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Ulrike Schuler
Die Hamburger "Von-Fall-zu-Fall-Meinung"
Herbe Kritik am "Spiegel"-Chef Stefan
Aust
Der "Spiegel" ist auch nicht mehr das, was er mal war - ein oft
geäußerter Verdacht unzufriedener Leser, dem Oliver Gehrs
in seinem Buch neues Futter gibt. Nicht länger kritisches
Nachrichtenmagazin, sondern ein zahmes Blatt sei er geworden;
Sachpolitik sei zugunsten eines Portraitismus von Politikern
aufgegeben worden, "bei dem man unter dem Strich oft nur
erfährt, welcher Politiker in welchem italienischen Restaurant
welche Flasche Wein geöffnet hat".
Der Autor macht auch gleich mit dem Untertitel klar, an wem das
seiner Meinung nach liegt. Dass das Hamburger Magazin unter einem
Mann wie Aust nahezu zwangsläufig seinen Charakter habe
verändern müssen, zeigt Gehrs anhand einer locker
geschriebenen, informativen Biografie des derzeitigen
"Spiegel"-Chefredakteurs. Aust machte schon als Teenager eine
"bella figura" als Blattmacher einer Schülerzeitung,
später bei den "St.-Pauli-Nachrichten" und "Konkret". In
erster Linie habe er als arbeitsversessener Organisator
geglänzt, erst an zweiter Stelle als idealistisches Sprachrohr
für die Schwachen der Welt und eher weniger als intellektuelle
Edelfeder. Zwar habe Aust besonders bei "Konkret" gegen das
Establishment und besonders gern gegen Springer angeschrieben, doch
besonders hervorgetreten sei er als Macher mit einer Affinität
zu "Sex and Crime".
Gehrs zeigt, dass Aust trotz linker Attitüde immer bereit
war, ins Seichtere abzudriften und seine Überzeugungen zu
ändern, wenn die Auflage es seiner Meinung nach erforderte.
Der Autor attestiert ihm eine "Von-Fall-zu-Fall-Meinung" und eine
gefährliche Nähe zu den Mächtigen in Politik und
Wirtschaft. So fliege Aust mit dem Firmenjet von VW-Chef Piech zu
Terminen, auf Einladung der Telekom zur Tour de France und fahre
mit dem Springer-Konzern inzwischen einen Schmusekurs.
Je mehr sich Aust von den erfolgreichen Selfmademen der
Wirtschaft faszinieren lasse, desto weniger Chancen hätten
Berichte über die Schwächsten der Gesellschaft. Im neuen
"Spiegel" sei meist "Goliath der Gute", zitiert Gehrs einen
Mitarbeiter. Er beschreibt eine immer stärkere
Richtungssetzung von Seiten des "Spiegel"-Chefs zu Gunsten seiner
Interessen und zu Lasten gut recherchierter, kritischer Artikel.
Von innerer Pressefreiheit sei nicht mehr viel übrig, die
Aust-Kritiker hätten das Blatt verlassen, kaum einer wage noch
Widerspruch.
Gehrs setzt nicht auf Anekdötchen oder unterhaltsam
Herbeispekuliertes aus dem Privatbereich, wie es beispielsweise
Hellmuth Karasek in "Das Magazin" für nötig gehalten
hatte. "Der Spiegel-Komplex" bietet über das Biografische
hinaus eine spannende Beschreibung der gesellschaftspolitischen
Situation in den 60er- und 70er-Jahren. Ein wenig schade ist, dass
es dem Autor nicht gelang, Aust intensiver mit seinen
Vorwürfen zu konfrontieren und zu Stellungnahmen zu bewegen.
Dennoch sollte zumindest jeder, der wöchentlich seine drei
Euro für das Blatt hinlegt, dieses Buch gelesen haben.
Oliver Gehrs
Der Spiegel-Komplex.
Wie Stefan Aust das Blatt für sich wendete.
Droemer Verlag, München 2005; 335 S., 19,90 Euro
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