Gerüst für gute Nachbarschaft
Interview mit der Europaabgeordneten Renate
Sommer (EVP)
Das Parlament: Das EU-Parlament hat ja vergangene Woche
noch einmal streitbar über den Türkeibeitritt diskutiert.
Werden die Abgeordneten denn überhaupt am Entscheidungsprozess
beteiligt?
Renate Sommer: Die Beitrittsverhandlungen beginnen am 3.
Oktober. Daran kann das Parlament leider nichts mehr ändern.
Wir haben aber noch mal deutlich unsere Meinung kundgetan. Es kann
ja nicht sein, dass sich die Türkei eine Europäische
Union nach eigenem Muster zusammenstellt. Diese Weigerung, Zypern
als gleichberechtigten Verhandlungspartner anzuerkennen - das ist
doch unglaublich, dieser ganze Vorgang.
Das Parlament: Hat deshalb eine Mehrheit das sogenannte
Ankara-Protokoll abgelehnt, also die Ausweitung der Zollunion auf
die neuen Mitglieder einschließlich Zypern?
Renate Sommer: Wir haben das nicht abgelehnt, wir haben
nur unsere Stellungnahme zum Ankara-Protokoll vertagt, weil die
juristischen Grundlagen fehlen.
Das Parlament: Wie erklären Sie sich diese
Sonderbehandlung für die Türkei?
Renate Sommer: Viele Mitgliedsstaaten erhoffen sich von
einem Türkeibeitritt eigene Vorteile. Griechenland zum
Beispiel will den Streitpunkt Zypern aus der Welt schaffen und
seine Ägäis-Inseln haben. Die Polen wollen die Ukraine in
der EU sehen. Wenn die Türkei aufgenommen ist, kann man die
Ukraine nicht mehr ablehnen. Die Briten wollen im Grund keine
politische Union. Wenn die Türkei innerhalb von zehn Jahren
beitritt, wird die EU als politisches Gebilde das nicht
überstehen. Das sagen die Briten ja auch ganz offen.
Das Parlament: Aber der 3. Oktober ist nun eine als
Verhandlungsbeginn beschlossene Sache ...
Renate Sommer: Seitdem dieses Datum im Dezember feststand
und damit das Druckmittel gegenüber Ankara wegfiel, hat sich
bei den Reformen ja auch nichts mehr bewegt - im Gegenteil.
Das Parlament: Österreich hat darauf gedrungen, die
Privilegierte Partnerschaft als alternatives Ziel in den
Verhandlungsrahmen aufzunehmen. Würde eine neue
Bundesregierung unter Angela Merkel sich der Forderung
anschließen?
Renate Sommer: Unser Problem ist, dass es zeitlich nicht
mehr klappt. Wenn die neue Bundesregierung ins Amt kommt, steht der
Verhandlungsrahmen fest. Immerhin gibt es darin eine Formulierung,
dass die Verhandlungen ergebnisoffen geführt werden. Das
eröffnet die Möglichkeit, während des
Verhandlungsprozesses umzusteuern.
Das Parlament: Wie stehen Sie zu dem
österreichischen Versuch, Nachgiebigkeit gegenüber Ankara
zu üben als Türöffner für Kroatien?
Renate Sommer: Das ist nachvollziehbar. Österreich
weiß auch, dass die Verhandlungen mit der Türkei nicht
mehr zu stoppen sind. Kroatien ist ja im Prinzip aus eigener Kraft
beitrittsfähig. Die Kroaten sind Österreichs Nachbarn.
Deshalb ist es für Wien von großem Interesse, dass sie
beitreten.
Das Parlament: Wie sollte es denn jetzt nach Ihrer
Meinung mit der Türkei weitergehen?
Renate Sommer: Da es unmöglich ist, dieses Land in
zehn Jahren aufzunehmen, sollte man ein Gerüst bauen, das in
besondere nachbarschaftliche Beziehungen münden kann. Wenn
einige Verhandlungskapitel wie Umweltschutz oder Justiz
abgeschlossen sind, kann Ankara sagen: So hatten wir uns das nicht
vorgestellt, so viele Souveränitätsrechte wollen wir
nicht an Brüssel abgeben. Das gibt beiden Partnern die
Möglichkeit, das Gesicht zu wahren.
Die Interviews führte Daniela Weingärtner
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