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Ursula Homann
Antisemitismus, Antizionismus und
Israelkritik
Das neue Tel Aviver Jahrbuch für deutsche
Geschichte
In Europa hat der Antisemitismus offensichtlich wieder Auftrieb
gewonnen und einen neuen Verbündeten noch dazu: den
islamistisch motivierten Judenhass. Auffallend ist, dass sich
sowohl die Träger der antisemitischen Rhetorik als auch deren
Kritiker mit Vorliebe der Kategorien des Antizionismus und der
politischen Israelkritik bedienen und diese im
ressentimentgeladenen Affekt nicht selten durcheinander
bringen.
Hier gilt es, Klarheit zu schaffen. Darum bemühen sich auch
die Mitarbeiter des neuen Tel Aviver Jahrbuchs für deutsche
Geschichte in recht unterschiedlichen, nicht immer leicht zu
lesenden Beiträgen. Dass dieses Vorhaben kein leichtes
Unterfangen ist, versteht sich fast von selbst. Schließlich
muss zwischen Judentum, Zionismus und Israel sorgfältig
unterschieden werden. Denn nicht alle Juden sind Zionisten, nicht
alle Zionisten Israelis und nicht alle Israelis Juden. Auch kann
man Israel durchaus kritisieren und den Zionismus skeptisch
hinterfragen, ohne deswegen gleich antisemitisch oder
antiisraelisch zu sein. Zudem mag man Juden gegenüber
Vorbehalte haben und Israel dennoch hoch schätzen.
Fürwahr, die Lage ist kompliziert. Natürlich
können Israelkritik und Antizionismus Spuren des
Antisemitismus aufweisen. Aber wer sich kritisch mit Israel und dem
israelisch-palästinensischen Konflikt auseinander setzt, darf
nicht gleich, warnt Herausgeber Moshe Zuckermann, des
Antisemitismus verdächtigt werden. Auf berechtigte Kritik an
Israel dürfe gleichwohl nicht verzichtet werden. Auch gehe es
nicht an, das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen. Oft
spielten in Debatten über Nahost auch deutsche
Befindlichkeiten eine Rolle, da die Shoa-Erfahrung das
Verhältnis zwischen Juden und Deutschen belastet, mit Tabus
und Denkverboten auf der einen und dem Drang nach "Normalisierung"
auf der anderen Seite.
Obwohl es bei den Auseinandersetzungen zwischen Israelis und
Palästinensern, so John Bunzl (Wien), um reale Konflikte geht,
schöpften islamische Antizionisten immer wieder aus dem
Repertoire europäisch-christlicher Antisemitismen. Georg Kreis
von der Universität Basel weist auf die Unangemessenheit
mancher Vergleiche hin, durch die beispielsweise Ariel Sharon, aber
auch andere Personen bis hin zu Arafat schnell zu kleineren und
größeren Hitlers gemacht werden. Gefordert seien mithin
offene Debatten und kritische Dialoge ohne Rücksichten darauf,
dass sich Antisemiten dadurch ermuntert fühlen
könnten.
Helga Embacher von der Universität Salzburg stellt in
Frankreich und Großbritannien große Unsicherheiten im
Umgang mit dem islamischen Antisemitismus fest. Juliane Wetzel
(Berlin) wiederum beleuchtet den schwierigen Umgang mit dem
Antisemitismus in der EU. Aufschlussreich ist ebenfalls die
Untersuchung von Klaus Hödl und Gerald Lamprecht (Graz)
über das hartnäckige Fortleben antisemitischen Denkens in
Österreich nach 1945.
Heidemarie Uhl (Wien) beschäftigt sich in ihrem Aufsatz
"Deutsche Schuld, deutsches Leid" mit neuen Tendenzen in der
deutschen Erinnerungskultur, die durch das aktuell gewordene Thema
"Flucht und Vertreibung" ausgelöst worden sind. Gerhard
Handloser (Freiburg) stellt die theoretischen Voraussetzungen,
Intentionen und Apriorismen dar, die zu bestimmten Positionen und
Haltungen von Linksradikalen und Kommunisten hinsichtlich des
Palästina-Konflikts geführt haben, während Volker
Weiß (Hamburg) die antizionistische Rezeption des
Nahostkonflikts in der militanten deutschen Linken unter die Lupe
nimmt.
Die mit der brisanten Problematik wohl vertrauten Autoren nehmen
ausgiebig Bezug auf jüngste Antisemitismus-Studien,
internationale Berichterstattung, Vorträge und Leserbriefe.
Sie argumentieren sachkundig und gewissenhaft, aber mitunter auch
etwas umständlich. Für Leser, die sich in der
wissenschaftlichen Diktion nicht allzu gut auskennen, ist es keine
leichte Kost. Selbst wer des Englischen mächtig ist,
dürfte sich mit den in englischer Sprache abgefassten
Beiträgen als Nichtwissenschaftler schwer tun. Gleichwohl
ermöglichen die Studien informative, facettenreiche Einblicke
in die Komplexheit der angeschnittenen Probleme und gewährt
jenen, die sich damit noch näher befassen möchten, mit
Literaturhinweisen und Anmerkungen viele Anregungen.
Moshe Zuckermann (Hrsg.)
Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte XXXIII
(2005).
Wallstein-Verlag, Göttingen 2005; 442 S., 44,-
Euro
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