|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Patrick Brauckmann
Modernisierung und Solidarität
Damals \…vor 15 Jahren am 4. Oktober: Die
erste Sitzung des gesamtdeutschen Bundestages
Die 144 Abgeordneten der aufgelösten Volkskammer wurden von
Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth mit freundlichen,
aber auch mahnenden Worten begrüßt: "Von nun an hat sich
der Deutsche Bundestag als das gesamtdeutsche Parlament den
Aufgaben zu stellen, die sich aus der Vereinigung ergeben."
Gleichzeitig machte sie deutlich, wie dringend das Engagement der
neuen Abgeordneten benötigt werde. "Wir brauchen ihre
spezifischen Erfahrungen", ließ die Bundestagspräsidentin
die neuen und alten Abgeordneten des Bundestages wissen. Bereits
einen Tag nach den Feiern zur deutschen Einheit begann so am
4.Oktober 1990 die erste Sitzung des gesamtdeutschen Bundestages im
Reichstagsgebäude in Berlin.
Insgesamt 663 Abgeordnete aus dem ganzen Bundesgebiet
versammelten sich, um der Regierungserklärung von
Bundeskanzler Helmut Kohl beizuwohnen. Der erste gesamtdeutsche
Bundeskanzler zeigte sich in seiner Rede am Tage nach den
Einheitsfeiern zuversichtlich, dass alle Probleme der
Wiedervereinigung gelöst werden könnten. Er räumte
aber auch ein, dass "in diesem entscheidenden Augenblick unserer
Geschichte" mehr denn je Solidarität gefragt sei. Weiterhin
sei eine rasche Modernisierung vonnöten. Politisch machte sich
bereits zu diesem Zeitpunkt das gestiegene außenpolitische
Selbstbewusstsein der Regierung Kohl bemerkbar. So fand der Kanzler
deutliche Worte zur Besetzung Kuwaits durch den Irak und machte
damit deutlich, dass das vereinigte Deutschland fortan ein
gleichberechtigter Partner im atlantischen Bündnis sein werde.
Der Tag nach der deutschen Einheit war aber auch von kontroversen
Debatten geprägt. Nach der Vereidigung von fünf ehe-
maligen DDR-Politikern für das neue Kabinett wurde den
jeweiligen Fraktionen das Wort erteilt. Es ging in der Aussprache
um nicht weniger als die Weichenstellung für die kommenden zu
bewältigenden Aufgaben, welche die Einheit mit sich brachte.
Besonders der Fraktionsvorsitzende der PDS, Gregor Gysi, mahnte zu
einem verantwortungsvollen Umgang mit der Geschichte der ehemaligen
DDR und auch seiner Partei. "Wir stehen zu unserer Geschichte und
der Verantwortung. Das macht den Weg sehr viel schwieriger, aber
auch ehrlicher", so Gysi in seiner Jungfernrede vor dem
Bundestag.
Für die insgesamt 144 Abgeordneten aus den neuen
Bundesländern begann damit ein anstrengender Weg der
Vergangenheitsbewältigung. Doch brachten die ehemaligen
Volkskammerabgeordneten auch ein neues Verständnis von
Demokratie mit, welches eben gerade auf ihren Erfahrungen in der
DDR beruhte. Geprägt vom Überwachungsstaat, aber auch vom
gewaltfreien Widerstand in den letzten Tagen des überkommenen
Systems, war es nun an ihnen, dass Stasi-Erbe aufzuarbeiten.
Unterstützt wurden sie dabei von fast allen Parteien des
Bundestages. Gleichzeitig warnte der Ehrenvorsitzende der SPD,
Willy Brandt, vor einer "fundamentalistischen Verfolgungsjagd" bei
der Bewältigung des SED-Regimes. Weiterhin ermahnte er die
Abgeordneten, sich klare Vorstellungen von den Folgen der Einheit
zu machen: "Dass die Einheit zum Nulltarif zu erhalten wäre,
hat keinen Glauben gefunden." Vielmehr müssten gemeinsame
Anstrengungen unternommen werden, um die DDR wirtschaftlich zu
festigen und dabei geistig-kulturelle Hemmschwellen zu
überwinden. Einig waren sich alle Fraktionen darin, dass sich
nicht innerhalb kürzester Zeit alle wirtschaftlichen und
sozialen Probleme der Wiedervereinigung lösen ließen.
Otto Graf Lambsdorff (FDP) betonte: "Die Einigung Deutschlands ist
nicht vollendet, auch wenn wir uns heute über die Einheit
freuen." Eine Einheit, die politisch nach 40 Jahren mit der ersten
gemeinsamen Sitzung des Bundestages Realität wurde, nur wenige
Tage nachdem die Volkskammer der DDR und der Deutsche Bundestag am
20.September 1990 dem Einigungsvertrag zugestimmt hatten.
Bedeutsam war auch die Wahl des Ortes der ersten gemeinsamen
Bundestagssitzung. Wieder einmal war es Willy Brandt, ehemals
Berliner Oberbürgermeister und nun ältestes
Bundestagsmitglied, der Weitsicht bewies: "Mit dem Bekenntnis zu
Berlin als bloß der symbolischen Hauptstadt kann es nicht sein
Bewenden haben." Schließlich hatte der Reichstag in seiner
100-jährigen Geschichte schon viele große Demokraten
kommen und gehen sehen. Nunmehr sollte er wieder zum Inbegriff der
Freiheit aller Deutschen und ihres Bekenntnisses zur Demokratie
werden. So war es nur folgerichtig, dass der Reichstag 1999 wieder
zur Heimat des Deutschen Bundestages wurde.
Zurück zur
Übersicht
|