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Peter Weber
Die Agonie eines Autokraten
Regionalwahlen und Regierungskrise in
Italien
"Ich fürchte, so leicht werdet ihr mich
nicht loswerden!", verabschiedete sich Silvio Berlusconi von der
Reporterschar. Ob es sich um eine Drohung oder ein Versprechen
handelte, war nicht klar. Berlusconis Koalitionspartner Marco
Follini von der UDC war mit derartigen Sprüchen nicht
zufrieden zu stellen und zog am folgenden Tag seine Minister aus
dem Kabinett zurück. Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi
unterbrach sofort seinen Staatsbesuch in Bulgarien und kehrte noch
am selben Abend zurück, um die Rücktrittschreiben in
Empfang zu nehmen und seine verfassungsmäßige Rolle als
Mittler in der Krise auszufüllen.
Allein Berlusconi ließ ihn drei Tage
warten, bevor er am Montag endlich den vorgeschriebenen Gang zum
Quirinalspalast antrat, wo er freilich sofort klar stellte, dass
ein Rücktritt für ihn nicht in Frage komme, weil er
seiner parlamentarischen Mehrheit sicher sei. Staatspräsident
Ciampi wies ihn daraufhin an, sich "unverzüglich im Parlament
zu präsentieren".
Durch den Überraschungscoup des Premiers
erneut düpiert, unterzeichneten am folgenden Tag auch die
Minister der Nationalen Allianz ihre Rücktrittsgesuche, die
von Parteichef Gianfranco Fini freilich noch bis nach der
Parlamentsdebatte zurückgehalten wurden. Während zu
gleicher Stunde im Vatikan mit der raschen Wahl von Papst Benedikt
XVI. ein Beispiel bemerkenswerter Einigkeit, Verantwortung und
Effizienz gegeben wurde, fragte Oppositionsführer Romano Prodi
nach dem Stand der Dinge in Italien: "Gestern ist der
Ministerpräsident zum Quirinal hinaufgestiegen, um den
Rücktritt einzureichen, aber dann hat er es nicht getan. Heute
zieht die Nationale Allianz ihre Minister zurück, aber dann
doch nicht." "Dieses Ballett muss aufhören!", mahnte der
ehemalige EU-Kommissionspräsident und forderte im Namen aller
Oppositionsparteien sofortige Neuwahlen. Zwei Tage später war
Berlusconi zum Rücktritt gezwungen, in der sicheren Erwartung,
vom Staatspräsident erneut mit der Regierungsbildung
beauftragt zu werden.
Zu den Wundern der Italienischen Republik
gehört es unter anderem, dass in ihr offenbar auch mehrere
Verfassungen nebeneinander existieren können. Einerseits ist
dies die weiterhin gültige geschriebene Verfassung von 1948
mit ihren ausgefeilten Ritualen einer parlamentarischen Republik,
andererseits aber auch seit der Wahlrechtsreform des Jahres 1993
ein Mehrheitswahlsystem, in dem der Regierungschef ähnlich dem
deutschen Bundeskanzler zusätzlich mit einer mehr oder weniger
direkten Legitimation durch das Volk ausgestattet wird. Offenbar
reicht diese Legitimation aber nicht für eine ganze
Legislaturperiode, und so hat es bis jetzt noch jedesmal nach einer
gewissen Anstandsfrist den Rückfall in die alten Rituale mit
ihren schwachen, von den Koalitionsparteien ausgekungelten
Regierungen gegeben. Um genau dies in Zukunft zu unterbinden,
hatten die Parteien des Freiheitspols vor einem Monat eine
weitreichende Verfassungsreform beschlossen, die allerdings in
einem zweiten Durchgang noch die letzte parlamentarische Hürde
nehmen muss, bevor sie schließlich per Referendum
bestätigt und in Kraft gesetzt werden kann. Ganz auf die Figur
Berlusconis zugeschnitten, gleicht dieser als "notwendige
Dezentralisierung" getarnte Gesetzestext indes mehr einem "Manifest
der postdemokratischen Telekratie" als einer modernen Verfassung
mit rationalen checks and balances. Von der großen Mehrheit
der Verfassungsrechtler wird sie daher ebenso abgelehnt, wie von
Oppositionsführer Prodi, der von einer "gefährlichen
Diktatur der Mehrheit oder genauer gesagt des
Ministerpräsidenten" sprach.
Für Berlusconi aber scheint diese neue
Verfassung bereits Realität, oder aber er hat noch einen ganz
anderen Text im Kopf, in dem es auf jeden Fall ausgeschlossen sein
muss, dass der Premier irgend jemandem Rechnung ablegt. In vier
Jahren an der Regierung hat er in den Kammern tatsächlich
nicht einmal Rede und Antwort gestanden. In der gegenwärtigen
Krise setzt Berlusconi nicht ganz unbegründete Hoffnungen,
dies auch in Zukunft so halten zu können, darauf, dass seine
Koalitionspartner keinen anderen Kandidaten für das Amt des
Ministerpräsidenten haben und bei Neuwahlen angesichts ihres
derzeitigen Popularitätstiefs schwer in die Bredouille kommen
dürften.
Vorausgegangen war der Krise in der Tat eine
schallende Ohrfeige der Wähler, die bei den Regionalwahlen
Anfang April der oppositionellen Ölbaum-Koalition in elf von
13 Regionen zum Sieg verhalfen und dabei auch prominente und
keineswegs unpopuläre Ministerpräsidenten der
Regierungskoalition in so wichtigen Regionen wie Latium, Piemont,
Ligurien und Apulien abgewählt hatten. Von dem aus
Brüssel zurückgekehrten Prodi auf Kurs gebracht, setzte
sich die Mitte-Links-Koalition fast überall durch und
ließ den Rechten auch in ihren Hochburgen kaum eine Chance. In
einer symbolisch bedeutsamen Stadt wie Venedig, einst von der
sezessionistisch angehauchten Lega Nord zur Hauptstadt "Padaniens"
ausgerufen, erreichten die Kandidaten der Rechten für das
Bürgermeisteramt nicht einmal die Stichwahl. Am stärksten
waren die Verluste aber im Süden, wo Berlusconis Forza Italia,
aber auch die aus den Neofaschisten hervorgegangene Nationale
Allianz und die christdemokratische UDC fast überall
dramatische Verluste hinnehmen mussten. Die Führer von AN und
UDC, Gianfranco Fini und Marco Follini, forderten eine radikale
Kursumkehr zugunsten der Familien und des verarmten Mezzogiorno
sowie ein deutliches "Zeichen der Diskontinuität".
Der Konflikt hatte sich seit geraumer Zeit
angekündigt. Über ein halbes Jahr hatten die
Koalitionspartner einander beharkt, bevor der
Ministerpräsident sich im Sommer 2004 endlich dazu
durchgerungen hatte, mit der Entlassung von Wirtschafts- und
Finanzminister Giulio Tremonti (FI) ein erstes Opfer zu bringen.
Der Rücktritt Tremontis erwies sich indes auch deshalb schon
bald als ein Scheinsieg seiner Gegner, weil Berlusconi seinen
Nachfolger zwang, den bisherigen Kurs fortzusetzen. Noch Ende 2004
ertrotzte der Regierungschef gegen alle finanzpolitische Vernunft
und gegen alle Widerstände in der Koalition eine Senkung der
Einkommensteuer, insbesondere des Spitzensteuersatzes, um sich beim
Wahlvolk für die Regionalwahlen 2005 zu empfehlen.
Die Kritiker Fini und Follini ließen
sich zum Trost mit Ministerposten abspeisen, wobei Fini endlich das
lange ersehnte Außenministerium übernahm. Immerhin konnte
er dort unter Anleitung von Staatspräsident Ciampi eine
teilweise Korrektur des außenpolitischen Kurses durchsetzen.
Mit seiner überambitionierten Außenpolitik an der Seite
von George W. Bush hatte Berlusconi den nationalen Interessen in
den letzten Jahren erheblichen Schaden zugefügt, den Fini nun
wieder zu begrenzen suchte. Für die Innenpolitik fiel der
Nationalistenführer dadurch aber weitgehend aus.
Die mangelnde soziale und regionalpolitische
Symmetrie der Wirtschafts- und Finanzpolitik sollte sich
schließlich als die schwerste wahlpolitische Hypothek der
Regierungskoaltion erweisen. Die Versäumnisse der "liberalen"
Regierung Berlusconis umfassen hier von der Ordnungspolitik,
über die Einkommens- und Steuerpolitik bis zur Sozialpolitik
fast alle Ressorts. So wurde außer Amnestien kaum etwas
unternommen, um die Steuermoral zu heben. Berlusconi selbst nannte
die Steuerhinterziehung "in gewissen Situationen moralisch
gerechtfertigt". Er selber war dazu immerhin nicht mehr gezwungen,
weil er die ihn betreffenden Steuergesetze rechtzeitig vor der
Übereignung seines Konzerns an seine Kinder eigenhändig
geändert hatte. Ob bei den Amnestien für Bausünder
oder Steuersünder, bei der Streichung der Bilanzfälschung
aus dem Strafgesetzbuch, der Verlängerung der
Verjährungsfristen oder der zögerlichen Umsetzung des
Europäischen Haftbefehls, immer wieder wurden die Reformen der
Freiheitskoalition von ähnlichen Interessen gelenkt und
sandten damit deutliche Signale der Ermutigung an die weniger
gesetzestreuen Bürger.
Die Industriepolitik wurde dagegen ebenso
vernachlässigt wie der Abbau der Bürokratie und die
Öffnung der Märkte, die Berufsbildung und der soziale
Wohnungsbau. So wurden die Monopole im Postwesen und im
Schienentransport ungeachtet der aus Brüssel dräuenden
Fristen für die Liberalisierung wieder sich selbst
überlassen. Notwendige Reformen für größere
Transparenz zur Stärkung der Konkurrenz im Bankwesen wurden
auch nach dem weltweit beachteten Skandal um den Konzern Parmalat
nicht vorangebracht. Post, Eisenbahn und Banken nutzten den
Spielraum, um zum Jahreswechsel 2005 noch einmal massive
Tariferhöhungen durchzusetzen, welche die ohnehin geringen
Steuererleichterungen der Arbeitnehmer sofort
auffraßen.
So wurde die Perzeption, dass alle
Maßnahmen der Regierung Berlusconi fast nur die Reichen und
Trickreichen begünstigten, während sie die Armen nur noch
stärker belasteten, nach Jahren der allgemeinen Apathie
allmählich zur Gewissheit. "Den Italienern geht es doch gut!",
versuchte Berlusconi demgegenüber vor den Regionalwahlen sich
und seinen Wählern noch Mut zu machen. Für den reichsten
Mann des Landes gilt dies sicher und vermutlich auch für die
meisten seiner Freunde. Manche Italiener schätzen die Politik
der Regierung daher weiterhin, vor allem im reichen Norden. Es ist
deshalb auch wenig überraschend, dass die beiden einzigen
Regionen, in denen der Freiheitspol sich noch behaupten konnte, die
Lombardei und Venetien waren. Zum treuesten Koalitionspartner
Berlusconis hat sich folglich die einstmals widerspenstige Lega
Nord Umberto Bossis gewandelt.
Die zunehmende Bedrängnis der normalen
Arbeitnehmerfamilien in den weniger reichen Regionen wird dagegen
auch durch eine Welle von Streiks belegt, die, von den Medien
möglichst herunter gespielt, seit Monaten das Transportwesen
und andere Sektoren lahm legen und zuletzt nur durch das
Begräbnis des Papstes kurzzeitig unterbrochen
wurden.
Nicht viel besser steht es inzwischen aber
auch um das Verhältnis der Regierung zu den Unternehmern. Die
italienische Industrie befindet sich auf allen wichtigen
Zukunftsmärkten auf dem Rückzug, und inzwischen scheint
der eigentliche Kern, ja das Überleben Italiens als
Industrieland bedroht. Der letzte große Industriekonzern, der
Autohersteller Fiat versucht sich derzeit am Kunststück
Münchhausens, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen,
doch die Aktie ging, trotz der dem amerikanischen Konzern General
Motors abgetrotzten Abschlagszahlung von 2 Milliarden Dollar, diese
Woche erneut auf Talfahrt. Konzernchef Luca Cordero di Montezemolo,
gleichzeitig Vorsitzender der Unternehmervereinigung Confindustria,
spart nicht mit Kritik an der Regierung, von der die unter dem
Globalisierungsdruck stöhnenden Mitglieder seines Verbandes
sich inzwischen weitgehend allein gelassen fühlen.
Die einzige Industrie, der es noch blendend
geht, ist das Fernsehen. Die staatliche Sendeanstalt RAI hat gerade
ein Rekordergebnis vermeldet, und Berlusconis Senderfamilie
Mediaset hat ihren Börsenwert in den letzten zwei Jahren fast
verdoppelt. Kein Wunder, wenn man den stärksten Konkurrenten
selber über das Parlament kontrolliert und gleichzeitig alle
anderen Kontrahenten durch gesetzgeberische Tricks auszusperren
versteht. Besonders interessant war die Strategie bei der
Einführung des erdgebundenen Digitalfernsehens. Vom
zuständigen Minister Maurizio Gasparri (AN) als unbedingt
notwendige Maßnahme zur Schaffung von mehr Konkurrenz
gepriesen, gewährte die Regierung zunächst
großzügige Subventionen zur Anschaffung der
Empfangsanlagen. Anschließend kaufte Berlusconis Konzern
Mediaset vom eigenen Fußballclub AC Mailand und einigen
anderen wichtigen Vereinen die Übertragungsrechte für die
Fußballspiele der Serie A, und nun bietet man den Zuschauern
jedes Spiel im Bezahlfernsehen live für drei Euro an. Der
Erfolg ist so überwältigend, dass der Medientycoon Rupert
Murdoch, der vor einem Jahr noch horrende Preise für die
Übertragungsrechte bezahlt hatte, mit seinem
satellitengestützten Bezahlfernsehen Sky wohl bald aus dem
Markt gedrängt wird.
In der Woche nach den Regionalwahlen
kündigte der Konzern Mediaset jetzt an, dass die Familie
Berlusconi 17 Prozent des Aktienkapitals an institutionelle Anleger
abgeben wolle. Während die Anhänger des Premiers wie
Telekommunikationsminister Gasparri (AN) dies als wichtigen Schritt
zur Lösung des Interessenkonflikts feierten, hatte der
Vorgänger Tremontis im Finanzministerium, der Linksdemokrat
Vincenzo Visco (DS) eine ganz andere Lesart parat: "Da er eine
Wahlniederlage für wahrscheinlich hält, fürchtet
Berlusconi, dass in der nächsten Legislaturperiode das nach
Gasparri benannte Mediengesetz geändert werden könnte,
mit unmittelbar negativen Folgen für den Marktwert von
Mediaset." Der Verkauf von Anteilen an Mediaset ist daher in
Wirklichkeit eine Art, den in den letzten Jahren massiv genutzten
Interessenkonflikt zu Geld zu machen, zumal auch die Kontrolle
über die Gesellschaft nicht in Frage gestellt
würde.
Die unbedingte Herrschaft über alle
wichtigen Fernsehkanäle hat sich in den letzten Jahren immer
mehr als das wirklich entscheidende Herrschaftsinstrument zur
Bewahrung der Macht erwiesen. Nützlich um eklatante
Fehlleistungen herunterzuspielen oder ganz tot zu schweigen, um
genehme Themen hochzuspielen, widerspenstige Koalitionspartner zu
disziplinieren, lästige Kritiker kalt zu stellen, die
Opposition als gespalten und von Extremisten beherrscht
darzustellen, geht ohne diese Konstante gar nichts mehr im
Koordinatensystem der Mitte-Rechts-Koalition. Ohne die
willfährigen oder willfährig gemachten Helfer in seinen
Sendern und im Staatsfernsehen RAI wären die letzten vier
Jahre narzisstischer Selbstdarstellung Berlusconis deshalb gar
nicht vorstellbar gewesen, und ohne diese Grundlage seiner Macht
hätte er sich als Ministerpräsident vermutlich kaum
länger als ein paar Monate an der Regierung gehalten. Die
eingangs zitierte Drohung gegenüber den Journalisten war daher
wohl durchaus an den richtigen Adressaten gerichtet. Sie
läßt auf jeden Fall eine schwere und langwierige Agonie
des Autokraten aus Arcore befürchten.
"Wenn er erst eine Weile regiert, dann werden
die Italiener bald gegen den Virus des Berlusconismus gefeit sein",
hatte Indro Montanelli, Italiens berühmtester Journalist, kurz
vor seinem Tod geweissagt. Mit einigen Jahren Verspätung
scheint die Kur nun anzuschlagen, wegen der schweren
Kollateralschäden ist sie als Heilmittel jedoch kaum zu
empfehlen.
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