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Konrad Watrin
Ein eiskalter und rücksichtsloser
Opportunist der Macht
Vom Krieg getrieben - Johannes Willms über
den Kaiser der Franzosen
Die Revolution war seine Chance. Doch: "Man darf den
Fürchterlichen so leicht nicht richten, als es die meisten
tun, in Hass und Liebe", befand 1806 in einer anti-napoleonischen
Schrift der Dichter Ernst Moritz Arndt, spätere Urteile
über den Kaiser der Franzosen vorweg nehmend. Schließlich
trüge er "das Gepräge eines außerordentlichen
Menschen, eines erhabenen Ungeheuers". Klug war auch, wie
Preußens Königin Luise 1808 auf dem Höhepunkt der
imperialen Entfaltung dessen Untergang ahnte: "Er und sein
unangemessener Ehrgeiz meint nur sich selbst und sein
persönliches Interesse ... Dabei ist er ohne alle
Mäßigung, und wer nicht Maß halten kann, verliert
das Gleichgewicht."
Zeitgenossen und Nachwelt beurteilten Napoleon Bonaparte (1769 -
1821) ganz unterschiedlich. Manch einer hob dessen Beitrag zur
Verbreitung der Ideen der Französischen Revolution wie
Menschenrechte, Demokratie und Freiheit hervor. Andere sahen in ihm
den rücksichtslos-genialen Eroberer und Wüterich, der die
Grande Armee in Russland zugrunde gehen ließ - einen an seiner
Hybris gescheiterten Militär.
Als Inkarnation des Bösen stellte ihn der Schriftsteller
Chateaubriand (1814) dar: "Bonaparte ist auf falsche Art und Weise
ein großer Mann. Die Großzügigkeit, welche die
wahren Helden und Könige auszeichnet, fehlt ihm. Die Natur
schuf ihn ohne Liebe und Mitleid." Goethe hingegen erblickte in ihm
eine Gott ähnliche Erscheinung: "Sein Leben war das Schreiten
eines Halbgottes von Schlacht zu Schlacht, von Sieg zu Sieg."
Victor Hugo verteidigte ihn 1841 ebenso: "Dieser Mann war ein Stern
seines Volkes und dann seine Sonne geworden. Es war kein
Verbrechen, sich von ihr blenden zu lassen."
Faszination und Furcht fallen auch im Urteil seines
jüngsten Biografen, des Pariser Kulturkorrespondenten und
früheren Feuilletonchefs der "Süddeutschen Zeitung",
Johannes Willms, zusammen. Wozu aber eine weitere Biografie
über den Korsen, diesen "kleinwüchsigen
Artillerieoffizier mit dem lächerlichen Namen und dem
linkischen Auftreten", dessen ungetreue Geliebte, die Creolin
Josephine, die auch seinem Gönner Paul Barras, Oberkommandeur
von Paris, ihre Gunst gewährte, nicht unerheblich zu Napoleons
gesellschaftlichem Aufstieg beitrug? Die Antwort mag
persönliche Gründe haben oder in der Tatsache
begründet liegen, dass wir so wenig Furcht
einflößende Macht verspüren, zumindest hier zu
Lande. Oder auch zu viel, sei es im neo-imperialen Ausgreifen eines
Bush, in dem manch einer bereits einen bonapartistischen Texaner
erblickt, sei es im Polit-Oligarchentum eines Putin.
Abgesehen von seiner Faszination von diesem Opportunisten der
Macht verrät uns Willms nichts von seinem
erkenntnistheoretischen Ansatz. Mag seine Darstellung
wissenschaftlich wenig Neues erbringen - ein grandioser
erzählerischer Wurf ist sie allemal. Gerne schwelgt der Autor
in wundersam altmodischer Sprache und francophilen Galanterien, von
der "Grande Nation" über die "grande terreur" und "querelles
allemandes" bis zu diversen Arten von "mailaise" - wie weiland im
gebildeten Kaiserreich und das ist angenehm zu lesen. Dies macht
auch manche Längen in der nicht allein chronologisch, sondern
thematisch strukturierten 800-seitigen Darstellung verzeihbar.
In drei Büchern ("Zauberlehrling", "Diktator", "Imperator")
schildert Willms den atemberaubenden Werdegang des Korsen, der sein
militärisches Glück zu Revolutionszeiten politisch
nutzte: von den zahllosen Schlachten, mit denen er den
anti-revolutionären Pariser Aufstand 1795 ebenso niedermachte
wie er auch das nach Robespierre amtierende Direktorium an die Wand
spielte, über den (schon von Marx so genannten) Staatsstreich
des 18. Brumaire bis zum tyrannischen Emporkömmling, der sich
an den alten Monarchien messen mochte und im Cäsarenwahn
über Europa herfiel.
Denn jede Schlacht war gleichsam Vorspiel zur nächsten.
Bravourös vertreibt der Autor dabei den ganzen unvermeidlichen
Pulverdampf und Schlachtenlärm, zerreißt kritisch die
Propaganda und Lügengespinste. Anschaulich vermittelt ist auch
die Verschränkung seiner innenpolitischen Ambitionen mit den
militärischen, außenpolitischen Taten, die letztlich zum
Kollaps des ganzen napoleonischen Unternehmens führten.
Verdienstvoll sind auch die Verweise auf Langzeitfolgen wie die
"halbherzige Modernisierung der Rheinbundstaaten" und Napoleons
"Konzessionen an den mediatisierten Adel, mit denen er sich am
Geiste der Revolution versündigte". So konnte der Adel in den
Rheinbundstaaten - für den plündernden Hasardeur die "mit
weitem Abstand ergiebigsten Milchkühe" - seine soziale
Ausnahmestellung bis ins 20. Jahrhundert aufrecht erhalten.
Doch wie kommt der Verlag darauf, dies sei die erste
Napoleon-Biografie aus deutscher Feder seit über 100 Jahren?
Da fallen einem mindestens die Arbeiten von Franz Herre (1988) oder
Eckart Kleßmann (2002) ein, selbst der alte Friedrich Sieburg
(1963), wenngleich sie alle kaum vergleichbar sind mit Willms'
Quellen gesättigtem voluminösen Entwurf.
Johannes Willms
Napoleon. Eine Biographie.
Verlag C. H. Beck, München 2005; 839 S., 34,90
Euro
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