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Marianna Butenschön
"Was habt ihr gemacht nach dem Krieg?"
750 Jahre Königsberg: Spurensuche in
Kaliningrad
Der Ort, an dem Königsbergs Geschichte vor
60 Jahren zuende ging, ist nicht auf Anhieb zu finden. Beinahe
versteckt liegt der Eingang zum Bunker, von dem aus General Otto
Lasch die letzte Schlacht um Königsberg leitete, am Rande des
kleinen Platzes vorm Hauptgebäude der Kaliningrader
Universität, der ehemaligen Albertina. Der Paradeplatz, auf
dem der Bunker Anfang 1945 angelegt wurde, einst der schönste
und größte Platz der ostpreußischen Metropole, ist
nicht mehr zu erkennen, die Adresse des Museumsbunkers lautet
Universitetskaja, Universitätsstraße.
Die Historikerin Natalja Bykowa führt
seit vielen Jahren durch die 21 Zimmer der unterirdischen Anlage,
die eine Zweigstelle des Kaliningrader Museums für Geschichte
und Kunst ist und ein Denkmal des Großen Vaterländischen
Krieges. Hier werden die letzten Monate Königsbergs, von den
eng-lischen Luftangriffen Ende August 1944 bis zu den
Straßenkämpfen Anfang April 1945, noch einmal lebendig.
Besonders die letzten Tage waren ein Albtraum, für die
Belagerten ebenso wie für die Belagerer. Und so schildert
Natalja Bykowa diese Tage: Die einen mussten um jeden Preis
aushalten, die anderen um jeden Preis stürmen. Erst am Abend
des 9. April erklärte der Festungskommandant sich zur
Kapitulation bereit und begab sich in Gefangenschaft. "General
Lasch hat zu spät kapituliert", sagt Natalja Bykowa bedauernd
und weist auf Kampfszenen in den Ruinen Königsbergs. "Alles
war hier zerstört. Sehr schade."
Vier Wochen später war der Zweite
Weltkrieg zu Ende. Am 4. Juli 1946 wurde Königsberg in
Kaliningrad umbenannt, erhielt die Krönungsstadt der
preußischen Könige den Namen Michail Kalinins, eines
Lakaien Stalins, der 20 Jahre sowjetisches Staatsoberhaupt war. Aus
dem nördlichen Ostpreußen wurde das "Gebiet Kaliningrad",
militärisches Sperrgebiet, etwa von der Größe
Schleswig-Holsteins, aus dem 45 Jahre nur spärlich Nachrichten
nach außen drangen. Menschen aus der ganzen Sowjetunion, vor
allem aber aus den von den Deutschen niedergebrannten Dörfern
und Städten im Westen des Landes, zogen nun in das
zerstörte und menschenleere Ostpreußen, teils angeworben,
teils versetzt, teils auf eigene Faust, fast immer voller Hass auf
alles Deutsche.
Die meisten Umsiedler waren Frauen mit
Kindern, die ihre Männer und Väter im Krieg verloren
hatten. 40 Prozent der neuen Stadtbevölkerung waren
bäuerlicher Herkunft, 30 Prozent der neuen
Landbevölkerung waren Städter. Erst kürzlich haben
Historiker der Kaliningrader Universität herausgefunden, dass
mehr als zwei Drittel der Umsiedler bis Ende der 50er-Jahre wieder
gegangen sind, weil ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben sich
nicht erfüllt hatten. Konnten diese Menschen die
ostpreußische Kulturlandschaft annehmen, die Denkmäler,
die Kirchen, die Herrenhäuser, die alten Ordensburgen pflegen?
Jahrzehnte dominierten Uniformen das Straßenbild.
Die Geschichte Ostpreußens blieb
offiziell tabu, obwohl sie die Intellektuellen insgeheim
faszinierte. Journalisten und Photographen erinnern sich bis heute
daran, dass zum Beispiel rote Ziegeldächer weder erwähnt
noch im Bild gezeigt werden durften und dass die Kurische Nehrung
"Kursker" Nehrung genannt werden musste, während die Ruinen
von Königsberg bevorzugt als Kulisse für Kriegsfilme
dienten. Und doch wurde der "Königsberg-Text" der russischen
Literatur fortgeschrieben. In den 60er-Jahren war Joseph Brodsky,
der spätere Literaturnobelpreisträger, mehrfach in der
geschlossenen Stadt am Pregel. Seine Königsberg-Gedichte
"Ausschnitt", "Einem alten Architekten in Rom" und "Ansichtskarte
aus der Stadt K" bilden einen Zyklus, dessen tragische Tonart
seltsam eindringlich berührt.
Die Schlossruine wurde 1969 gegen den Protest
Kaliningrader Intellektueller gesprengt. Selbst eine
Unterschriftensammlung an der Universität, an der auch Natalja
Bykowa als junge Studentin teilnahm, blieb ohne Wirkung. "Das war
unser gemeinsames Denkmal, weil sich im Schloss russisch-deutsche
Geschichte abgespielt hat. Die Stimme des Volkes wurde nicht
gehört."
Die Wende kam mit der Perestroika Ende der
80er-Jahre, als das versiegelte Buch der Königsberger
Geschichte aufgeschlagen wurde. Zehntausende Ostpreußen, die
nach der Öffnung der Region zu Beginn der 90er-Jahre
anreisten, um noch einmal die alte Heimat zu sehen, haben den
Prozess zweifellos gefördert. Anfangs trafen sie auf
irritierte Kaliningrader Stadtführer, die nicht wussten, wie
sie sich verhalten sollten, weil sie überwiegend Böses
über die Deutschen gehört hatten. "Den Deutschen standen
die Tränen in den Augen, aber sie wollten sehen, was aus ihrer
Heimat geworden war", erinnert sich die Germanistin Diana Oblakowa,
"und dann haben wir zusammen geweint."
Von den alten Ostpreußen erfuhren die
jungen Kaliningrader nun, wie Königsberg vor dem Krieg
ausgesehen hat. "Die waren wie ein Blitz in unserem
Gedächtnis", sagt Diana Oblakowa, "plötzlich habe ich das
Land mit anderen Augen gesehen." So ging es vielen Kaliningradern,
die mit diesen Besuchern zu tun hatten, und manche Freundschaft
entstand. Kein Wunder daher, dass die Generation der Eroberer sich
nun immer häufiger fragen lassen musste: "Was habt ihr hier
gemacht, nach dem Krieg?"
Schon Anfang der 90er-Jahre hat der
Kaliningrader Dichter Sem Simkin die zweisprachige Anthologie "Du
mein einzig Licht. Gedichte Königsberger Dichter"
herausgegeben. Die beiden Auflagen sind vergriffen. Inzwischen
liegen acht Bände der Reihe "Poesie Ostpreußens" in der
Übertragung von Sem Simkin vor. "Das zeigt ein großes
Interesse an der Geschichte und am Kulturerbe", sagt Simkin.
"Königsberg und Ostpreußen gibt es nicht mehr, aber die
Kultur lebt."
Seit ein paar Jahren unterrichtet Sem Simkin
Poesie und Entwicklung der Sprache im privaten Kunst-Schulstudio
"Störchlein" im Baltischen Bezirk, das nach Agnes Miegel
benannt ist. Auf den Tischen liegen Zeichnungen der Schüler
von Immanuel Kant, von Königin Luise, E.T.A. Hoffmann, Ernst
Wiechert und Agnes Miegel, die sie für die Ausstellung
"Bedeutende Persönlichkeiten Königsbergs" im
Gebietsarchiv gefertigt haben. Die Tatsache, dass Agnes Miegel
Mitglied der NSDAP war, stört Sem Simkin nicht. Er habe
"nichts Faschistisches" in ihren Texten gefunden, sagt er, und die
großen russischen Dichter hätten Stalin ja auch besungen.
Heute singen die Kinder im "Störchlein" das "Ännchen von
Tharau" und die "Fünf wilden Schwäne" auf russisch,
Simkin ist stolz darauf.
Königsberg-Kaliningrad. Kaliningrad im
Dialog mit Königsberg. Besuch in zwei Städten, Begegnung
mit Menschen, die in Kaliningrad heimisch geworden sind und doch
nach Königsberg fragen. Heimaterwerb durch Kulturgewinn. Der
Exklave-Status des Gebiets, das seit dem 1. Mai 2004 von EU-Staaten
umgeben ist, fördert die Rückbesinnung auf die so lange
tabuisierte Vorkriegsgeschichte der Region. Im Vorfeld der
Feierlichkeiten zum 750. Geburtstag der Stadt am Pregel im Juli
sind die Versuche, an Königsberg anzuknüpfen, noch
zahlreicher geworden.
So hat Anatolij Walujew, Chefarchäologe
des Kunsthistorischen Museums, die Fundamente des Schlossturms und
fast den gesamten Kellerraum unterm Westflügel freigelegt und
zur Konservierung vorbereitet. Zum 750. Geburtstag wird dort, wo
einmal das Königsberger Schloss stand, ein Freilichtmuseum
seine Tore öffnen. Und auch Anatolij Walujew, der 1958 im
Kaliningrader Gebiet geboren wurde, lässt es sich nicht
nehmen, auf die gemeinsame preußisch-russische Geschichte und
all die berühmten Leute hinzuweisen, die sich im Schloss
aufgehalten haben. "Das heißt, hier geht es nicht nur um eine
Schicht der deutschen Geschichte", sagt er, "sondern um unsere
gemeinsame europäische Geschichte." Natürlich, Nikolaus
Kopernikus, der auch Arzt war, hat hier Herzog Albrecht behandelt,
Zar Peter wurde, als er noch nicht der "Große" war, im
künftigen "Moskowitersaal" empfangen, und Napoleon zog
über Königsberg nach Moskau. Im Januar 1813 jubelten
Königsberger Bürger den russischen Truppen zu, die
Ostpreußen von der Napoleonischen Fremdherrschaft befreit
hatten...
Königsberg war eine grüne Stadt,
Kaliningrad ist es auch. Doch im einst so dicht bebauten
historischen Zentrum ist das Grün jung. Es mildert den Anblick
der trostlosen Plattenbauten rund um den Zentralplatz, die in den
70er-Jahren auf leergefegtem Plateau hochzogen wurden. Auch die
Kant-Insel mit dem wiederaufgebauten Dom, der einstige Kneiphof,
ist mit Bäumen bepflanzt. Die Grünanlage, offiziell ein
"Skulpturenpark", wirkt ungepflegt. Doch die Aura um den Dom ist
die alte. Hier hat die Stadt wieder eine Mitte. Das zeigt sich
besonders am Wochenende, wenn frischgetraute Paare reihenweise am
Grabmal Immanuel Kants Blumen niederlegen, auch wenn die meisten
wohl nicht wissen, wer Kant war.
Rechts vom Eingang unterhält die
Propstei Kaliningrad eine Kapelle, in der Gäste aus
Deutschland mit dem "Ostpreußenlied" begrüßt werden:
"Land der dunklen Wälder". Das Dominnere ist noch nicht wieder
hergerichtet, aber gerade hat die russische Regierung für den
Bau einer neuen Orgel drei Millionen Euro zugesagt. Im Turm ist ein
kleines Kant-Museum eingerichtet, die Stadt hat eine
Kant-Gesellschaft, und die Kaliningrader Universität wird sich
demnächst in "Staatliche Russische Kant-Universität"
umbenennen.
Wladimir Gilmanow, Germanist und Philosoph,
lehrt an der Fakultät für westeuropäische Sprachen.
Der Kant-Experte hält das Gebiet Kaliningrad für eine
einzige Provokation. Aber es sind nicht die enormen
ökonomischen, ökologischen und sozialen Probleme, die ihn
umtreiben, sondern die Frage nach der Identität der Region "in
diesem Zwischenraum Russland-Europa." Diese Identität
könne nur eine die Menschen verbindende sein. "Und diese
Identität nenne ich kantisch. Es ist ja wirklich eine Art
Vorsehung, dass dieser so widerspruchsvolle Kant gerade in
Königsberg, dem heutigen Kaliningrad, geboren wurde!" Wladimir
Gilmanow zufolge ist die Region im Begriff, sich in "ein
Laboratorium des neuen europäischen Denkens" zu verwandeln.
"Russland und Europa könnten einander in dieser Region
unwahrscheinlich stark bereichern."
Königsberg-Kaliningrad als Ausgangs- und
Bezugspunkt einer neuen europäischen Aufklärung? Warum
nicht! Voraussetzung dafür wäre freilich, dass die
heutigen Bewohner der Region deren Geschichte verinnerlichen und
sich mit den Vertriebenen verständigen. "Das ist ein ganz
wichtiger Faktor. Denn wir sind auch schuld an der Tragik des
Kriegsendes und am Unglück der zivilen Bevölkerung im
früheren Ostpreußen. Wir müssen uns versöhnen,
das ist ganz wichtig." Schon vor einiger Zeit hat Wladimir
Gilmanow, der 1955 in Kaliningrad geboren wurde, die Gründung
eines Instituts für russisch-europäische Probleme
vorgeschlagen, das "in diesen schweren russisch-europäischen
Wechselwirkungen oder Wechselbeziehungen vermitteln
könnte."
Vortrag zur Stadtgeschichte im
Deutsch-Russischen Haus in der Jaltinskaja 2a. Awenir Owsjanow
spricht über neue Funde. Der Ingenieur-Oberst a. D., der 1936
in Kostroma geboren wurde, hat in den 60er-Jahren in der DDR
Brücken gebaut, bevor er 1969 als Dozent für Festungsbau
an eine Kaliningrader Militärhochschule versetzt wurde. Im
gleichen Jahr hat Owsjanow an der Sprengung des Schlosses
teilgenommen. "Natürlich haben wir das alles mit dem
Faschismus assoziiert" , sagt er. "An der Richtigkeit dieser
Politik hatten wir nicht den geringsten Zweifel."
Heute leitet Awenir Owsjanow eine Abteilung
der Kaliningrader Gebietsverwaltung, die nach im Zweiten Weltkrieg
verschwundenen Kulturgütern sucht. Sein besonderes Interesse
gilt den Befestigungsanlagen des alten Königsbergs, den Forts,
den Türmen und den Toren, die er vor weiterem Zerfall und vor
Raub zu schützen sucht. Seine Funk- und Fernsehauftritte haben
ihn ungeachtet der Proteste von Kriegsveteranen weit über
Kaliningrad hinaus bekannt gemacht, und auch in Deutschland hat er
nun viele Freunde.
Im Büro des prominenten "Schatzsuchers",
das sich im früheren Eichamt der Stadt befindet, stapeln sich
Karten und Bücher. Der Oberst ist selbst ein erfolgreicher
Autor. Seine Bücher "In den Ruinen des alten Schlosses" und
"In den Kasematten des Forts" waren Bestseller, und er schreibt
weiter. Im übrigen ist Awenir Owsjanow der Ansicht, dass die
Stadt wieder Königsberg heißen sollte. Schließlich
habe sie nach 1945 noch eine Zeitlang so geheißen. "Damit
beleidigen wir unser Volk überhaupt nicht und das deutsche
Volk auch nicht. Das ist die historische Wahrheit."
Die einzige deutschsprachige Zeitung in
Kaliningrad, ein gut gemachtes Monatsblatt, das seit 1993
erscheint, heißt "Königsberger Express". Alle
Kaliningrader Zeitungen bringen regelmäßig Beiträge
zur Geschichte Königsbergs, und der regionale Staatssender
"Jantar" ("Bernstein") sendet jeden Sonntagmorgen einen
historischen "Spaziergang durch Königsberg". Ein Antiquariat
in der Tschernjachowskaja nennt sich "Königsberg". Eine
Kaliningrader Biermarke heißt so und ein Cognac
"Altkönigsberg". Eine Autofirma nennt sich "König-Auto".
Und "König", russisch "Kjenig", nennen auch viele Jugendliche
ihre Stadt.
Hotels wie das "Oberteich" und das "Dohna",
das Gästehaus "Albertina" der Universität, Restaurants
wie die "Stadthalle", der "Kronprinz"" oder "Im Schatten des
Schlosses" holen die Vergangenheit in die Gegenwart. Auch im
Café-Restaurant "Zarja" ("Morgenröte") am Prospekt mira
13 achtet man auf den Zeitgeist. Im Souterrain hängen alte
deutsche Reklame-Schilder: "Liköre Petereit" - "Miele
Staubsauger" und "Lest die Allgemeine Königsberger Zeitung."
Und die alten deutschen Häuser in den westlichen
Villen-Vororten, die der Krieg weitgehend verschont hat, sind
begehrte Immobilien. Sie gehen vor allem an neureiche Russen, die
in den Antiquariaten nach Straßenschildern, Hausnummern und
Fotos aus deutscher Zeit suchen, weil alles, so sagt der junge
Antiquitätenhändler am Prospekt mira 80, möglichst
"wie früher" aussehen soll. Auch bei Touristen aus Russland
sind "Souvenirs aus Königsberg" hochbegehrt.
Den Umfrageergebnissen einer Lokalzeitung
zufolge sind die Deutschen heute die beliebtesten Ausländer,
was auch damit zu tun haben mag, dass 60 Jahre nach Kriegsende
Besucher kommen, die nicht mehr unter dem Trauma von Flucht und
Vertreibung leiden. "Diese Deutschen sind schon anders", sagt Diana
Oblakowa, die Stadtführerein. "Das sind oft Leute, die
Studienreisen machen, und diese Reisenden erleben
Königsberg-Kaliningrad als eine sehr lebendige
Stadt."
Es ist eine Stadt, die sich ihrer
Weltoffenheit und Toleranz rühmt. "Wir sind stolz darauf, dass
der Faktor Nationalität oder Herkunft in unserer Region kaum
eine Rolle spielt", sagt Viktor Tschernyschow, Redakteur beim
"Königsberger Express". "Im Gegensatz zu anderen Städten
in Russland wie Moskau und Petersburg, die eigentlich als
Hauptstädte ein positives Beispiel geben sollten, was sie aber
nicht tun, gab und gibt bei uns keine nationalen
Konflikte."
Kann im ehemaligen Ostpreußen also immer
noch "ein jeder nach seiner Facon selig werden?" Heute sind 60
Prozent der Einwohner in Kaliningrad geboren, die meisten waren nie
in Russland, und die junge Generation fährt lieber nach
Litauen, Polen oder Deutschland. Nach Berlin sind es nur 600, nach
Mos-kau aber 1.200 Kilometer. Und wenn eine Schulklasse einmal nach
Moskau fährt, ist das für die Kaliningrader Presse fast
eine kleine Sensation. "Unsere Generation hat eigentlich sehr viele
Aufgaben", sagt Diana Oblakowa. "Wir haben angefangen, uns zu
besinnen, was wir hier gemacht haben, aber wir hoffen doch, dass
wir unsere Schwierigkeiten überwinden und dass Ostpreußen
in einem neuen Sinn aufersteht."
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, zumal
die politische Zukunft des Kaliningrader Gebiets unklar ist. "Was
politisch-wirtschaftlich mit diesem Gebiet passiert, fällt in
die Rubrik Kaffeesatz", sagt Dr. Stephan Stein, der die Delegation
der Deutschen Wirtschaft in Kaliningrad leitet. "Moskau kann nicht
erwarten, dass Europa oder Deutschland die Verantwortung für
dieses Gebiet übernehmen." Auch Peter Wunsch, der Direktor des
angesehenen Deutsch-Russischen Hauses, meint, dass Russland sich
entscheiden müsse, "wohin man mit Kaliningrad möchte."
Zwar habe die Region "interessante Wachstumszahlen", aber die
Entwick-lung in Polen und Litauen verlaufe sehr viel schneller, und
die Schere klaffe täglich weiter auseinander.
Auch auf russischer Seite drängen viele
auf Öffnung und manche auf mehr Selbständigkeit.
"Abgetrennt von Russland kann das Kaliningrader Gebiet auf die
Dauer rein technisch nicht existieren", sagt Sergej Pasko,
Vorsitzender des Verbandes der Kleinunternehmer und Chef der
Republikanischen Baltischen Partei. "Wir sind überzeugt, dass
es uns wirtschaftlich und politisch viel besser gehen wird, wenn
wir selbst die Verantwortung für unser Schicksaal auf uns
nehmen, statt nur nach Kreml-Kommandos zu schauen."
Die Germanistik-Professorin Jenny Salkowa,
deren Studenten es mehrheitlich nach Deutschland zieht, würde
es begrüßen, wenn Deutsche sich so im Kaliningrader
Gebiet niederlassen könnten, wie unzählige Russen in
Deutschland. "Historisch ist das Schicksal dieser Stadt
vorbestimmt", sagt Ludmila Wiktorowa, Hörfunkdirektorin beim
Staatssender "Jantar". "Die Stadt war immer eine Brücke
zwischen Europa und Russland und eine Hansestadt. Also, warum das
Rad erfinden?" Neuerdings ist in Moskau vom Status eines
"Auslandsterritoriums" für die Region die Rede.
Auch der Dichter Sem Simkin sieht Kaliningrad
in Königsberg verwurzelt. "Für mich ist das die zweite
Heimat, aber unsere Kinder und Enkel sind hier geboren. Damit sie
hier eine Zukunft haben, müssen sie ihre Vergangenheit
kennen!" Ginge es nach Sem Simkin, hätten die
ostpreußischen Städte ihre alten Namen längst
wieder. Die Kulturschaffenden seien dafür, sagt er, auch die
Jugend, aber die Kriegsveteranen seien dagegen, und auf die
müsse noch Rücksicht genommen werden. Das tut die
politische Führung.
Offiziell wird Anfang Juli der 750.
Geburtstag Kaliningrads gefeiert, obwohl davon 690 Jahre auf
Königsberg entfallen. Ein großer Teil der
Bevölkerung hätte zumindest den Doppelnamen
"Königsberg-Kaliningrad" für das Geburtstagskind
vorgezogen, zumal der wiederaufgebaute Königsberger Dom seit
dem vorigen Jahr das Wappen der Stadt Kaliningrad ziert. Davor war
es ein Fischgesicht.
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