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Christian Schönfelder
"Das Theater glich einem Irrenhause, rollende
Augen, heisere Aufschreie im Zuschauerraum"
Die Uraufführung der "Räuber" am
Mannheimer Nationaltheater
Der 13. Januar 1782 ist ein Meilenstein in der deutschen
Theatergeschichte. Kaum je hat eine einzige Aufführung die
Theaterwelt derart bewegt, geschweige denn ein Publikum zu solch
unglaublichen Reaktionen getrieben wie die Uraufführung der
"Räuber" von Friedrich Schiller damals am Mannheimer
Nationaltheater. "Ich glaube", schrieb Schiller wenige Tage
später durchaus hellsichtig an den Mannheimer Intendanten
Heribert von Dalberg, "wenn Deutschland einst einen dramatischen
Dichter in mir findet, so muss ich die Epoche von der vorigen Woche
an zählen".
Im kulturellen Leben der Stadt zwischen Rhein und Neckar wirken
die Ereignisse jenes Tages bis heute nach. Nicht von ungefähr
feiert das Nationaltheater seit 1978 die Internationalen
Schillertage, die sich in den vergangenen Jahren zu einem in dieser
Form beispiellosen Klassiker-Festival entwickelt haben und mit
ihrer 13. Auflage vom 4. bis 12. Juni zu den Höhepunkten im
Schillerjahr 2005 gehören.
"Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte
Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im
Zuschauerraum! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die
Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Türe. Es war
eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine
neue Schöpfung bricht." Auch wenn dieser unendlich oft
zitierte Augenzeugen-Bericht vermutlich nicht authentisch ist, so
vermittelt er doch einen Eindruck dessen, was sich an jenem
Wintertag im überfüllten Mannheimer Theatersaal
zugetragen haben muss.
Auch August Wilhelm Iffland, 22jähriger Darsteller des
Franz Moor, schrieb später in seinen Memoiren von einem
"allgewaltigen Feuersturm", der Akteure und Statisten fortgerissen
habe. Obwohl Intendant Dalberg aus Sorge, bei Obrigkeit und Kirche
Missfallen zu erregen, das Stück erheblich entschärft und
ihm die Züge eines Ritterspektakels gegeben hatte, erkannten
die Besucher sofort dessen Sprengkraft, spürten die
leidenschaftliche Rebellion gegen überlebte Konventionen. Und
vielleicht spürten sie auch die epochale Bedeutung des
Augenblicks: Aus dem Nichts war da ein junger Mann aufgetaucht, mit
ungeheurem dramatischen Talent gesegnet, der sich anschickte, die
Theaterwelt im Sturme zu erobern.
Zum Zeitpunkt der Uraufführung war Friedrich Schiller noch
Regimentsarzt beim württembergischen Herzog Carl Eugen. Seine
Jugendjahre hatte er unter strengem militärischen Drill in der
Karlsschule des Herzogs verbracht. Dort schrieb er sein
dramatisches Erstlingswerk, im gemeinschaftlichen Schlafraum und
bisweilen auf der Krankenstation der Akademie, auf die er sich
hatte einweisen lassen, um bei Tageslicht und ungestört
arbeiten zu können. So entstand, wie er wenige Jahre
später selbstkritisch einräumte ein "Ungeheuer, das zum
Glück in der Welt nicht vorhanden war", eine Geburt, "die der
naturwidrige Beischlaf der Subordination und des Genius in die Welt
setzte".
Für sein Werk, das er selbst als Lesedrama betrachtete und
für unspielbar hielt, fand Schiller zunächst keinen
Verleger. Er veröffentlichte es anonym und stürzte sich
so in Schulden, dass er bis in die späten 80er-Jahre daran
schwer zu tragen hatte. Eine Wende deutete sich erst an, als er dem
Mannheimer Verleger Christian Friedrich Schwan die ersten beiden
Akte zur Beurteilung zusandte.
Schwan lehnte zwar eine Veröffentlichung ab, weil das
Schauspiel "mitunter auch Scenen enthielt, die ich als
Buchhändler dem ehrsamen und gesitteten Publikum anzubieten
für unschicklich hielt". Aber er empfahl es seinem Freund
Heribert von Dalberg. Der war seit zwei Jahren Intendant des
Nationaltheaters, das Kurfürst Carl Theodor nach dem
erzwungenem Umzug der Residenz nach München gestiftet hatte.
Das damals neu gegründete Ensemble um Iffland hatte sich
binnen weniger Jahre zu einer der angesehensten Bühnen
Deutschlands entwickelt. Jetzt bewies Dalberg abermals Mut, setzte
das ungestüme Werk eines gänzlich unbekannten Dichters
auf seinen Spielplan - und sorgte damit landesweit für
Aufsehen.
Es war zugleich der Beginn einer intensiven Zusammenarbeit
zwischen Schiller und dem Theater, letztlich allerdings keine
glückliche für den jungen Dramatiker: 1783/84 wurde er
zwar Theaterdichter, erkrankte aber schon in den ersten Tagen an
der damals weit verbreiteten Malaria und konnte so die ohnehin
wahnwitzigen Vorgaben Dalbergs nach drei neuen Stücken binnen
eines Jahres nicht erfüllen.
Der Vertrag lief aus. Schiller blieb, hart am Existenzminimum
lebend, noch bis März 1785 in Mannheim.
Trotz der unglücklichen Wendung blieb die Biographie
Schillers untrennbar mit dem Mannheimer Nationaltheater verbunden.
Und die Geschichte des Hauses mit ihm: Die Feierlichkeiten zu den
Schiller-Jubiläen nahmen ab 1859 immer größere
Ausmaße an. Auf einem Plakat, mit dem nach dem Zweiten
Weltkrieg zu Spenden für den Wiederaufbau des zerstörten
Nationaltheaters aufgerufen wurde, ersteigt Schiller groß und
pathetisch aus den Trümmern der Stadt.
Legendäre "Räuber"-Aufführungen wie die
Raumbühnen-Inszenierung von Erwin Piscator zur Eröffnung
des neuen Hauses 1957 wurden zu Meilensteinen der Mannheimer
Theatergeschichte. Ganz im Sinne von Dalberg und Schiller
fühlt sich das Mannheimer Schauspiel bis heute ebenso der
Pflege klassischer Dichter und ihrer Werke verpflichtet wie der
zeitgenössischen Literatur. Seit 1996 wird jährlich ein
Autor mit Hilfe der Freunde und Förderer des Nationaltheaters
als Hausautor besonders unterstützt.
Schillernder Höhepunkt sind alle zwei Jahre die
"Internationalen Schillertage": Unter dem Motto "Vorsicht
Freiheit!" werden 2005 zehn bis zwölf internationale
Gastspiele, sechs Eigenproduktionen des Nationaltheaters,
Uraufführungen, Kooperationen, Projekte, Performances und
Foren einen umfassenden Überblick über die aktuelle
Rezeption von Schillers dramatischem Werk ermöglichen. Den
besonderen Reiz des Festivals macht auch die Atmosphäre aus:
Die Gastgruppen zeigen nicht nur ihre Inszenierungen, sondern
treffen andere Theatermacher, Besucher, Journalisten,
Wissenschaftler und Studenten. Die Internationalen Schillertage,
unterstützt vom Bund, vom Land Baden-Württemberg, der
Stadt Mannheim sowie privaten Geldgebern sind ein Fest der
Begegnung und des Austausches.
Das hätte Friedrich Schiller sicher nie für
möglich gehalten, als er 1785, verschuldet, gesundheitlich
angegriffen und tief enttäuscht, die Stätte der
legendären Uraufführung verließ, um zu unbekannten
Gönnern nach Thüringen zu fliehen.
Der Autor ist Dramaturg am Mannheimer Nationaltheater.
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