|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Thomas Veser
Neuer Wind in den Amtsstuben
Europäische Akademie der Regionen bildet
Beamte aus
Die ersten Impressionen während ihres
Praktikums im Brüsseler EU-Hauptsitz schienen Anna Zielinskas
düstere Vorahnungen nur zu bestätigen: "Zigtausende
Verwaltungsvorschriften, ebenso viele Experten und eine weltfremde
Bürokratie: Das kann doch in der Wirklichkeit nicht
funktionieren", erinnert sich die 30-jährige
Verwaltungsangestellte aus der westpolnischen Stadt Posen (Poznan).
Trotzdem beschloss die Politikwissenschaftlerin, ein zweites
Praktikum in Brüssel einzulegen.
Dabei machte sie auch positive Erfahrungen.
Anna Zielinska knüpfte Kontakte mit Angehörigen der
Europäischen Kommission und den Vertretungen deutscher
Bundesländer, dann verschaffte sie sich Einblick in das Europa
der Regionen, schließlich arbeitete sie sich zügig in die
Strukturpolitik der Gemeinschaft ein. "Vor allem in den
vernachlässigten Regionen beschleunigen Strukturbeihilfen das
Zusammenwachsen Europas", resümiert Anna Zielinska, die sich
jetzt im Posener Marschallamt - so heißt die Verwaltung der
polnischen Wojewodschaften (Regionen) - daran mitwirkt, ihre
Heimatregion Wielkopolska (Großpolen) dank neu erworbener
Kenntnisse und einer kräftigen Portion Zuversicht über
die Grenzen hinweg mit anderen Regionen zu vernetzen.
Seit Anna Zielinskas Brüssel-Aufenthalt
haben bereits Dutzende weiterer Mitarbeiter des Posener
Marschallamtes mehrwöchige Berufspraktika entweder in der
hessischen Staatskanzlei in Wiesbaden oder in Brüssel
absolviert. Organisiert und bezahlt wird der Austausch von der
gemeinnützigen Hertie Stiftung, zu deren Fördergebieten
auch die grenzübergreifende Qualifizierung von
Behördenfachkräften auf Führungsebene
zählt.
Mittlerweile konnte die Frankfurter Stiftung
den Austausch mit drei deutschen Bundesländern und fünf
mittel- und osteuropäischen Regionen sowie der Republik Ungarn
institutionalisieren. Als Grundlage dient die vor kurzem
gegründete "Europäische Akademie der Regionen" (EAR), die
sich als Fortbildungsplattform für Mitarbeiter des
öffentlichen Dienstes empfiehlt. An dieser virtuellen Akademie
veranstalten Dozenten der Deutschen Hochschule für
Verwaltungswissenschaften in Speyer (HFV) und der stärker
international ausgerichteten Berliner Hertie School of Governance
einmal jährlich während der Osterzeit
Blockseminare.
Sie finden überwiegend am HFV-Standort
Speyer statt. Gastdozenten beteiligen sich ebenfalls an diesem
europaweit neuartigen Weiterbildungsangebot. "Zu einem
späteren Zeitpunkt ist vorgesehen, solche Seminare auch in
Mittel- und Osteuropa abzuhalten", berichtet
Stiftungsgeschäftsführerin Marlies Mosiek-Müller.
Sämtliche Kosten für die Veranstaltungen, Reise und
Unterkunft trägt die gemeinnützige Einrichtung,
dafür stehen in den nächsten drei Jahren 1,5 Millionen
Euro zur Verfügung.
Neben dem Bundesland Hessen beteiligt sich
die Region Wielkopolska, die mit Hessen eine Regionalpartnerschaft
unterhält, an dem Qualifizierungsverbund. Mit dabei sind auch
Rheinland-Pfalz mit seinen Partnerregionen Oppeln/Opole (Polen) und
dem tschechischen Mittelböhmen sowie Thüringen und die
Partnerregionen Malopolska (Kleinpolen) mit der Hauptstadt Krakau
und die ukrainische Karpatenregion (Zakarpatskaja Oblast) um die
Stadt Lviv (Lemberg). Ungarn schließlich beteiligt sich nicht
über Regionen, sondern als Nationalstaat. Die fachliche
Betreuung ist dabei Hauptaufgabe der Partnerregionen.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können
sich nur Behördenmitarbeiter des Regionenverbunds an den
Kursen der Akademie beteiligen. Marlies Müller-Mosiek hofft
jedoch, dass weitere Regionen des Westens hinzukommen und damit die
"gesamteuropäische Dimension" der Akademie
verstärken.
Europa wächst nach Ansicht von Hermann
Hill, Professor für Verwaltungswissenschaften und
öffentliches Recht an der HFV, "aus den Regionen, die seine
Bausteine sind". Wie die auf Deutsch und Englisch abgehaltenen
Fortbildungskurse zu den Kernthemen Regionale Entwicklung,
Wirtschaftsförderung, Soziales, Bildung, Technologie,
Innovation und moderne Management-Techniken genau aufgebaut sind,
steht noch nicht fest. "Auf starre curriculare Rahmen werden wir
verzichten", versichert Stiftungsvorstandsvorsitzender Michael
Endres. Zweimal pro Jahr bespricht eine Steuerungsgruppe, in der
die Partner unter Leitung der Stiftung vertreten sind,
mögliche Themen. "Wir dürfen uns nicht von vornherein
festlegen, da wir noch zu wenig über die Bedürfnisse der
östlichen Teilnehmer wissen", fügt er hinzu.
Mitte Oktober fand das Auftaktseminar in
Speyer statt, dabei ging es um die europäische
Regionalismusbewegung und deren gegenwärtige Schwierigkeiten.
Weiterhin diskutierten die Teilnehmer über "Benchmarking,
Transfer und Evaluation".
Weitere Themen waren die Vor- und Nachteile
so genannter Wachstumskerne, Förderschritte für den
ländlichen Raum und für regionale Randgebiete.
Möglichkeiten der interregionalen Zusammenarbeit und Aspekte
des Lobbying für Regionen wurden gleichfalls
erörtert.
Die Kernaufgabe der gemeinsamen Kurse besteht
Marlies Mosiek-Müllers Worten zufolge darin, "den Teilnehmern
dabei zu helfen, ihre gegenseitigen Berührungsängste zu
überwinden" und so die Grundlage dafür zu schaffen, "dass
man sich gegenseitig ernst nimmt und erkennt, dass man im selben
Boot sitzt". Während der Fortbildungsphasen entstünden
persönliche Kontakte und das erleichtere die regionalen
Partnerschaften, fügt sie hinzu. Diese vertiefte
Berufsfortbildung, hofft Mosiek-Müller, verbessert die
"Europafähigkeit der Mitarbeiterschaft". Beide Seiten
könnten voneinander lernen, "nicht nur der Osten vom
Westen".
Allerdings sei in der Anfangsphase
vorgesehen, dass lediglich osteuropäische Beamte bei
Behörden im Westen hospitieren. Die deutschen
Verwaltungsangestellten, die in den Osten wollen, müssen sich
noch gedulden, "da in den meisten Behörden hierzulande die
Mittelknappheit und Haushaltssperren herrschen", fügt
Mosiek-Müller einschränkend hinzu.
Dass jedoch gerade die Erfahrung in
osteuropäischen Amtsstuben für Westeuropäer sehr
wichtig sei, betont die Gewerbeoberrätin Eva Przybyla-Miron.
Als Tochter deutschsprachiger Oberschlesier, siedelte die
gebürtige Kattowitzerin Ende der 80er-Jahre in die
Bundesrepublik über und schlug eine Beamtenlaufbahn ein. Vor
zwei Jahren hatte die hessische Landesregierung angefragt, ob sie
als Praktikantin für einige Zeit in der Regionalverwaltung von
Wielkopolska arbeiten wolle. Bis zum Sommer 2005 glich die
Chemikerin mit dem Schwerpunkt Umweltschutz und Chemikalienrecht
polnische Umweltvorschriften an EU-Standards an und
beschäftigte sich mit dem komplizierten Antragswesen für
Brüsseler Subventionen.
Eva Przybyla-Miron, die jetzt wieder im
Darmstädter Regierungspräsidium tätig ist und zwei
Sprachen perfekt spricht, organisierte in Posen zwei
Kontaktbörsen für deutsche und polnische Gemeinden, die
ihre Erfahrungen mit den EU-Abwasserrichtlinien austauschten. Sie
weiß nun aus eigener Erfahrung, mit welchen Schwierigkeiten
die noch jungen Regionalbehörden Polens zu kämpfen
haben.
Deutsche Verwaltungsfachkräfte, die als
Experten manchmal einem "engen Ressortdenken verhaftet sind",
könnten sich kaum vorstellen, unter welchen widrigen
Umständen die EU-Standards eingeführt werden müssen,
stellt sie fest. Eine Flut von Vorschriften, die kurz darauf schon
wieder abgeändert werden müssen, ergieße sich auf
die Behördenmitarbeiter, die sich einlesen und gleichzeitig
fortwährend von ratlosen Bürgern mit Fragen bedrängt
würden. "Dort kann sich nur der flexible Allrounder halten",
lautet das Fazit von Przybyla-Miron.
Zurück zur Übersicht
|