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Das Parlament
Nr. 13 / 29.03.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Ekkehart Krippendorff

Freiheit - das vollkommenste Kunstwerk

Friedrich Schiller als politischer Denker für die Gegenwart
Die "Brandfackel der Freiheit" in alle Teile der Welt zu tragen, hat der amerikanische Präsident George W. Bush zur größten und herausforderndsten Zukunftsaufgabe seiner Regierung erklärt. Allen Menschen überall die Freiheit zu bringen - klingt das nicht auch nach dem Pathos Friedrich Schillers, dessen 200. Todestages wir in diesem Jahr gedenken? Denn wenn es ein Wort gibt, das das Zeugnis des Dichters, Dramatikers und Gesellschaftskritikers Schiller auf einen gemeinsamen Nenner bringt, dann ist es die Freiheit.

Freiheit" ist auch das, worin der amerikanische Präsident die Essenz seiner Vision für eine neue Weltordnung sieht. Vermutlich haben er und seine Redenschreiber von dem deutschen Dichter des 18.Jahrhunderts nie etwas gehört - und vermutlich hätte sich auch Schiller in dieser Freiheit nicht wiedererkannt. Um so wichtiger, darüber aus gegebenem Anlass nachzudenken! Kann, wer mit Schiller die Freiheit einklagt, gleichzeitig auf der Seite des amerikanischen Präsidenten stehen? Stoßen hier nicht zwei einander ausschließende Verständnisse aufeinander, so dass man sich entscheiden muss, welche Freiheit man meint und welche Freiheit man politisch will?

Politisch: Schiller ist der Politischste unter den großen deutschen Dichtern - und das bedeutet, wenn das Wort "groß" eine konkrete Bedeutung haben soll, er ist auch der radikalste. Die Radikalität der Schillerschen politischen Leidenschaft entzündete sich vor allem an der fehlgeschlagenen Französischen Revolution, die trotz - oder eher wegen - der großen Menschenopfer, die der Gewalttätigkeit ihrer Methoden gebracht worden waren, nicht zu einer neuen Qualität von Staatlichkeit und Politik geführt hatte: "Woran liegt es, dass wir noch immer Barbaren sind?" lautet Schillers Frage.

Seine erste Antwort: "Der Moment war der günstigste, aber er fand eine verderbte Generation, die ihn nicht wert war, und weder zu würdigen noch zu benutzen wusste." Das bezog er auf die Jahre1789 und folgende. Übrigens war Goethe, dessen noch ausdrücklichere Gegnerschaft zur Gewalttätigkeit der Revolution meist zu eindimensional gesehen wird, hier ganz der Meinung seines Freundes Schiller, den er geradezu wörtlich in "Hermann und Dorothea" zitierte: "Um den Vorteil der Herrschaft stritt ein verderbtes Geschlecht, unwürdig, das Gute zu schaffen."

Wir müssen leider Dasselbe sagen für später sich noch mehrfach ergebende "günstige Momente" in der deutschen, ja überhaupt in der Weltgeschichte: 1918, als nach dem Ersten Weltkrieg eine allgemeine Abrüstung und damit ein strukturell friedliches Europa möglich gewesen wäre; 1945, das Wendejahr 1989 und die ausgebliebene Friedensdividende - aber dann auch der 11. September in New York, als der Terroranschlag wehrhaftes Handeln verlangte, aber zugleich die große Chance bot, über die Ursachen weltweit akkumulierten Hasses auf westliche Arroganz von Macht und Herrschaft nachzudenken und neue Methoden weltbürgerlichen, politisch-ökonomischen Umganges miteinander zu entwickeln.

Die Frage nach diesem Versagen vor historischen Möglichkeiten von Umkehr und Neubeginn ist keine historische, sondern brennend aktuell.

Schillers zweite Antwort gräbt darum tiefer und ist zu bedenken: Wir sind noch immer Barbaren und unfähig, die sich immer wieder bietenden Gelegenheiten zu dem notwendigen radikalen Neubeginn wahrzunehmen, weil "derjenige noch nicht reif ist zur bürgerlichen Freiheit, dem noch so vieles zur menschlichen fehlt". Freiheit ist keine formale, keine juristische, keine verfassungsrechtliche, keine institutionelle Kategorie - das alles gehört mit Sicherheit auch zu ihr. Freiheit ist zuerst und zuoberst eine geistig-seelische, eine ethische Kategorie, und nur als solche ist sie, im ganz ursprünglichen, griechischen Sinne des Wortes politisch.

Die Griechen hatten, formuliert von ihren Dichtern und Philosophen, die Politik er- und gefunden als die Verwirklichung ethischer Prinzipien in der Gesellschaft. Freiheit als anthropologische Möglichkeit, als Bewusstseinsbildung, als Resultat der Arbeit am eigenen Selbst, der Anstrengung einer "Energie des Muts, die Hindernisse zu bekämpfen, welche sowohl die Trägheit der Natur als die Feigheit des Herzens der Belehrung entgegensetzen". In der als ethische Aufgabe verstandenen Politik der Freiheit ist der Weg das Ziel: "gib der Welt, auf die du wirkst, die Richtung zum Guten, so wird der ruhige Rhythmus der Zeit die Entwicklung bringen".

Wer wirken will, muss zuerst mit sich selbst im Reinen sein, muss selbst frei sein, ehe er anderen Freiheit bringen kann - und diese Freiheit ist eine geistige, eine "innere" Kategorie: Der Mensch kann als Mensch frei sein und sei er auch in Ketten geboren - und er kann Sklave sein, auch ohne Ketten zu tragen. "Man muss damit anfangen müssen, für die Verfassung Bürger zu schaffen, ehe man den Bürgern eine Verfassung geben kann."

Diese Aufgabe aber ist durch "Aufklärung der Begriffe nicht auszurichten, denn vom Kopf ist noch ein gar weiter Weg zu dem Herzen" - sie bedarf einer "ästhetischen Kultur", einer "Charakterbildung", einer "sittlichen Reinigung und Veredlung der Gefühle" durch die Kunst und die Anstrengung der Form. Schiller hatte scharfsinnig-sensibel erkannt, dass sich diese notwendigen Forderungen gegen einen modernen Zeitgeist wenden, der erst heute erschreckend und zerstörerisch sein wahres Gesicht zeigt:

"Der Nutzen ist das große Ideal der Zeit, dem alle Kräfte fronen und alle Talente huldigen sollen. Auf dieser groben Waage hat das geistige Verdienst der Kunst kein Gewicht und ... verschwindet vor dem lärmenden Markt des Jahrhunderts." Trotzdem - und gerade deswegen - sind die Menschen, denen Freiheit nicht ein anderes Wort für Konsum, sondern höchste menschliche Leistung ist, herausgefordert, diese Entwicklung nicht zuzulassen, indem sie sich "mit dem vollkommensten aller Kunstwerke, mit dem Bau einer wahren politischen Freiheit beschäftigen".

So weit Schiller in seinen "Ästhetischen Briefen", diesem politischen Höhenflug der deutschen Klassik; auch er will "weniger gelobet und fleißiger gelesen", vor allem aber ernst genommen werden. Und das, was Schiller hier normativ fordert - Forderungen, die nicht die eines weltfremden Dichters, sondern eines leidenschaftlich engagierten politischen Menschen sind, deren Verdrängung ins Reich der Poesie uns so viele günstigen Momente hat verpassen lassen - ist offensichtlich das Gegenteil dessen, was man derzeit in Washington zur Leitidee amerikanischer Weltpolitik zu machen wünscht.

Darin folgen ihm europäische Politiker zwar zögernd und mit Unbehagen, aber strategisch ohne eine andere (vielleicht sogar an Schiller zu orientierende?) Alternative. Nur sollen sie - oder wenigstens die deutschen, die ja "ihren Schiller" zu kennen und zu loben vorgeben - es dann offen eingestehen, dass dieser Weg ihnen zu schwer, zu hoch, zu anspruchsvoll ist . Aber müssen sie das wirklich? Müssen Waffen und Krieg immer das letzte Wort sein?"


Professor Ekkehart Krippendorff ist emeritierter Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt auf Themen der Internationalen Beziehungen.

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