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Tilmann P. Gangloff
Journalismus soll alle Seiten zeigen
Jugendliche wollen Inhalte
Fernsehjournalisten haben von den konkreten Erwartungen
Jugendlicher an die Medien nur eine höchst diffuse
Vorstellung. Dies ist ein Fazit des Projekts "Journalismus mit
Jugendlichen für Jugendliche". Ausgangspunkt der Studie, die
das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und
Bildungsfernsehen (IZI) gemeinsam mit der Bundeszentrale für
politische Bildung durchgeführt hat, war die Erkenntnis, dass
Jugendliche zwar viel fernsehen, öffentlich-rechtliche
Informationsprogramme jedoch kaum wahrnehmen. Gruppendiskussionen
im Rahmen des IZI-Projekts zeigten nun, dass das Interesse der
Jugendlichen wächst, wenn die Beiträge "an ihre eigene
Alltagswelt anschließen". Besonders wichtig sei ihnen die
Authentizität der Protagonisten.
Zur Überraschung der Forscher wünschen sich die
Jugendlichen nicht nur eine klare Strukturierung der Beiträge,
sie kritisieren auch die modische Bildgestaltung: "Dynamische
Kameraführung, stark bewegte Hintergründe und
ungewöhnliche Kameraeinstellungen, die von den Autoren als
besonders frische Elemente eingesetzt wurden, kamen bei den
Jugendlichen nicht gut an", heißt es in einem ersten Entwurf
des Berichts, der demnächst in Buchform erscheinen soll. Auch
von den Beiträgen in Jugendmagazinen erwarten die jungen
Zuschauer in erster Linie Information: "Der Unterhaltungswert und
ästhetische Aspekte spielen eher eine untergeordnete Rolle."
Spätestens jetzt, heißt es in der Studie, sei deutlich
geworden, dass Redakteure und Autoren von den konkreten Kriterien
der Jugendlichen bezüglich der inhaltlichen und
ästhetischen Gestaltung "nur sehr wenig wissen". Im Verlauf
des Projekts kamen an die 370 Jugendliche im Alter von
durchschnittlich 16 Jahren zu Wort.
Aus diversen Jugendstudien weiß man, dass Freundschaft,
Musik, Liebe und Partnerschaft sowie Ausbildung und Beruf die
großen Jugendthemen sind. Selbst bei solchen Berichten aber
schalten Jugendliche offenbar ab, "wenn der Bezug zur eigenen
Lebenswelt nicht deutlich wird". Politische Themen hätten
durchaus eine Chance, die Aufmerksamkeit zu erregen, wenn es den
Autoren gelinge, "Jugendliche und ihre Perspektiven in den
Mittelpunkt zu stellen oder ihnen zumindest Anknüpfungspunkte
zu bieten". Außerdem erwarteten sie fundierte Information: Sie
"möchten meist möglichst umfassende Einblicke in ein
Thema erhalten. Deshalb wird häufig kritisiert, dass nur ein
bestimmter Aspekt und nicht die gesamte potenzielle Bandbreite
eines Themas dargestellt wird."
Besonders wichtig sei den jungen Zuschauern "die große
Bandbreite unterschiedlicher Positionen". Dabei wollten sie nicht
nur "O-Töne" von Gleichaltrigen, sondern auch Statements von
Personen mit unterschiedlichen Erfahrungshorizonten: "Auf diese
Weise erhalten sie Einblicke in Denkweisen und Standpunkte, die
ihnen aus ihren eigenen Erfahrungen nicht vertraut sind." Je
vielschichtiger der Kreis der befragten Personen sei, desto besser
werde ein Beitrag von den Jugendlichen bewertet. Dies sei vor allem
bei Themen der Fall, zu denen sie die Meinungen ausgewiesener
Experten wünschten, und zwar "die gesamte Bandbreite von
absoluter Zustimmung bis zu kategorischer Ablehnung". Die
Jugendlichen wollten sich als Rezipienten ihre eigene Meinung
bilden und nicht das Gefühl bekommen, es werde ihnen "eine
einseitige Sichtweise aufgedrückt". Sie erwarten von den
Medien einen anwaltschaftlichen Journalismus, der aber "nicht
wertet, sondern unparteiisch sein Thema aufrollt".
Nicht minder verblüffend, jedenfalls für
Fernseh-redakteure, dürften die Ergebnisse anderer Studien
sein, die vom IZI zum Themenkreis "Erotik" in Auftrag gegeben
wurden. Nicht nur bei der Bildgestaltung für Jugendliche liegt
das Fernsehen falsch: Die Tatsache, dass die - überwiegend
amerikanischen - Videoclips in den Musiksendern gern und viel
nackte Haut zeigen, ist der Zielgruppe ebenfalls nicht recht. Auch
für Filme gilt: Erotik ja, Sex nein. Jungen und Mädchen
ist offenbar am liebsten, wenn es bei Andeutungen bleibt und den
Rest die Fantasie erledigt. Was darüber hinaus geht, finden
sie rasch "eklig".
Laut Jugendforscherin Anne Schwarz (social business, Stuttgart)
wollen die Mädchen, dass Erotik verpackt ist, etwa in Humor
oder schöne Bilder. Pornografie finden sie widerlich, Sex in
Verbindung mit Gewalt lehnen sie generell ab. Erotik spüren
sie bereits in Dialogen, aber vor allem in Musik- und Tanzfilmen.
Ihre Mütter dürften das kaum anders sehen: "Dirty
Dancing" (1987) wird von den 12- bis 17-Jährigen am
häufigsten genannt.
Die Ansichten der Jungs fallen überraschenderweise kaum
anders aus. Sie wissen durchaus, wann und wo das Fernsehen
expliziten Sex zu bieten hat, distanzieren sich aber davon: "Das
ist vor allem was für Ältere." Auch den Jungs sind
Andeutungen viel lieber; "Mondscheinerotik" schätzen sie
genauso wie die Mädchen. Die Sexwelle im Fernsehen ist ihnen
sogar unsympathisch: "Ständig laufen Nackte rum." Die Kritik
richtet sich interessanterweise vor allem gegen Videoclips, deren
Macher ja überzeugt sind, mit viel Sex mehr CDs zu verkaufen.
Die Zielgruppe empfindet das als Überdosis, wehrt sich zudem
gegen "standardisierten Sex" und will mehr Abwechslung. "Erotik
soll ?embedded' sein", so die Jugendforscher Reinhard Winter und
Gunther Neubauer, gemeinsam Leiter des Sozialwissenschaftlichen
Institut Tübingen (SOWIT).
Da die deutsche Jugend schon seit Generationen in Sachen Sex vor
allem von der "Bravo" lernt, überrascht es nicht weiter, dass
sich Kinder am liebsten durch Medien aufklären lassen: weil's
nicht so peinlich ist. Auch und gerade "Daily Soaps" - die
RTL-Serie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" ist seit Jahren mit
Abstand die erfolgreichste - werden in dieser Hinsicht gern
genutzt. Allerdings darf die Aufklärung, wissen die Autoren,
nicht aufgesetzt wirken. Ganz gleich, ob es um Sexualität,
Drogenkonsum oder Rassismus gehe: "Die Kinder wollen lernen, aber
nicht belehrt werden." Die Botschaft dürfe nicht klingen, als
habe ein Sozialarbeiter das Drehbuch geschrieben.
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