vorgezogen. Parallel sind erste Teilergebnisse der Parlamentswahl
veröffentlicht worden. Möglicherweise im Zusammenhang
damit wurde in Mazar-i-Sharif ein Kandidat mit aussichtsreichen
Chancen auf einen Sitz ermordet.
Im Übrigen zeichnet sich ab, dass einige
der langjährigen Mudschahedin-Führer, die im vergangenen
Jahr erfolglos Präsident Hamid Karsai herausgefordert hatten,
der Stimmenzahl nach die Opposition in der neuen
Nationalversammlung (Wolesi Jirga) bilden werden. Ganz vorne liegt
Berichten zufolge zur Zeit Yunus Qanuni, der mit seiner
Mehrparteien-Allianz noch am ehesten einer zu erwartenden
Karsai-Mehrheit im neuen Parlament Paroli bieten kann. Mit Mohammad
Mohaqiq und Abdul Sayaaf haben zwei weitere ehemalige
Dschihad-Kämpfer einen Parlamentssitz so gut wie sicher.
Sayaaf gilt vielen als Fundamentalist. Allen dreien werden aus den
Kriegsjahren Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Die
laxe Handhabe gegen so genannte "Warlords" und Milizenführer
mit bewaffneter Anhängerschaft war ein Grund, warum am 18.
September deutlich weniger Afghanen zur Wahl gegangen waren als ein
Jahr zuvor.
"Wir werden weiter von einem Teil der alten
Autokraten regiert", erklärt Asef Hosseini, mit 25 Jahren der
jüngste Bewerber um einen Abgeordnetensitz. Er hatte seinen
Wahlkampf unter dem Motto "Erst Brot, dann Demokratie"
geführt. "Das neue Parlament wird schwach sein",
prognostiziert er. "Machen wir uns nichts vor. Es darf zwar
über das Budget entscheiden und es kann Ministern das
Vertrauen entziehen, aber über den Abzug ausländischer
Truppen aus dem Land darf es nicht mitentscheiden."
Nach Aussage Hosseinis haben die meisten
Bürger das komplizierte Wahlsystem, das Einzelkandidaten statt
Parteien in den Vordergrund stellte, nicht angenommen. "Bis vor
wenigen Tagen waren in Kabul auf 250 von über 300 Kandidaten
keine Stimmen entfallen", sagt Hosseini. Viele Menschen hatten
keine klare Antwort auf die Frage, wofür ein Parlament
gewählt wird. "Die landesweite Informationskampagne der
Vereinten Nationen wies deutliche Mängel auf", kommentiert die
internationale Beobachtergruppe ANFREL aus Asien. Dabei war die
Wahl mit etwa 160 Millionen US-Dollar eine der teuersten in
Entwicklungsländern. Es ist fraglich, ob die Geberländer
dieses Geld beim nächsten Mal für ein fragwürdiges
Wahlsystem aufbringen werden. Auch an den offiziellen Zahlen der
UN, die von einer Wahlbeteiligung von über 50 Prozent spricht,
gibt es Zweifel in den afghanischen Medien.
Gut zwei Wochen nach der Wahl nehmen zudem
Meldungen über Unkorrektheiten und Wahlbetrug täglich zu.
"Diese Wahl hatte mehr Mängel als die
Präsidentschaftswahl im letzten Jahr", befindet ein
unabhängiger afghanischer Wahlbeobachter: "In der Provinz
Paktia haben wir Beweisfotos von Wählern, die mit bis zu einem
Dutzend Stimmkarten teilnahmen. In zwei Fällen wurden
Minderjährige an die Urne gelassen. Statt geheimer Wahl in
geschützten Kabinen wurde mancherorts an offen einsehbaren
Tischen abgestimmt. Männer und Dorfälteste brachten die
Wahlkarten ihrer Frauen und Töchter mit und stimmten für
diese mit ab." In Provinzen wie Paktia darf deshalb auch die hohe
Wahlbeteiligung von Frauen in Zweifel gezogen werden.
In mehreren Provinzen sind zudem afghanische
Wahlleiter in Diensten der UNO entlassen worden. In Mazar-i-Sharif
wurde eine afghanische UN-Mitarbeiterin suspendiert, weil sie mit
ihrem Make-up-Stift Wahlzettel zugunsten eines bestimmten
Kandidaten gefälscht hatte. In anderen Fällen ließen
sich Leiter von Wahlbüros von der lokalen Polizei und
Kommandeuren einschüchtern.
So in Jawzjan, im Nordwesten, der Hochburg
von Usbeken-General Dostum. Jegliche Opposition hat es dort schwer,
Drohung und Einschüchterung sind an der Tagesordnung. General
Dostum, dem vielfache Kriegsverbrechen zur Last gelegt werden und
der - ähnlich einem militärischen Wendehals - in den
Auseinandersetzungen der letzten 20 Jahre auf jeder Seite
gekämpft hatte, hat sein Amt in der Regierung behalten und
nicht kandidiert. Über seine Motive ist vielfach
gerätselt worden.
"Im neuen Parlament gibt es keine neue
Partei, die auch nur annähernd über ein Netzwerk wie die
alten Islamisten-Parteien verfügt", sagt der Journalist Shafiq
Hakimi. "Die meisten bestehen aus vier bis zehn Leuten ohne
wirkliche Struktur und Mittel." Es ist zu hoffen, dass die
internationale Staatengemeinschaft den wirklich unabhängigen
unter den neugewählten Parlamentariern mit Rat und Tat zur
Seite steht, wenn diese nach dem Ramadan-Fest zu ihrer ersten
Sitzung zusammenkommen. "Einige sind wie ihre Wähler
Analphabeten, viele haben keine Ahnung, wie ein
Gesetzgebungsverfahren funktioniert. Woher auch", sagt ein
Beobachter und fügt hinzu: "Andere haben Flausen im Kopf.
Mancher träumt von Ruhm und einem Dienstwagen in Kabul, sobald
er gewählt ist."
Tatsächlich fördert das Wahlsystem,
mit dem Karsai die alten Parteien soweit als möglich
atomisieren will, Egoismus statt Altruismus. Wer viel Geld hatte,
war im Vorteil. "In Kandahar haben Kandidaten Handys und Uhren an
Wähler verteilt", berichtet Qamar Wakili, selbst Kandidatin
dort. "Ich kaufe Stimmen mit Geld", gestand ein Kandidat in Kabul
offreimütig ein, sichtbar stolz auf seinen neuen Reichtum aus
dem Baugewerbe.
Das alles sind Beobachtungen eines Landes im
Umbruch, das qua Verfassung die schwierige Balance zwischen
westlicher Rechtsstaatlichkeit und islamischem Recht herstellen
soll. Dabei braucht Afghanistan Zeit. Andererseits ist das Land
schon ein ganzes Stück weit gekommen. "Ich sehe hier
wesentlich mehr politische Freiheit als in meiner Heimat", meint
Amir, Journalist aus dem Iran. Eine Aussage, die auch andere
Nachbarn Afghanistans vier Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes
machen. Nach den bisher ausgezählten Stimmen befindet sich in
vielen Provinzen eine Frau unter den drei führenden
Kandidaten. Im neuen Parlament sind 68 von 249 Abgeordneten - 27
Prozent - Frauen. Für ein Land wie Afghanistan ist das eine
kleine Revolution.
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