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Tom Rolff
Vorschriften auf dem Prüfstand
Europäische Kommission will Bürokratie
abbauen
Es ist nicht das erste Mal, dass die Bürokraten in
Brüssel ihre eigene Bürokratie unter Beschuss nehmen.
Bereits in der letzten Kommission un-ter dem Italiener Romano Prodi
hatten die Kommissarinnen und Kommissare versucht, sich gegen ihren
Apparat durchzusetzen - mit gemischten Ergebnissen. Jetzt haben
Kommissionspräsident José Manuel Barroso und sein
mächtigster Vize, Industriekommissar Günter Verheugen,
die Entbürokratisierung zur Chefsache erklärt. Nach der
Überprüfung von 183 EU-Rechtsvorschriften hat die
Kommission jetzt beschlossen über ein Drittel dieser
Gesetzesvorhaben, insgesamt 68, aus dem Verkehr zu ziehen. Bei den
allermeisten der Vorlagen, die in den Papierkorb wanderten, handelt
es sich um Texte, die durch die Entwicklung überholt worden
sind, rund die Hälfte davon durch die Erweiterung der EU im
vergangenen Jahr.
"Wir wollen Wachstumskräfte in der Wirtschaft freisetzen,
die durch zu viele oder zu komplizierte Vorschriften gehemmt sind",
sagt Verheugen. Die EU soll das Image des "regulierungswütigen
bürokratischen Monsters" verlieren. Die Kommission will damit
auch dem Eindruck entgegentreten, die von der Verfassungskrise
paralysierte Union sei politisch nicht handlungsfähig.
Außerdem brauche der Binnenmarkt auch in Zukunft einen
zuverlässigen Rechtsrahmen, so Verheugen.
Der soll allerdings regelmäßig überprüft und
notfalls gelichtet werden - in einem dreistufigen Verfahren.
Zunächst sollen alle Gesetzesvorhaben nach entbehrlichen
Vorschriften durchforstet werden, danach wollen sich die
Kommissarinnen und Kommissare die bestehenden Richtlinien und
Verordnungen vornehmen, schließlich sollen ihre Beamten bei
neuen Texten größere Sorgfalt walten lassen. Vor allem
sollen sie sich mehr Gedanken darüber machen, was neue
Vorschriften für die Unternehmen bedeuten.
Die jetzt von der Kommission beschlossene
Entrümpelungsaktion betrifft nur solche Texte, die dem
Ministerrat und dem Parlament bis Ende 2003 zugeleitet und noch
nicht beschlossen worden sind.
Nach dem EU-Vertrag kann die Kommission das ihr zustehende
Initiativrecht (danach ist alleine sie befugt, Rechtstexte
vorzuschlagen) jederzeit ausüben und Texte zurückziehen.
Im Europäischen Parlament stößt das überwiegend
auf ein positives Echo, politisch fühlen sich manche
Abgeordnete allerdings übergangen. Dass man über die
Pläne der Kommission aus den Zeitun-gen erfahren habe,
verstoße gegen die bestehenden Vereinbarungen zwischen
Kommission, Rat und Parlament, beschwerte sich der
sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Martin Schulz.
Doch auf der linken Seite des Parlaments ist auch Kritik an der
Entbürokratisierung zu hören. Dort fürchtet man,
dass dem neuen Kurs der Kommission anspruchsvolle Sozialstandards
zum Opfer fallen könnten. Konservative und Liberale
unterstützen die Kommission dagegen in ihrem Bemühen, die
Bürokratie innerhalb der Union anzubauen - jedenfalls im
Prinzip. Was Verheugen jetzt vorgelegt habe, sagt Hartmut Nassauer
(EVP/DE), könne nur "der Anfang auf dem Weg zum
Bürokratieabbau sein". Das hat der Kommissar auch versprochen.
Noch im Oktober will er die ersten Rechtsakte benennen, die schon
in Kraft sind und gestrichen werden sollen.
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