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Alexander Weinlein
Klatschen, kuscheln, krönen
Parteitag der SPD wählt eine neue und
verjüngte Führung
Frenetischer Beifall für den scheidenden
Parteivorsitzenden Franz Müntefering, stehende Ovationen und
Jubelstürme für den scheidenden Bundeskanzler Gerhard
Schröder, Tränen der Rührung beim scheidenden
Finanzminister Hans Eichel, eine Streicheleinheit für Andrea
Nahles, ein mit nur wenigen Gegenstimmen verabschiedeter
Koalitionsvertrag und ein berauschendes Wahlergebnis von 99,4
Prozent für den neuen Parteivorsitzenden Matthias Platzeck -
es schien, als wollten die Sozialdemokraten auf ihrem
dreitägigen Parteitag vom 14. bis 16. November in Karlsruhe
all den parteiinternen Zoff des zurückliegenden Jahres
förmlich wegklatschen und wegkuscheln.
Der Vertrauensvorschuss, den die SPD-Basis
ihrem neuen Vorsitzenden entgegengebracht hat, ist gewaltig. Seit
den Tagen von Willy Brandt, der 1966 auf dem Dortmunder Parteitag
ein identisches Ergebnis hatte erzielen können, hat kein
SPD-Vorsitzender soviel Zustimmung auf sich vereinigt. Ein noch
besseres Wahlergebnis in der Nachkriegsgeschichte der Partei hatte
lediglich Kurt Schumacher mit jeweils 99,7 Prozent in den Jahren
1947 und 1948 auf den Parteitagen in Nürnberg und
Düsseldorf eingefahren.
Die Gründe für das beeindruckende
Wahlergebnis des 51-jährigen brandenburgischen
Ministerpräsidenten sind unterschiedlicher Natur. Nach dem
Rücktritt von Franz Müntefering als Parteivorsitzender
knirschte es zwischen rechtem und linken Parteiflügel
gewaltig. Müntefering hatte seinen Wunschkandidaten Kajo
Wasserhövel nicht durchsetzen können, der Vorstand
schickte stattdessen Andrea Nahles ins Rennen - die
Sozialdemokraten stolperten in eine handfeste Personal- und
Führungskrise. Und dies mitten in den schwierigen
Koalitionsverhandlungen mit der Union - eine denkbar schlechte
Ausgangslage für den schweren Gang in die ungeliebte
Große Koalition.
Die Sozialdemokraten haben es durchaus
verstanden, aus ihrer Not eine Tugend zu machen. So ließ der
rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, der
ebenfalls als aussichtsreicher Kandidat für das "schönste
Amt neben dem Papst" (Franz Müntefering) galt, seinem Kollegen
aus dem Osten den Vortritt. Platzeck gilt als unideologischer und
auf Ausgleich bedachter Pragmatiker. Zudem verfügt er als
brandenburgischer Ministerpräsident über reichhaltig
Erfahrung in Sachen Großer Koalition. Bei den Landtagswahlen
2004 bewies er obendrein seine Qualitäten als Kämpfer.
Obwohl der SPD bundesweit der raue Wind von Hartz-IV entgegenblies,
die brandenburgischen Sozialdemokraten in den Umfragen hinter CDU
und PDS rangierte, riss Platzeck das Ruder im Wahlkampf noch einmal
herum - die SPD zog als stärkste Fraktion in den Potsdamer
Landtag ein. Bundesweit hatte sich Platzeck über alle
Parteigrenzen bei der Jahrhundertflut an der Oder als "Deichgraf"
viele Sympathien erworben. Der Potsdamer konnte den Genossen in
Karlsruhe somit als der richtige Mann am richtigen Ort
präsentiert werden.
Geschickt und mit viel Gefühl für
Aufbruchstimmung packte Matthias Platzeck auf dem Parteitag den
Stier bei den Hörnern: "Es nutzt nichts, darum herum zu reden:
In unserer Partei sind in den vergangenen Wochen Fehler gemacht
worden." Doch jetzt ginge es darum, einen "dicken Strich" unter die
Personal-Turbulenzen um den Rückzug von Franz Müntefering
zu ziehen. Wie dieser "dicke Strich" auszusehen hat, machte
Platzeck schon mit der Benennung seines Wunschkandidaten für
das Amt des Generalsekretärs deutlich: Offensiv warb er
für den 33-jährigen Hubertus Heil, der entscheidend an
der Verhinderung von Wasserhövel als Generalsekretär und
der Nominierung von Andrea Nahles beteiligt gewesen war. Über
diesen "Fehler", so sagte Platzeck, habe es eine "intensive und
laute" Aussprache gegeben. Und trotzdem: "Ich wünsche mir,
dass er Generalsekretär wird, weil ich davon überzeugt
bin, dass er diesen Job richtig gut machen wird."
Offen unterstützte der designierte
Parteichef in seiner Bewerbungsrede auch die
baden-württembergische SPD-Landeschefin Ute Vogt in ihrer
erneuten Kandidatur für einen Posten der fünf
stellvertretenden Parteivorsitzenden. Auch sie hatte sich vehement
für Andrea Nahles als Generalsekretärin
ausgesprochen.
Für Nahles selbst, die sich in Karlsruhe
um einen Platz unter den 37 Beisitzern im erweiterten
Parteivorstand beworben hatte, fand Matthias Platzeck warme Worte:
"Wir brauchen die jungen Leute. Wir brauchen die Talente. Wir
können es uns nicht erlauben, auch nur einen einzigen
zurückzulassen. Ich sage hier auch ganz klar: Das, was ich
eben gesagt habe, beziehe ich ganz ausdrücklich auch auf
Andrea Nahles." Selbst Franz Müntefering hatte der für
ihr Temperament bekannten ehemalige Juso-Vorsitzenden Absolution
erteilt.
Die Parteibasis zeigte sich in Karlsruhe dann
auch einsichtig: Zwar bekam Hubertus Heil in Form von 61,44 Prozent
eine mehr als deutliche Quittung und Ute Vogt mit 67,27 Prozent -
bei den letzten Stellvertreter-Wahlen hatte sie noch 70,51 Prozent
der Stimmen auf sich vereinigen können - einen Dämpfer
verpasst, aber nachdem die Delegierten schon den Koalitionsvertrag
ohne großen Widerstand aus Mangel an Alternativen (siehe Seite
20) hatten passieren lassen, verschafften sie an dieser Stelle
ihrer Frustration in kanalisierter Form Luft, ohne ihren neuen
Parteichef gleich wieder zu beschädigen. Auch Andrea Nahles
schaffte den Sprung in den erweiterten Parteivorstand im ersten
Anlauf. Die Erleichterung darüber war ihr deutlich
anzusehen.
So konnte der neue Vorsitzende zum Abschluss
des Parteitages dann ein positives Resümee ziehen. Es sei ein
"Parteitag der Verantwortung", freute sich Platzeck: "Wir
Sozialdemokraten zeigen sehr deutlich auch in schwierigen Zeiten:
Wir stellen uns der Verantwortung, wir laufen nicht weg." Dass die
Zusammenkunft der rund 500 Delegierten nicht zur befürchteten
Abrechnung wegen der Umstände von Münteferings Angang
geriet, lag nicht zuletzt an einer äußerst geschickten
Parteitagsstrategie.
Von der ersten Minute an war die
Marschrichtung vorgezeichnet: Versöhnung und Einigkeit sollten
signalisiert werden. Die aufgerissenen Gräben zwischen
Parteiflügeln und ihren Protagonisten sollten nicht nur
überbrückt, sondern nach Möglichkeit
zugeschüttet werden. Die Zauberwörter für dieses
Unterfangen hießen "Sentimentalität" und "Stolz". Der
noch amtierende Parteichef Franz Müntefering eröffnete
den Reigen mit einem Rückblick auf das Jahr 2005, in der die
SPD eine "Berg- und Talfahrt" hingelegt habe. Angefangen vom
"bösen Foul an Heide Simonis" in Schleswig-Holstein, über
die Niederlage bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen bis
zur umstrittenen Entscheidung für Neuwahlen, die die Partei
"verängstigt" habe. Doch dann sei nach einem "furiosen
Wahlkampf" bei den Bundestagswahlen am 18. September "ein
großer Erfolg" errungen worden. Müntefering schrieb
seiner Partei ins Stammbuch, wem dafür der Dank zu gelten
habe: "Vor allem haben wir das Gerhard Schröder zu verdanken,
der sich in diesem Wahlkampf in unbändiger Weise engagiert
hat, der die Partei mitgerissen und die Partei nach vorne
geführt hat." Und dann sprach er Schröder persönlich
an: "Lieber Gerd, Du hast es nicht immer leicht gehabt mit uns -
wir auch nicht immer leicht mit Dir -, aber im Wahlkampf war
unmissverständlich: SPD und Gerd Schröder, das
gehört zusammen, das ist eins." Spätestens seit diesen
Worten schwelgte der Parteitag in einer Art von Gruppentherapie,
die alle Wunden heilen sollte. Müntefering verabschiedete
Schröder, Schröder verabschiedete Müntefering, man
umarmte sich, man lobte die ehemaligen Regierungsmitglieder, und
die Parteibasis quittierte dies alles mit nicht enden wollenden
stehenden Ovationen. Noch einmal durfte sich der scheidende
Bundeskanzler dessen gewiss sein, was er so lange vermisst hatte:
das Vertrauen aus den eigenen Reihen.
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