Barbara Minderjahn
Geschrumpftes Vertrauen
EU-Atomstreit mit dem Iran
Dass sich unter Präsident Mahmud Ahmadinedschad im Iran
viel verändern würde, haben die meisten Beobachter
befürchtet. Dass auch die EU ihre konziliante Haltung
gegenüber dem islamischen Land so schnell aufgeben könnte
- damit haben auch nach der Wahl des Ultrakonservativen zum neuen
Präsidenten wohl nur wenige gerechnet. Noch vor rund zwei
Monaten sagte die Grünen-Politikerin Angelika Beer,
Vorsitzende der Iran-Delegation des Europaparlaments: "Die
Amerikaner müssen die Wirtschaftssanktionen gegen Iran
aufheben und dem Land eine Sicherheitsgarantie geben." Doch bei der
jüngsten Gouverneursratssitzung der Internationalen
Atomenergiebehörde (IAEA) am 24. September waren es gerade die
EU-Staaten, allen voran England, Deutschland und Frankreich, die
forderten, den UN-Sicherheitsrat sofort einzuschalten. Dies
wäre der erste Schritt auf dem Weg zu Sanktionen gewesen.
Die Kritiker des EU-Vorschlags, wie zum Beispiel China, Russland
und Indien, haben erreicht, dass der Rat nach zähen
Diskussionen nur eine abgeschwächte Resolution verabschiedet
hat. Außenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die
Grünen) sagte, der Beschluss der IAEA sei "ein
überzeugendes Ergebnis und ein klares Signal an Teheran".
Die Resolution verurteilt den Iran wegen seines Atomprogramms
und listet zahlreiche Verstöße gegen das so genannte
Sicherheitsabkommen zwischen dem Iran und der IAEA auf,
verlängert aber die Frist für diplomatische Verhandlungen
um einen weiteren Monat.
Die harte Position Irans ist nicht neu
Doch es bleibt offensichtlich: Der Streit um das Atomprogramm
des Irans hat sich in den letzten Monaten drastisch zugespitzt. Der
Grund dafür sind die jüngsten atompolitischen Schritte
der iranischen Regierung, betonen die Europäer. Anfang August
hatte der Iran die Uranumwandlungsanlage in Isfahan wieder in
Betrieb genommen, wo eine Vorstufe des umstrittenen angereicherten
Urans hergestellt wird - Uran, das nicht nur für
Kernkraftwerke, sondern auch für Atomwaffen genutzt werden
kann.
Aufgrund der Verhandlungen zwischen der alten iranischen
Regierung unter Präsident Chatami und Deutschland, Frankreich
und Großbritannien hatte die Produktion in Isfahan jahrelang
geruht. Die neue iranische Regierung besteht dagegen darauf, einen
eigenen und vollständigen nuklearen Brennstoffkreislauf zu
entwickeln und hat bereits angekündigt, weitere Anlagen zu
eröffnen. Die Iraner lehnten sogar das Angebot der
Europäer ab, die wirtschaftliche und politische
Unterstützung zugesagt hatten, sollte das islamische Land auf
sein umstrittenes Atomprogramm verzichten. Man tausche keine "Perle
gegen Schokoladenriegel" begründete der konservative neue
iranische Atomunterhändler Ali Larijani die Absage.
Die Haltung der neuen iranischen Führungsriege wirkt
kompromisslos. Dabei ist die Forderung, Uran anreichern zu
dürfen, weder neu, noch allein eine Position der
Ultrakonservativen. Im Gegenteil: Selbst die progressive Jugend
glaubt, dass das iranische Atomprogramm eine Frage vom nationalen
Interesse sei und lehnt die Einmischung der internationalen
Gemeinschaft ab. In den vergangenen Wochen haben junge Menschen
sogar für die harte Haltung in der Atomfrage demonstriert.
Die Bevölkerung stützt die Regierung
Genau wie die Regierung betonen die Menschen, dass es nicht um
den Bau von Atomwaffen gehe, sondern allein darum, genügend
Strom zu erzeugen. Da die meisten Kernkraftwerke mit angereicherten
Uranbrennstäben arbeiten, sei das Programm eine Voraussetzung
dafür, das Land wirtschaftlich zu entwickeln. Wenn es die
internationale Gemeinschaft den Iranern verbiete, selbst Uran
anzureichern, dann nur aus eigenen wirtschaftlichen Gründen
und weil sie das Land abhängig vom Ausland halten wolle. Denn
ohne Urananreicherung müsse der Iran die Kernbrennstäbe
aus dem Ausland exportieren.
Die iranische Regierung unter Präsident Ahmadinedschad hat
in der Atomfrage also im Grunde keine neue Haltung, sondern sie
verteidigt die bestehende Position lediglich härter und
kompromissloser als es Präsident Chatami getan hat. Genau das
erwartet die Mehrheit seiner Wähler von ihm, und das hat auch
psychologische Gründe. Iraner sind stolz. Sie sehen sich als
jahrhundertealte Kulturnation und wenn man vom Alltagsverhalten auf
Kultur schließen kann, so kann man diesen Anspruch nur
unterstreichen. Iraner verhalten sich im täglichen Miteinander
höflich, rück-sichtsvoll und äußerst
zivilisiert. Trotzdem gilt ihr Land als "Schurkenstaat", und unter
dem Motto Toleranz zwingt man ihnen gern westliche Regeln auf.
Wenn bei diplomatischen Empfängen beispielsweise Wein
gereicht wird oder Männer den Frauen zur Begrüßung
die Hand reichen, hat ein traditionell denkender Iraner die Wahl,
seine kulturellen und religiösen Werte zu übertreten oder
unhöflich zu sein - beides bedeutet Gesichtsverlust. Den habe
man in den letzten Jahren viel zu oft hingenommen, so die Stimmung
im Lande.
Auch die internationale Auseinandersetzung über das
iranische Atomprogramm wird von vielen in diesem Zusammenhang
gesehen. Sie empfinden es daher als wichtig, dass der neue
iranische Präsident in all diesen Fragen eine härtere
Politik verfolgt als sein Vorgänger.
Dem alten Präsidenten Chatami hätten die Europäer
vielleicht noch geglaubt, dass auch die jüngsten
atompolitischen Schritte des Irans keine Gefahr für die Welt
bedeuten. Dem konservativen Präsidenten Ahmadinedschad glauben
sie es nicht. Der sich zuspitzende Streit ist auch ein Zeichen
für geschrumpftes Vertrauen.
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