Manfred Funke
Ein Angebot vom Katheder in Jena an die ganze
Welt
Schiller als Historiker der Freiheit
Den "Räubern" von 1781 setzt der 22-jährige Schiller
eins drauf, indem er noch im selben Jahr Jean Jacques Rousseau "zum
Monument von unserer Zeiten Schande" erhebt. Er feiert den
geistigen Wegbereiter der Französischen Revolution, weil
dieser "aus Christen Menschen wirbt". Schiller rüstet zum
Aufruhr - im Gedicht.
Dass er kein Volksheld als Sozialrebell werden will, geht
bereits aus der Vorrede zu den "Räubern" hervor. Darin
wünscht er sich keine Bewunderung, wohl aber
Hochschätzung "des rechtschaffenen Mannes in mir". Zur
Rechtschaffenheit zählen nicht nur grader Sinn, sondern auch
Bürgerstand und Einkommen. Im "Don Carlos" beweist er
Geschichtskompetenz; Goethe spricht Goethe für Schiller gut,
so dass er 1789 in Jena eine außerordentliche Professur
(zunächst ohne Salär) für Geschichte und Philosophie
erhält.
Doch gleich in der Antrittsvorlesung über Sinn und Zweck
der Universalgeschichte, ein damaliges Modethema, fällt
Schiller die Kollegen "Brotgelehrte" an. Statt abgenutztes
"System"-Wissen zu repetieren, habe der Historiker seine Liebe und
Pflicht zur Wahrheit zu beglaubigen. Geschichte müsse im
Zeitalter der Vernunft über Weg und Ertrag des Aufstiegs vom
Wilden zum Gebildeten im Prozess "der außerordentlichen
Anstrengung zur politischen Gesellschaft" Auskunft geben. Denn "die
Weltenuhr" treibe hin zum "vernünftigen Zweck", zur Entfaltung
eines "teleologischen Prinzips".
Dies besteht für Schiller in der Befreiung des Menschen von
geistiger Unmündigkeit und aus politischer Unterwerfung. Das
ihm von Kant zufließende Vertrauen in die Wandlung des
Untertans zum freien Bürger beflügelt Schillers
emanzipatorischen Einsatz für Menschenbildung und
Freiheitswürde. Im Befreiungskampf der Niederlande vom
spanischen Joch sieht er "ein schönes Denkmal
bürgerlicher Stärke".
Heldenmütige Beharrung
"Groß und beruhigend", so lesen wir, "ist der Gedanke, dass
gegen die trotzigen Anmaßungen der Fürstengewalt endlich
noch eine Hilfe vorhanden ist, dass ihre berechnetsten Plane (so im
Original) an der menschlichen Freiheit zuschanden werden, dass ein
herzhafter Widerstand auch den gestreckten Arm eines Despoten
beugen, heldenmütige Beharrung seine schrecklichen
Hilfsquellen endlich erschöpfen kann". Das Recht auf
Widerstand soll indes nicht zum Ersatz besiegter Despotie durch
neue Tyrannei verleiten. Aus dem Kampf für die Freiheit darf
nicht wie in Paris eine Herrschaft des Schreckens werden.
Ehrverletzung der Freiheit ist tabu.
In Schillers Werk, hebt Golo Mann hervor, fehle es nicht an
Ausdrücken, wie sie vor allem in der protestantischen
Literatur der Zeit gängig waren: österreichische
Ländersucht, spanische Arglist, blinder Eifer der Pfaffen,
giftvolle Beredsamkeit der Jesuiten und so fort. Golo Mann
bündelt ein Vielfaches davon, um Schiller den "Historiker der
Freiheit" zu nennen.
Das strenge Handwerk des Historikers ist indes nicht Schillers
Sache. Ohnehin sind Textkritik, Quellenforschung, die
Fußnoterei noch nicht kanonisiert. Gleichwohl vergewissert
sich Schiller nach Abschluss des "Don Carlos": "Auch der
Geschichtsschreiber muß wie der Dichter und Historienmaler
genetisch und dramatisch zu Werke gehen; er muß die produktive
Einbildungskraft des Lesers ins Spiel zu setzen wissen, und bey der
strengsten Wahrheit ihr den Genuß einer ganz freyen Dichtung
verschaffen."
Ideale Welt
Damit der Leser und Zuschauer sich selbst als Subjekt und
Objekt, als Teil und Akteur der Geschichte begreife, inszeniert
Schiller aus Konstruktion und Empirie gewaltige
Spannungsbögen. Etwa indem er zu Beginn seiner Geschichte des
Dreißigjährigen Krieges dem Leser verspricht, von der
"siegenden Gewalt der Wahrheit" zu erfahren und davon, "was mit
Wahrheit verwechselt wurde".
Zwar beherzigt Schiller, dass ohne Rücksicht darauf, was
war und ist, nicht überzeugend zu vermitteln sei, wie
idealiter die Welt bestellt sein soll. Ihretwegen steigert der
Dichter seine historiografische Imagination über bloße
Faktenpflicht. Als Belege nennt der Schiller-Forscher Norbert
Oellers Wallensteins Sternenglauben, mit dem Schiller spielt, Maria
Stuarts Zeugen, die zu spät sprechen, Johannas Schweigen zum
Vorwurf, sie sei eine Hexe .
Schillers Figuren sind erregend modern. Schiller erschließt
sie aus ihren historisch-sozialen Bindungen und den ihnen
abgeforderten Entscheidunen. Sie sind nicht gerundet, sondern oft
angelegt in einer "Ellipse von beträchtlicher
Exzentrizität" (Oellers). So werden Schillers Figuren im "Don
Carlos" später Richard Wagner höchste Bewunderung
entlocken. Schillers Kunst der Modulation und Nuancierung zumal der
historischen Gestalten charakterisiert Wagner als "so fein, witzig
und sinnvoll vieldeutig, so ungezwungen würdevoll und doch so
kenntlich erhaben, so drastisch ungemein sich ausdrückend".
Schiller stehe höher als Calderon oder selbst Shakespeare.
Stand Schiller bei der dramatischen Verstofflichung über
der Realität? Gilt Goethes Votum, dass Schiller in seiner
Phantasiewelt verschlossen war und ein Fremdling in der wirklichen?
"Schiller empfiehlt", so sein Biograph Rüdiger Safranski, "im
politischen Tumult die Andacht vor dem Schönen".
Wirklichkeitsflucht?
Wer Schiller auf den Barrikaden vermisst, übersieht seine
Lebenssituation: Der Revolutionsterror in Frankreich beleidigte
seine Menschheitsidee. Der Aufstand der Massen gerade in
Deutschland lag noch weit hinter dem Horizont. Wenn, so Schillers
Ehefrau, den Dichter auch der Gang "an Hof" zuweilen krankmachte -
wie übrigens auch Goethe -, so fühlt sich Schiller doch
in Weimar "völlig frey" (1804 aus Berlin an Körner). Die
große Idee einer Humanisierung des Politischen durch einen
neuen Adel des Geistes ist noch nicht an der Dämonie der Macht
zerschellt, was später Heinrich von Treitschke dazu
veranlassen wird, Schillers "ästhetische Erzählungen" als
Stoffe "eines unpolitischen Geschlechts" abzutun.
Für Schiller ist jede Art von Staat nur "Notstaat", nur da
als "Regelungszwang" der Lebensbedürfnisse des Menschen. "Zu
essen gibt ihm, zu wohnen/Habt ihr die Blöße bedeckt,
gibt sich die Würde von selbst". Deutsches Reich und deutsche
Nation sind ihm zweierlei Dinge. "Die Majestät der Deutschen
ruhte nicht auf dem Haupte seiner Fürsten. Abgesondert vom
Politischen hat der Deutsche sich einen eigenen Wert
gegründet, und wenn auch das Imperium unterginge, so bliebe
die deutsche Würde unangefochten. Sie ist eine sittliche
Größe, sie wohnt in der Kultur".
Blatt, Blüte und Kern
Der Historiker Schiller sah in der Verspätung und
Langsamkeit deutscher Nationsbildung sogar Vorteile. Mochten
Frankreich und England auch mächtiger sein, so waren sie
für Schiller gleichwohl nur "Blatt" und "Blüte".
Deutschland aber "der Kern der Menschheit". Während die
Anderen durch Siege und Niederlagen eilen, arbeitet Deutschland am
ewigen Bau der Menschenbildung: "Jedes Volk hat seinen Tag in der
Geschichte, doch der Tag der Deutschen ist die Ernte der ganzen
Zeit." Die Ernte war Angebot für die ganze Welt. Denn ein
Jeder trägt nach Schillers Überzeugung in Anlage und
Bestimmung "einen reinen idealischen Menschen in sich, mit dessen
unveränderbarer Einheit in allen seinen Abwechselungen
übereinzustimmen, die große Aufgabe seines Daseins
ist".
Dies mag heute unzeitgemäß klingen, doch strömt
aus Schiller die Idee einer Zivilisation der Liebe, die er in
seinen historischen Sujets veranschaulichte. Und dies werktreu bis
zur Erschöpfung. Für Jean Paul strebte Schiller
himmelwärts, "obgleich sein siecher Körper sich schwer an
seine Flügel hing". Die großen Produktionen rang sich
Schiller in einem letztlich "vierzehnjährigem Sterben"
(Oellers) ab.
Nicht selten werden Schillers Beiträge zur Geschichte einer
Übergangsphase zwischen dem frühen und dem reifen
Dramatiker zugeordnet. Doch Schillers Stoffe waren meistens
historisch durchwirkt. Geschichte war ihm die große
Inspiration. So waren die Jahre als erzählgewaltiger
Historiker auch Orte kritischer Vergewisserung durch Empirie und
deren Umsetzung zur Freiheitswürde als Auftrag für die
moralische Entgiftung der Welt.
Der Autor ist emeritierter Hochschullehrer für
Politikwissenschaft an der Rheinischen
Friedrich-Willhelms-Universität Bonn.
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