Jens Mattern
Polen auf dem Weg zur "vierten Republik"
Neue rechtskonservative Regierungskonstellation
bringt wohl Abkühlung zwischen Warschau und Berlin
Ein Sieg für die Rechten und eine
Niederlage für das Demokratieverständnis: In Polen wird
wie erwartet eine Koalition zwischen der nationalkonservativen
Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) mit 27 Prozent der Stimmen
und der liberalkonservativen "Bürgerlichen Plattform" (PO) mit
24,1 Prozent der Stimmen die Regierung bilden. Zusammen haben sie
rund 60 Prozent der Wahlwilligen hinter sich, jedoch nur ein
Fünftel der Wahlberechtigten. Mit 40 Prozent hatte das Land
die schwächste Wahlbeteiligung seit 1989.
Die abgewählte Minderheitsregierung
trägt in den Augen der polnischen Kommentatoren eine
Teilschuld an der Niederlage. Denn sie hatte wegen Affären und
Korruption schon lange das Vertrauen der Wähler verloren.
Dennoch erreichte die "Demokratische Linksallianz" (SLD) mit 11,4
Prozent ein überraschend gutes Ergebnis: Der 31-jährige
Wojciech Olejniczak verwies auf die "Gnade der späten Geburt"
und distanzierte sich als neuer Parteichef erflogreich von den
Korruptionssünden seiner politischen Väter. Ein Zehntel
Prozent mehr erreichte die "Selbstverteidigung", die Hauspartei des
Radikal-Bauerns Andrzej Lepper, der den sozialistischen
Verteilerstaat propagiert. Ins Parlament schaffte es auch die
nationalklerikale Gruppe "Liga Polnischer Familien" (LPR) und die
traditionelle Bauernpartei PSL. Am 19. Oktober wird sich der
polnische Sejm konstituieren.
Davor steht eine weitere Entscheidung an - am
9. Oktober und vielleicht in einer zweiten Tour am 23. Oktober
bestimmen die Polen ihren Präsidenten. Auch hier gelten als
einzige Favoriten Vetreter der Gewinnerparteien in den
Parlamentswahlen: Donald Tusk, der Parteichef der PO, sowie Lech
Kaczynski, PiS-Politiker und Präsident der Stadt Warschau. Der
beliebte Staatspräsident Aleksander Kwasniewski darf nicht ein
drittes Mal antreten.
Der schwindende Vorsprung von Tusk verspricht
nochmal einen harten Wahlkampf, und Wahlkampf bestimmt das
politische Leben des Landes schon lange. Seit Anfang 2004 verharrte
die linke Regierung im Umfragetief, verzögerte aber mehrmals
anfangs versprochene vorgezogene Neuwahlen.
So regierte der eher schnörkellose
Ökonom Marek Belka nach dem Rücktritt von Leszek Miller
im Mai 2004 bis September diesen Jahres das Land; von
Staatspräsident Aleksander Kwasniewski vorgeschlagen und nach
langem Prozedere im Amt bestätigt. Belka ist seit Mai Mitglied
der Partei "Die Demokraten" - Polen hatte somit einen
Regierungschef, der in den letzten vier Monaten seiner Amtszeit
einer außerparlamentarischen Opposition angehörte. Die
Partei scheiterte bei den Parlamentswahlen an der
Fünf-Prozent-Hürde. Dennoch hatten die kleinen Parteien
durchaus ihre Chance. Parteienvertreter der ersten und zweiten
Reihe stellten sich an mehreren Abenden auf Marktplätzen von
konjunkturschwachen Provinzstädten den bohrenden Fragen der
Fernsehjournalisten und den oft zornigen Reaktionen des Publikums,
was zur besten Sendezeit direkt übertragen wurde.
PiS und PO entstanden beide als eine Art
Bürgerrechtsbewegung. Sie gründeten sich 2001 aus der
damals glücklos regierenden AWS "Wahlaktion Solidarnosc" aus.
Die PiS - von den Zwillingen Jaroslaw und Lech Kaczynski entworfen
- hatte anfangs vor allem das Profil "Verbrechensbekämpfung";
die PO orientierte sich wirtschaftspolitisch am Großbritannien
Margaret Thatchers und verwahrte sich gegen den Einfluss der
Gewerkschaften auf die Wirtschaft.
Gemeinsames Fundament der beiden
Koalitionsparteien ist die Bekämpfung des unsauberen
Interessengeflechts von Geschäftsleuten, Politikern und
Geheimdienstmitarbeitern, das schon Gegenstand von
parlamentarischen Untersuchungsausschüssen war und
ist.
Die Kaczynskis kündigen nun eine neue
Zäsur an, sprechen von der Gründung einer "vierten
Republik", nähren die Utopie eines gerechten Polens. Als
"dritte Republik" gilt die Zeit nach der Wende 1989, in der
verhindert worden sei, mit der kommunistischen Vergangenheit
wirklich abzurechnen. Eine neue Untersuchungskommission mit vielen
Vollmachten unter anderem mit Zugang zu allen Geheimdienstakten
soll den polnischen Staat gründlich durchleuchten. Zudem sehen
die Pläne der PiS die Gründung eines Antikorruptionsamtes
vor. Die liberale PO will jedoch lieber Ämter wie Ministerien
reduzieren und die Staatskassen durch Entbürokratisierung
entlasten.
Vor allem bei der brennendsten Frage des
Landes unterscheiden sich jedoch die Lösungsvorschläge
beider Parteien deutlich: Seit Jahren bewegt sich die
Arbeitslosenquote bei 18 bis 20 Prozent; unter den bis
25-Jährigen sind 40 Prozent ohne Erwerb.
Das marktradikale Ziel der PO, einen
15-prozentigen allgemeinen Steuersatz einzuführen, wird die
Partei mangels Mehrheit kaum verwirklichen können. Die PiS
sieht wiederum den Staat wirtschaftspolitisch in der
Fürsorgepflicht. Sie wurde darum auch von der Gewerkschaft
Solidarnosc unterstützt, die wegen der Feierlichkeiten zu
ihrem 25. Jubiläum in der polnischen Öffentlichkeit
wieder mehr Aufmerksamkeit genießt.
In der letzten Phase des Wahlkampfes, der
durchgehend von der Frage nach der Präsidentschaft dominiert
wurde, trugen die Vertreter der zukünftigen "polnischen
großen Koalition" die Differenzen über das "liberale"
oder "nationalsolidarische" Konzept verschärft in der
Öffentlichkeit aus.
Im Kampf um die Stimmen spannte die PiS auch
den xenophoben Medienpriester Tadeusz Rydzyk ein, der über
seinen Sender "Radio Maryja" dazu aufrief, PiS zu wählen und
die Liberalen zu "versenken".
Doch im Unterschied zum Streit um die
Kanzlerschaft in Deutschland erbost die PiS ihren Partner gerade
mit dem Rückzug des Kandidaten für den Posten des
Regierungschefs. Jaroslaw Kaczynski enthüllte nach der Wahl,
er werde nicht wie angekündigt Premier werden. Stattdessen
soll dieses Amt Kazimierz Marcinkiewicz besetzen, ein eher
unscheinbarer Wirtschaftsexperte der Partei. So soll verhindert
werden, dass die polnischen Wähler ein Kaczynski-Doppelpack an
der Spitze des Staates befürchten und Donald Tusk die
Präsidentenwahl gewinnt. Zumal Jaroslaw Kaczynski im Gegensatz
zu seinem Bruder, über keine Regierungserfahrung besitzt,
sondern 16 Jahre Oppositionspolitik betrieb.
Bei einer weiteren Verschärfung zwischen
beiden Lagern könnte ein Präsident Donald Tusk die
Politik der PiS-geführten Regierung sabotieren. Denn das
Staatsoberhaupt besitzt nach polnischer Verfassung die
Möglichkeit, Gesetzesentwürfe durch ein Veto zu
boykottieren und teilt sich mit Premier und Außenminister das
Feld Außenpolitik, wobei dort die Komptenzgrenzen vage
sind.
Nach Ansicht von Witold Gadomski, dem
Kommentator der auflagenstarken "Gazeta Wyborcza", werden sich die
Rechtspopulisten nicht so strikt an ihr Programm halten
können, da es zu viele Versprechungen enthalte, die sich nicht
wahr machen ließen. Zudem enthalte es viele Elemente, die auch
die postkommunistische Partei SLD vor vier Jahren in ihrem Programm
aufgeführt hatte.
Was jedoch die Außenpolitik betrifft,
wird der angekündigte harte Verhandlungsstil wohl in die Tat
umgesetzt werden. Im Wahlprogramm der PiS kommt der Name
"Deutschland" nur als Bedrohung in Verbindung mit Russland vor.
Nach Jaroslaw Kaczynski soll die geplante Ostsee-Pipeline, die Gas
von Russland nach Deutschland unter Umgehung Polens leiten soll,
verhindert werden. Nach der PiS müsse Polen eine Politik der
"Stärke" betreiben, am liebsten in einem Europa der
Vaterländer.
Es ist darum nicht sehr spekulativ zu
befürchten, dass das Feld der Außenpolitik zur Ablenkung
von innenpolitischen Problemen dienen wird. Ein von der CDU/CSU
geführtes Deutschland wird immerhin von den Politikern der PO
begrüßt, beide Parteien sind Mitglieder in der Fraktion
der Europäischen Volkspartei (EVP). Zudem wird sich die PO in
Brüssel dafür einsetzen, eine einheitlich
europäische Politik gegenüber Russland zu betreiben,
sowie die Anbindung der Ukranie an die EU zu forcieren.
Es bleibt aber abzuwarten, ob Donald Tusk die
angekündigte Politik des Dialogs mit Deutschland wirklich
durchsetzen kann. Ihm und Jan Rokita - ebenfalls von der PO -
wurden nach der Wahl die gleichen Vorbehalte wie Angela Merkel
gemacht: zu wenig volksnah, sie hätten soziale Kälte
ausgeströmt. Donald Tusk und Jan Rokita stehen daher unter
Druck. Und als weiterer deutsch-polnischer Stolperstein gilt das in
Berlin geplante "Zentrum gegen Vertreibungen". Die Gebrüder
Kaczynski wollen es durch die Forderung von Kriegsreparationen
verhindern. Allgemein stößt das vom Bund der Vertriebenen
geforderte Projekt bei Politikern aller Parteien auf Ablehnung. Es
war darum immer geeignet, einen nationalen Konsens gegen einen
Feind von außen herbeizuführen.
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