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Karl-Otto Sattler
Vom Bollwerk zum Biotop
Ökologen und Denkmalschützer
kämpfen für den Erhalt der Reste von Hitlers
Westwall
Von den letzten Häusern am Saarbrücker Stadtrand
führt der Weg durch den Wald hinauf zum Halberg.
Bräunlichgrau bedecken die Blätter den Boden, nichts
Auffälliges ist zu bemerken, nach hundert Metern taucht ein
großer Erdhügel auf. Erst genaues Hinsehen offenbart,
dass diese Aufschüttung etwas Besonderes ist: Da ist ein Loch,
das sich als Schießscharte in einer naturfarben gehaltenen
Wand erweist. "Der Tarnputz aus den 30er-Jahren war sehr effektiv",
erläutert Jörg Fuhrmeister. "Das war auch ein
Witterungsschutz, der über Jahrzehnte zur Erhaltung dieses
Bunkers beigetragen hat." Hitlers gigantischer Westwall diente
einst den Nazis als militärisch-propagandistischer Coup.
Jahrzehntelang in Vergessenheit geraten, hat nun langsam die Natur
die Rückeroberung begonnen.
Auf der Rückseite des Hügels öffnet sich eine
Eisengittertür, und man taucht in eine Festungswelt der
Kriegsvergangenheit ein. "Feind hört mit!", lautet die Warnung
neben einem Fernsprecher. Fuhrmeister, ehrenamtlich im
Denkmalschutz aktiv, weiß als Fachmann bis ins Detail
sämtliche Einrichtungen in den engen Räumen zu
erklären: Die Gasschleuse zur Reinigung verseuchter Soldaten,
Entgiftungsmittel, ein 28 Meter in die Erde gebohrter Tiefbrunnen
zur Wasserversorgung, "die eisernen Essensrationen reichten
für fünf Tage", Klappbetten an der Wand für die
Besatzung, "der Kommandant hatte ein eigenes Zimmer", eine
Belüftungskurbel für Frischluft. Und dann im Mauerwerk
zum Schutz vor Beschuss eine dicke schwere Platte, hinter der einst
ein Maschinengewehr durch die Scharte nach draußen zielte:
"Die hatte ein Gewicht von 18 Tonnen, das gab es sonst nirgends am
Westwall." Der Westwall: Das war jenes gigantische Bollwerk, das
Hitler vor dem Krieg an der Westgrenze von der Nordsee bis vor die
Tore Basels erbauen ließ.
Jörg Fuhrmeister ist Vize-Präsident von "Interfest",
eines 1985 in Saarbrücken gegründeten und inzwischen mit
Sitz in Berlin international organisierten Verbands. Historische
Festungssysteme sind das Faible der 300 Mitglieder aus zwölf
Staaten. Die Vereinigung betreut den Bunker am Saarbrücker
Halberg, richtet einmal im Jahr einen Tag der Offenen Tür aus
und veranstaltet auf Anfrage Führungen. Fuhrmann: "Wir sind
keine Militaristen, und schon gar nicht wollen wir Leute aus der
rechtsextremen Ecke in unseren Reihen haben." Im Gegenteil:
Historiker entdecken den zeitgeschichtlichen Wert der betonierten
Festungslinie - auch als Mahnmal für die Kriegstoten.
Die von "Interfest" mit Mitgliedsbeiträgen und Spenden
unterhaltene Befestigung gehört zu den wenigen
Überbleibseln des gesamten Westwalls, die bislang als
Erinnerungsstätten hergerichtet sind. Das dürfte sich
künftig ändern: Offizielle Denkmalschützer und
passionierte Privathistoriker engagieren sich neuerdings für
den Erhalt der Reste der einstigen Festungslinie zwischen
Lörrach am Oberrhein und Kleve. Unweit der
saarländisch-luxemburgischen Grenze etwa hat jüngst die
Stadt Merzig in Kooperation mit einem Geschichtsverein eine
größere Anlage restauriert und als Museum gestaltet, das
auch den Tourismus fördern soll. Ähnliches plant man in
Dillingen.
Erwacht ist das Interesse am Westwall mit dem Widerstand von
Denkmalämtern, Öko-Gruppen und Lokalpolitikern gegen das
Vorgehen der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA), die
im Auftrag des Bundesfinanzministeriums seit Ende der 90er-Jahre
mehrere hundert Westwall-Überbleibsel aus
"Sicherheitserwägungen" zuschüttete, demontierte, abriss
oder gar sprengte. Begründung: Man müsse
Verletzungsgefahren für Spaziergänger und Kinder
beseitigen. Zwischen 2000 und 2004 wurden laut Ministerium rund
drei Millionen Euro dafür ausgegeben.
Bei diesem Konflikt - große Aufregung gab es etwa wegen der
Zertrümmerung von 17 Anlagen bei Aachen - hat die
Historikerfraktion gewichtige Bündnispartner gewonnen:
Fledermäuse und Wildkatzen haben sich zuhauf in den alten
Bollwerken angesiedelt. Einen Beschützer hat das Kleingetier
im Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gefunden: Dessen
Regionalverbände in den betroffenen vier Bundesländern
haben zur Rettung der Bunker-Biotope das Projekt "Grüner Wall
im Westen" gestartet und dabei auch bereits einen ersten Erfolg mit
einem vorläufigen Stopp der BIMA-Aktionen in
Nordrhein-Westfalen verbucht. Pate steht dabei das "Grüne
Band" entlang des Mauerstreifens an der einstigen innerdeutschen
Grenze.
Eldorado für Fauna und Flora
Aus Sicht von Paul Kröfges, Vize-Vorsitzender von BUND an
Rhein und Ruhr, werden die vom verbliebenen Westwall ausgehenden
Risiken "maßlos überschätzt". In den vergangenen
Jahrzehnten seien nur wenige Unfälle passiert. Kröfges:
"Der Abriss ist eine enorme Steuerverschwendung zu Lasten des
Natur- und Denkmalschutzes."
Ohne Waffen wird Jahrzehnte nach dem Krieg noch einmal um den
Westwall gekämpft. Zwischen 1936 und 1939 ließ Hitler an
der Westgrenze über eine Länge von 630 Kilometern eine
gigantische Festungslinie mit 20.000 Bunkern, Panzersperren,
Schützengräben, Stollen, Munitionsdepots,
Infanterieständen, Sanitätsunterkünften und
Artillerieposten installieren. 3,5 Milliarden Reichsmark kostete
der Westwall damals, acht Millionen Tonnen Beton und 1,2 Millionen
Tonnen Kruppstahl wurden verbaut. Für den Transport von Kies,
Stahl und Zement fuhren täglich bis zu 8.000 Güterwaggons
durchs Land. 400.000 Arbeiter waren für das Vorhaben im
Einsatz.
Mit dem Westwall, von der Nazi-Propaganda martialisch als
"Siegfried-Linie" gefeiert und als Abschrecckung für den Feind
gedacht, sollte Hitlers Angriffsfeldzug im Osten abgesichert
werden. Beim "Blitzkrieg" der Deutschen im Westen war das Bollwerk
militärisch von keinem Belang. Nur gegen Kriegsende kam es an
einzelnen Stellen zu grauenvollen Gefechten. In den Jahren nach
1945 wurden die meisten Bunker von den Besatzungsmächten
gesprengt, die Trümmer blieben meist in der Landschaft
zurück und gerieten in Vergessenheit.
Im Laufe der Jahrzehnte mauserten sich die Trümmer oft zu
Eldorados für Fauna und Flora. Seltene Pflanzen gedeihen in
diesen Nischen, Fledermäuse nisten dort, Wildkatzen ziehen
ihren Nachwuchs auf, Insekten summen, Salamander, Dachse,
Waldmäuse, Marder und Hasen treiben sich herum.
Öko-Gruppen stufen die Westwall-Reste als einzigartiges
Bio-Refugium ein, wobei neben den Bunkern auch die für
Traktoren und Sensen unzugänglichen Panzersperren
("Höckerlinien") eine wesentliche Rolle spielen.
An der Saar, wo vor dem Krieg ein Viertel aller Westwall-Bauten
hochgezogen wurde, will das Landesdenkmalamt rund 500 intakte oder
nur leicht beschädigte Anlagen unter Denkmalschutz stellen. In
keinem anderen Bundesland wurden derart viele Elemente ganz oder
weitgehend erhalten. Für Behördenchefin Ulrike Wendland
ist der Westwall, hinter dem ein "fast archaischer Festungsgedanke"
gestanden habe, ein "hochrangiges Geschichtszeugnis": Dieses
Bollwerk markiere auf dem gesamten Erdball die letzte große
kriegerische Festungslinie, so etwas werde es nie wieder geben.
Weitaus größer als der militärische Nutzen des
Westwalls sei für die Nazis dessen propagandistischer Wert
nach innen wie gegenüber den Alliierten gewesen.
Wenn Überbleibsel als Museen gestaltet werden, betont
Wendland, müssten sie "auch ein Mahnmal für die
Kriegstoten" sein. Dem Eifel-Verein geht es ebenfalls um die
Erinnerung an eine unheilvolle Zeit: Die Bunkerreste sollen als
"sichtbare Spuren des mörderischen Zweiten Weltkriegs" stehen
bleiben, "um künftigen Generationen als Friedens-Mahnmal zu
dienen".
In Nordrhein-Westfalen soll jetzt ein umfassendes Konzept
für Erhalt und Nutzung des Westwalls erarbeitet werden. Auf
Initiative von BUND einigten sich das Düsseldorfer
Umweltministerium, die BIMA, mehrere Landkreise sowie das Amt
für Bodendenkmalpflege auf ein zweijähriges
Abriss-Moratorium. Paul Kröfges: "Wir haben ein erstes
Teilziel erreich." Bis 2007 will der BUND mit Hilfe der Stiftung
für Umwelt und Entwicklung sein Projekt "Grüner Wall im
Westen" konkret unterfüttern. Da geht es um eine exakte
Bestandsaufnahme der Biotop-Nischen, um die Errichtung von musealen
Erinnerungsstätten, natürlich auch um die Finanzierung
dieses Programms. Auf längere Sicht kann sich der BUND einen
Westwall-Wanderweg mit "erlebnisorientierter Informationsarbeit"
vorstellen. In der Eifel verkündet neben einem alten Bunker
eine Info-Tafel schon mal ein sinniges Motto: "Vom Bollwerk zum
Biotop."
Im Internet:
www.gruenerwallimwesten.de
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