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"Beide Seiten müssen lernen!"
Ein großes Verlagsprojekt: Beck stellte
sein neues Islam-Handbuch vor
Der Islam ist kein starres Phänomen. Ihm gegenüber
müssen wir Europäer uns aller Stereotype enthalten." Der
Hamburger Orientwissenschaftler Udo Steinbach rief es den
zahlreichen Zuhörern, die zur Präsentation seines
völlig überarbeiteten Islam-Handbuchs am 3. November in
die Robert-Bosch-Stiftung in Berlin gekommen waren, fast
beschwörend zu. Beide Seiten, so Steinbach weiter,
müssten lernen, einander anzunehmen.
Steinbach und sein an der Universität Freiburg lehrender
Kollege Werner Ende hatten die erste Auflage des Handbuchs im Jahre
1984 herausgebracht, damals noch mit 29 Autoren und auf rund 700
Seiten. Inzwischen haben die politische Entwicklung im Nahen Osten,
aber auch das wachsende Interesse in breiten
Bevölkerungskreisen am Islam eine fünfte Auflage
nötig gemacht, die fast einem neuen Buch gleichkommt; diesmal
sind 45 Autoren dabei, darunter mehrere Autoren auch aus anderen
europäischen und arabischen Ländern. Das Buch liest sich
fast wie ein "Gotha" gegenwärtiger Orientforschung in Europa.
Die Robert-Bosch-Stiftung, die das Unternehmen mitfinanziert hat,
bot jetzt in ihrer Berliner Dependance die Möglichkeit, das
Buch der Öffentlichkeit vorzustellen.
Beide Herausgeber sehen in der Entwicklung seit 1984 auch einen
"Paradigmenwechsel" moderner Islamwissenschaft. Damals war es fast
noch "karrierehinderlich", in orientbezogenen Fächern allzu
sehr auf Gegenwartsprobleme zu setzen. Heute wird umgekehrt von
nahezu allen Bereichen, von Politik über Wirtschaft und
Soziologie bis zu Religion und Sprache, nach dem aktuellen Bezug
gefragt. Die Herausgeber haben diesem allgemeinen Wunsch denn auch
Rechnung getragen und den "real existierenden Islam" in den
Mittelpunkt gerückt.
Beide Wissenschaftler nutzten die Gelegenheit, für
größere Offenheit im wechselseitigen Diskurs zu werben.
Deutschland, so Steinbach, "erreicht seine Sicherheit nicht durch
Abschottung oder innere Klischees, sondern durch geistige Offenheit
und Dialogbereitschaft". Es gebe auf islamischer Seite viel
Potenzial zum Dialog und gegenseitigem Verstehen ("damit spreche
ich terroristische Gewalttäter nicht frei"). Um dieses
Potenzial zu erkennen, brauche Deutschland einen fundamentalen
Wandel in seiner Wahrnehmung der islamisch geprägten Welt.
Das Buch ist eine Fundgrube für alle, die sich mit der
Politik, Wirtschaft, Religion und Kultur des Islams
beschäftigen. Es ist in drei größere Abschnitte
unterteilt; der erste umfasst Politik- und Religionsgeschichte
(hier von der Spaltung in Sunniten und Schiiten bis in die
Gegenwart); der dritte Teil ist der islamischen Kultur und der
islamischen Zivilisation in unseren Tagen gewidmet. Den weitaus
größten Teil des Handbuchs umfasst der zweite Teil, der
nach der politischen Rolle des Islams in der Gegenwart fragt und
dabei in 24 Länderstudien den Islam in seinen verschiedensten
Ausprägungen von der Türkei über Nordafrika und die
Nahost-Region bis hinunter nach Südaostasien darstellt.
Fast 70 Seiten Anmerkungen und ein 50 Seiten umfassendes
Literaturverzeichnis bieten die Möglichkeit, sich intensiver
mit Einzelfragen zu befassen. Die Aktualität reicht bis in die
zweite Jahreshälfte 2004. Das Buch bietet sowohl
Einführung als auch Vertiefung in dieses so
außerordentlich komplexe Thema.
Werner Ende, Udo Steinbach (Hrsg.)
Der Islam in der Gegenwart.
Entwicklung und Ausbreitung; Kultur und Religion; Staat,
Politik und Recht.
Verlag C.H.Beck, München 2005; fünfte, neu
überarbeitete Auflage, 1064 S., 49,90 Euro
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