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Alexander Weinlein
"Lasst es uns wagen"
SPD-Parteitag mit eindeutiger Mehrheit für
den Koalitionsvertrag
Ein wenig unsicher wirkt die junge SPD-Delegierte schon. Sie
weiß wohl, dass die Sache eigentlich schon gelaufen ist. Aber
durchaus entschlossen trägt sie ihre Argumente vor, hin und
wieder von vereinzeltem aufmunterndem Applaus unterstützt.
"Ich bin ja die erste, die das hier so sagt: Ich lehne den
Koalitionsvertrag ab." Sie war die erste, und sie sollte die letzte
sein, die sich am 14. November auf dem Parteitag der SPD auch
verbal zu einem klaren Nein zum vorgelegten Koalitionsvertrag
aussprach.
Das Endergebnis war - nach einer dreistündigen "eher
müden Debatte", wie es ein Parteitagsdelegierter
ausdrückte - eindeutig: Bei nur 15 Gegenstimmen und fünf
Enthaltungen segneten die rund 500 Delegierten das 160-seitige
Vertragswerk zwischen SPD, CDU und CSU ab. Ebenso eindeutig fiel
auch das Mandat für die zukünftigen Regierungsmitglieder
der SPD aus. Franz Müntefering, der sich ein gesondertes Votum
für seine zukünftige Rolle als Vize-Kanzler in der
Großen Koalition ausbedungen hatte, musste lediglich eine
Gegenstimme hinnehmen. Neben ihm als Arbeitsminister und
Vize-Kanzler werden gemäß des Parteitagsbeschlusses Peer
Steinbrück als Finanzminister, Frank-Walter Steinmeier als
Außenminister, Ulla Schmidt als Gesundheitsministerin,
Brigitte Zypries als Justizministerin, Heidemarie Wieczorek-Zeul
als Ministerin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung, als Umweltminister Sigmar Gabriel und Wolfgang
Tiefensee als Verkehrsminister und zuständig für den
Aufbau Ost Platz nehmen.
Franz Müntefering hatte den Delegierten bereits in seiner
Abschiedsrede als Parteivorsitzender klar gemacht, dass es zum Gang
in die ungeliebte Große Koalition keine Alternative gebe. Nach
der Bundestagswahl am 18. September "war sehr schnell klar: Ampeln
wird es nicht geben. Eine Minderheitsregierung wollten wir nicht
und wollten wir auch nicht riskieren. Neuwahlen wollten wir genauso
wenig. Deshalb haben wir uns entschlossen, zu versuchen, eine
solche Große Koalition mit CDU und CSU auf gleicher
Augenhöhe hinzubekommen, für vier Jahre, zum Nutzen des
Landes." Und auch die letzte Option könne für die
Sozialdemokratie eben keine sein: "Koalitionen sind nie leicht.
Regieren ist nie leicht. Aber besser, liebe Genossinnen und
Genossen, mit der Karft die wir haben mitzuregieren, als ohne
Einfluss in der Opposition zu sein. Lasst es uns wagen!"
Sozialdemokratisches Gedankengut
Müntefering räumte ein, dass man in den Verhandlungen
nicht alles habe erreichen können. Aber auf der Habenseite
stünde "eine ganze Menge sozialdemokratischen Gedankengutes":
Die Einführung eines Elterngeldes, die Sicherung der
Tarifautonomie, die Sondersteuer für Spitzenverdiener, im
Osten Deutschlands die Anhebung des Arbeitslosengeldes II auf
Westniveau, die Verhinderung einer Aufweichng des
Kündigungsschutzes und die Beibehaltung des Atomausstieges.
"Das sind alles keine Kleinigkeiten."
Auch Gerhard Schröder warb in seiner letzten Rede als
Bundeskanzler auf einem SPD-Parteitag eindringlich um die Annahme
des Koalitionsvertrages mit dem Argument der Alternativlosigkeit.
"Aber die Große Koalition ist uns nicht bloß
schicksalhaft durch die Wählerinnen und Wähler
aufgezwungen worden." Vielmehr könne sie "Mechanismen und
Fehlentwicklungen in unseren Institutionen korrigieren. Sie kann
das außer Kraft setzen, was Entscheidungen verzögert und
gelegentlich verwässert hat, Entscheidungen die unser unser
Land gelegentlich blockiert und als Folge dessen auch gelähmt
haben."
Gewohnt selbstbewusst gab der amtierende deutsche Regierungschef
dem neuen Bundeskabinett einen klaren Arbeitsauftrag mit auf den
Weg und münzte dies geschickt in ein weiteres Argument
für eine Zustimmung zur Koalition mit der Union um: "Die
Große Koalition - auch darauf sollten wir stolz sein - wird
fortzusetzen haben, was wir bereits in den vergangenen sieben
Jahren, besonders aber mit unserer Reformpolitik der Agenda 2010
auf den Weg gebracht haben." Und weiter: "Die für die Menschen
unverzichtbaren Sicherungssysteme bei Rente, Gesundheit und bei
Pflege zu erhalten und behutsam weiterzuentwickeln, ist Kennzeichen
dieses Koalitionsvertrages, wie es Kennzeichen der Agenda 2010 war
und ist." Die SPD-Basis hörte es und beklatschte es - auf dem
Karlsruher Parteitag war wenig davon zu verspüren, dass es
gerade auch der Widerstand aus der SPD gegen die Reformpolitik
Schröders gewesen war, die den Kanzler bewogen hatte, das
Wagnis von Neuwahlen einzugehen.
Nur verhaltene Kritik
Es war auffällig: Die Sozialdemokraten übten nur sehr
verhalten Kritik am ausgehandelten Koalitionsvertrag. Sei es nun,
weil die Delegierten wussten, dass sich außer Neuwahlen oder
einer totalen Verweigerungshaltung in der Tat keine Alternative zur
Großen Koalition anbietet, oder aus der Erkenntnis, dass ein
Übermaß an Kritik zu ungewollten Nebenwirkungen
führen kann - der Abgang von Franz Müntfering und die
damit verbundenen Probleme steckten der Partei noch schmerzhaft in
den Knochen. Eine allzu harsche Kritik am Koalitionsvertrag
wäre von vielen wohl als weitere Beschädigung
Münteferings interpretiert worden, der schließlich die
Verhandlungen mit den Unionsparteien geführt hatte. Es waren
vor allem jüngere Delegierte, die den Mut fanden, ihren Unmut
zu artikulieren. Die Ausweitung der Probezeit auf zwei Jahre bei
Neueinstellungen wurde von ihnen beispielsweise angeprangert. Hier
werde Politik auf den Köpfen der jungen Generation
gemacht.
Gerade prominentere Sozialdemokraten hielten sich mit Kritik
deutlich zurück. Der scheidende Wirtschaftsminister Wolfgang
Clement war eine der wenigen Ausnahmen. Wenn der Bundeshaushalt
2006 nicht verfassungsgemäß ausgelegt werden solle, dann
dürfe nicht der Eindruck erweckt werden, als "gehe man
leichtfertig mit der Verfassung um". Unmut zeigte er an der
geplanten Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent:
"Schaut Euch bitte an, welche Wirkung eine dreiprozentige
Mehrwertsteuererhöhung im Handel, im Handwerk und
beispielsweise auch im Hotel- und Gaststättenbereich hat, die
unsere wichtigsten Arbeitsplatz- und Ausbildungsplatzbringer sind!
Meine Bitte ist, dass ihr Euch das vielleicht im Zuge des
Regierungshandelns noch einmal anschaut." Aber auch er ließ
keine Zweifel aufkommen, dass er die Große Koalition
befürwortet - die Wahlkampfvokabel "Merkelsteuer" vermied
Clement allerdings.
Bei so viel Zustimmung, verzichteten die Parteitagsstrategen
dann auch auf ein ursprünglich angedachtes
Disziplinierungsmittel. Eigentlich sollte über den Inhalt des
Koalitionsvertrages und die benannten zukünftigen
Bundesminister gemeinsam abgestimmt werden. Diesen Plan ließ
man fallen: Warum auch Druck ausüben, wo er nicht
benötigt wird? Das Regieren wird hart genug.
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