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Krsten Burkschat
Experimente am lebenden Objekt
Niedersachsen: Regierung probt den Verkauf der
Landeskrankenhäuser
Die Landesregierung hat beschlossen, die
Landeskrankenhäuser zu privatisieren", mit dieser schlichten
Mitteilung überraschte das Kabinett im Juli alle Beteiligten.
Auf einen Streich sollen 2006 in einer europaweiten Ausschreibung
alle zehn psychiatrischen Kliniken in Niedersachsen zum Verkauf
angeboten werden. Es geht um 4.000 Betten und 6.400 Mitarbeiter.
Erhoffter Erlös: 125 Millionen Euro. Finanzminister Hartmut
Möllring kann zufrieden, Sozialministerin Ursula von der Leyen
erleichtert sein. Hatte der Landesrechnungshof doch erst im
Frühjahr die Führung und Steuerung der Häuser
bemängelt. Zudem fehlt es an Geld für Investitionen.
Starke Partner sollen helfen, die Wettbewerbsfähigkeit und
Qualität der Psychiatrie zu sichern. Von der Leyen betonte,
dass sich das Land nicht aus der Verantwortung für den
Maßregelvollzug herausziehen werde.
Doch genau diesem Vorwurf sieht sie sich jetzt ausgesetzt. Die
Opposition im Landtag sieht in dem Vorhaben einen Rückschritt
für die psychiatrische Versorgung. "Wo es um Eingriffe in die
Freiheitsrechte geht, darf sich der Staat nicht einfach der Dinge
entledigen", beklagt die sozialpolitische Sprecherin der
Grünen, Ursula Helmhold. Sie befürchtet, dass private
Betreiber ihren Gewinn nur durch Abbau von Arbeitsplätzen und
Behandlungsstandards erzielen könnten. Im Maßregelvollzug
sei zudem die Versuchung groß, durch langfristige Verwahrung
von Patienten die Auslastung zu sichern. SPD und Grüne sehen
die Zerstörung der sozialpsychiatrischen Netzwerke kommen und
warnen vor der Entstehung großer Krankenhauskonzerne mit
angeschlossenen Heimen. Und sie haben sicherheitspolitische
Bedenken. In den meisten Kliniken ist die kassenfinanzierte
Psychiatrie untergebracht sowie forensiche Abteilungen mit
psychisch kranken Straftätern. Hier geht es auch um staatliche
Hoheitsrechte und die Verfassungsmäßigkeit.
Verantwortung des Staates
Diese Frage hat nun alle Fraktionen auf den Plan gerufen. Die
Landtagsjuristen prüfen jetzt, inwieweit durch den Verkauf der
Kliniken Grundrechtsfragen und Hoheitsrechte berührt oder
verletzt würden. Es gibt dazu aber weder Urteile noch
Präzendenzfälle. Der Landesrechnungshof hat dazu eine
klare Linie: "Krankenversorgung ist keine Kernaufgabe des Staates",
urteilt Vizepräsident Fritz Müller. Dem widerspricht aber
Siegfried Broß, Richter am Bundesverfassungsgericht in
Karlsruhe und sagt: "Der Staat muss an seine Verantwortung erinnert
werden, die ihm aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 GG
erwächst. Sie verbietet es, dass er sich zu der Wahrnehmung
solcher Aufgaben privater Dritter bedient, die er nicht voll
beherrscht." Seine Meinung könnte Gewicht bekommen, denn
Flensburger Richter hatten sich jüngst geweigert, der
Eintragung einer privatisierten psychiatrischen Klinik zuzustimmen,
mit dem Hinweis auf die Verletzung der hoheitlichen Aufgaben des
Staates. Der Fall ist auf dem Weg nach Karlsruhe, zu Herrn
Broß.
Die FDP übt Zurückhaltung. Abzuwägen seien
verschiedene Verfassungsgrundsätze, so die
FDP-Sozialpolitikerin Gesine Meissner, "ökonomisches Denken
darf am Ende nicht Bürger- und Freiheitsrechte
gefährden". Von der Leyens Staatssekretär Gerd Hoofe
versucht mittlerweile die Sache zu differenzieren und spricht von
Missverständnissen. Zweifelsfrei sei, "dass die allgemeine
Psychiatrie ohne wenn und aber an private Dritte übertragen
werden kann". Den Bereich des Maßregelvollzugs wolle man aber
gar nicht komplett veräußern. "Wir wollen private Dritte
dort mit einbeziehen, wo es um nicht-grundrechtsrelevante
hoheitliche Aufgaben geht, also bei Dienstleistungen wie
Gebäudemanagement, Service, Wäscherei."
Eine Teilung in eine privat geführte Psychiatrie und einen
staatlich geführten Maßregelvollzug bezeichnet der
Direktor des Landeskrankenhauses Königslutter,
Jürgen-Helmut Maute, als "Unsinn". Gerade die Zusammenlegung
dieser Bereiche habe Synergien geschaffen. Eine erneute Trennung
sei unökonomisch, weil dann wieder Personal für
Koordinierungsaufgaben eingestellt werden müsste. Er verweist
auf Thüringen, wo die Privatisierung der Kliniken zu
Mehrkosten von rund einem Drittel geführt hätte und
kritisiert das Vorgehen der Landesregierung als "unüberlegten
Schnellschuss". Die Stimmung sei aufgebracht. Die Kliniken
hätten sich saniert und schrieben schwarze Zahlen. "Niemand
versteht, dass man uns erst lobt, weil wir wirtschaftlich
leistungsfähig sind und dann verkauft."
Die CDU-Sozialexpertin Heidemarie Mundlos versteht den Unmut:
"Bei großen Veränderungen spielen immer Ängste eine
Rolle." Privatisierung würde aber nicht automatisch zu
schlechteren Verhältnissen führen, sondern oft auch zu
mehr Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit. Sie setzt auf
partnerschaftliche Sozialpolitik und Gespräche mit den
Betroffenen und reist von Klinik zu Klinik. Unterdessen arbeiten im
Landtag fieberhaft die Ausschüsse und im Ministerium ein
Lenkungsausschuss und eine Projektgruppe an Modellen, mit denen der
einmal beschlossene Verkauf noch machbar und juristisch haltbar
ist.
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