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Eckhard Stengel
Das Glück in der Ferne begann mit
Entbehrung
Das Auswanderermuseum in Bremerhaven macht
Geschichte sinnlich erfahrbar
Darf es ein Teller Brotsuppe sein? Oder lieber
eine Portion Schiffszwieback? Beides wird gelegentlich im
Restaurant des "Deutschen Auswandererhauses" in Bremerhaven
serviert. Denn mit solchem Essen wurden einst Emigranten auf
Dampfern Richtung Amerika verpflegt. Das neue Erlebnismuseum,
angeblich das größte seiner Art in Europa, ist kein Ort
trockener Wissensvermittlung. Schmecken, hören, staunen,
mitfühlen: Möglichst sinnlich sollen die Besucher
erfahren, wie es den sieben Millionen Menschen erging, die zwischen
1830 und 1974 über Bremerhaven Europa verließen, um ihr
Glück in der Ferne zu suchen - vor allem in den USA, aber auch
in Kanada, Südamerika oder Australien. Sie machten die Stadt
an der Außenweser zum wohl größten Auswandererhafen
Deutschlands.
Zwanzig Jahre lang debattierte Bremerhaven
darüber, wie sich für die Erinnerung an die alten Zeiten
ein angemessener Ort schaffen ließe, der zudem
Touristenscharen in die von Werften- und Fischereikrise gebeutelte
Hafenstadt locken könnte. Fast hätte Hamburg die
Bremerhavener überholt: mit einem eigenen Museum in
nachgebauten Auswandererhallen. Doch im Endspurt siegten die
Dauerläufer: Während Hamburgs "Ballinstadt"
frühestens 2007 fertig wird, konnte Bremerhaven nun Einweihung
feiern.
Das neue Gebäude ist kein einfallsloser
Zweckbau, sondern beschäftigt sich in der Form mit dem Inhalt.
Auf einem ovalen Betonsockel ruht ein Kasten aus Lärchenholz,
seitlich ragen stilisierte Betonsegel auf. "Eine grandiose
architektonische Inszenierung", lobte Bundesinnenminister Otto
Schily (SPD) bei der Eröffnungsfeier am 8. August den
Architekten Andreas Heller, der bereits die Neufassung der
Wehrmachtsausstellung gestaltet hat. Das Museum steht in passender
Umgebung - am Neuen Hafen, dort, wo seit dem 19. Jahrhundert die
Emigranten abgefertigt wurden, bis 1928 die komfortablere
Columbuskaje in Betrieb ging.
Schauen wir mal rein. An der Kasse erhalten
die Besucher eine Chipkarte, mit der sie an verschiedenen
"Hörstationen" Informationen per Kopfhörer abrufen
können. Jeder bekommt nach dem Zufallsprinzip einen von 15
authentisch rekonstruierten Lebensläufen zugeteilt und kann an
den Hörstationen den Werdegang "seines" Auswanderers
verfolgen. Aber natürlich darf man auch in die Geschichten der
anderen hineinhorchen und dabei die Vielfalt ihrer Motive
ergründen: Juden flüchteten vor Pogromen im Zarenreich
oder vor den Nazis, andere wollten Armut und Hungersnöten
entkommen, viele wurden politisch drangsaliert, und mancher suchte
einfach das Abenteuer.
Eine düstere, ausgetretene Treppe
führt die Museumsbesucher in den eindrucksvollsten Raum der
3.500-Quadratmeter-Ausstellung: An einer nachgebauten Kaimauer
warten Männer, Frauen und Kinder mit Koffern und Kisten auf
den Zutritt zum Dampfer "Lahn". Hinter den lebensecht
ausstaffierten Puppen erhebt sich die Fassade einer Backsteinhalle.
Ängstlich bis erwartungsvoll schauen die Emigranten auf die
acht Meter hohe Schiffswand, die sich leicht auf und ab bewegt. Das
Wasser im angedeuteten Hafenbecken ist echt. Aus der Ferne erklingt
manchmal eine Schiffssirene vom Band. "Die komplette Illusion",
findet Museumsdirektorin Sabine Süß.
Über eine schwankende Gangway gelangt
man auf die schiefe Ebene: In Teilen der oberen Museumsetage hat
der Holzfußboden zwei Grad Schräglage - eine kaum
erkennbare Abweichung, die aber den Gleichgewichtssinn irritiert
und ein Gefühl wie bei leichtem Seegang erzeugt. So werden die
Gäste gleich richtig eingestimmt auf die Besichtigung der
einstigen Passagier-Unterkünfte aus drei
Schiffsgenerationen.
Stickig ist die Luft im fensterlosen
Massenlager eines Segelschiffs um 1850. Doppelstock-Holzregale
dienen als Bettgestelle. Auf Strohmatten lagern ausgemergelte
Gestalten, die kaum Platz haben. Irgendwo hustet ständig ein
Besucher - ach nein, das Geräusch kommt von den Menschenpuppen
auf den Betten. Im wahren Leben mussten die Auswanderer wochenlang
in dieser Enge ausharren.
Schneller und bequemer wurde die
Atlantiküberquerung, als sich die Dampfer durchsetzten. In
nachempfundenen Kabinen von 1887 und 1929 gehörte immerhin
fließendes Wasser zum Standard. Kleiner Gag für
spielfreudige Museumsgäste: Wer am Wasserhahn dreht, aktiviert
damit einen Bildschirm am Boden des Waschbeckens und kann sich
Auswanderer bei der Morgentoilette anschauen.
Endlich im Land der Träume. Ein langer
Gang, in dem ein pochendes Herz zu hören ist, führt zur
US-Aufnahmestation Ellis Island, hier dargestellt durch begehbare
Käfige. "Für viele war das eine schockierende Erfahrung",
erzählt Direktorin Süß. Denn nach den Strapazen der
Reise wurden die Europaflüchtlinge nun "auf Niere und Gewissen
überprüft". Dazu gehörten nicht nur eine
Gesundheitsuntersuchung, sondern auch intensive
Schnellverhöre: "Sind Sie Polygamist?", "Sind Sie Anarchist?"
Hunderttausende, die unpassend oder zu langsam antworteten, fielen
durch - und mussten mittellos zurück in die alte
Heimat.
Die Museumsbesucher können sich an einem
Computer selber verhören lassen. Wer versagt, erhält
unerbittlich den Bescheid: "Abgewiesen."
Weniger spektakulär wirken andere
Ausstellungsräume. Zum Beispiel die "Galerie der sieben
Millionen": In langen Regalen stecken Schubfächer mit Namen,
Geburts- und Ausreisedaten - zwar nicht von allen sieben Millionen
Bremerhaven-Passagieren, aber immerhin von 3.000. Da
stößt man etwa auf Löb Strauß, der 1847 als
18-Jähriger mit seiner Familie in die USA emigrierte und dort
als Levi Strauss die Jeans erfand und so den amerikanischen Traum
schlechthin vorlebte. Andere dagegen scheiterten und erlebten
Amerika als Land der geplatzten Hoffnungen.
Wenn die Sehnsucht nach der alten Heimat zu
stark wurde, legte sich eine Familie eine spezielle Tischdecke auf
und servierte deutschen Apfelkuchen. Diese "Heimwehdecke"
gehört zu einer Sammlung von Erinnerungsstücken,
gestiftet von Nachfahren. Deren Interesse ist enorm. Sie
überließen dem Auswandererhaus nicht nur solche
Devotionalien, sondern besuchen auch das Museum, um auf Ahnensuche
zu gehen. Im "Forum Migration" können sie in
Auswanderer-Datenbanken nach ihren Wurzeln suchen. Hier wird auch
das Schicksal heutiger Flüchtlinge angesprochen. "Einwanderer
erzählen" steht an einer Hörbar, und ein kleines Quiz
stellt Fragen wie: "Welche Konvention der Vereinten Nationen
befasst sich mit den Rechten der Flüchtlinge?" (Es ist das
Genfer Abkommen von 1951.)
Billig war das Museum nicht: Land Bremen und
Stadt Bremerhaven haben gemeinsam gut 20 Millionen Euro in den
Neubau investiert und ihn dann an eine Privatfirma verpachtet, die
das Haus ohne weitere Zuschüsse betreiben will. Schon mit
170.000 Besuchern pro Jahr soll sich die Einrichtung rechnen. Der
Betrieb lief so gut an, dass diese Zahl locker erreicht werden
dürfte.
Offenbar haben mehr Menschen einen
persönlichen Bezug zu dem Thema, als man denkt - sogar die
ersten Ehrengäste: Otto Schilys Großvater war ebenso
Emigrant wie ein Bruder von Bundespräsident Horst
Köhler.
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