Bedenkliche Entwicklungen für Pressefreiheit
in der EU
Interview mit Marc Gruber, Vizepräsident
der Europäischen Journalisten Föderation
Spätestens das "Caroline-Urteil" des
Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs, das die Publikation
von Photos mit Prominenten bei privaten Aktivitäten im
öffentlichen Raum faktisch verbietet, hat den Einfluss Europas
auf den Medienalltag offengelegt. Doch nicht nur Richter des
Europarats, die im Übrigen oft pressefreundlich entscheiden,
auch EU-Instanzen "redigieren" kräftig mit. Diese brisanten
Fragen sind Thema des internationalen Kongresses "Eurovision
Content" der Gewerkschaft ver.di am 26. November in Berlin, an dem
Wissenschaftler, EU-Abgeordnete und Journalistenvertreter
teilnehmen werden. Über die Gefahren für die freie
Berichterstattung, die von geplanten EU-Regelungen ausgehen, sprach
Karl-Otto Sattler mit dem Vizedirektor der Europäischen
Journalisten Föderation (EJF) Marc Gruber (Frankreich).
Das Parlament: Wie sieht denn die
Bilanz nach langjährigen Erfahrungen der EJF aus: Fördert
die EU-Politik die Medienfreiheit oder trägt Brüssel eher
zu deren Einschränkung bei?
Marc Gruber: Die Politik der EU hat im
Großen und Ganzen der Pressefreiheit in Europa bislang genutzt
- und dies, obwohl über Medienpolitik in erster Linie auf
nationaler Ebene und nicht in Brüssel entschieden wird.
Allerdings bedauern wir, dass bei der EU-Erweiterung die
Gewährleistung der Pressefreiheit, des Medienpluralismus und
eines öffentlich-rechtlichen Rundfunksektors nicht zur
Bedingung für die Aufnahme der neuen Länder gemacht
worden ist.
Das Parlament: Das Thema des Berliner
Kongresses kommt nicht von ungefähr. Mit welchen Problemen
muss sich denn die EJF bei der EU derzeit herumschlagen?
Marc Gruber: Es gibt mehrere
bedenkliche Entwicklungen auf EU-Ebene. So läuft - zum
Beispiel - ein Vorstoß zur Terrorbekämpfung von
Justizkommissar Franco Frattini im Medienbereich auf Eingriffe in
die freie Berichterstattung hinaus. Die geplante Speicherung von
Telefon- und Internetdaten gefährdet den Quellenschutz. Ein
anderer Punkt: Künftig könnte es passieren, dass sich
eine Zeitung oder ein Journalist wegen kritischer
Äußerungen zur Politik in einem anderen Land dort vor
Gericht verantworten müssen. Nicht zu vergessen der Streit um
Urheberrechte: Verleger und TV-Manager wollen über die EU
Regelungen zu ihren Gunsten und zu Lasten der Medienschaffenden
durchsetzen. Bei all diesen Fragen ist noch nichts entschieden,
aber die EJF muss sich mit Nachdruck für die Belange der
Journalisten einsetzen.
Das Parlament: Inwiefern stellen die
geplanten Regelungen zur Terrorismusbekämpfung eine Gefahr
für die Berichterstattung dar?
Marc Gruber: Es darf nicht sein, dass
Journalisten als "Helfer des Terrors" eingestuft werden, wenn sie
Interviews mit terrorverdächtigen Personen
veröffentlichen. Das könnte so kommen, wenn
Brüsseler Pläne Wirklichkeit werden sollten: Die
Kommission will dafür sorgen, dass Berichte in den Medien
nicht den Interessen von Terroristen dienen. Dann könnte auch
die Publikation von Recherchen über terroristische
Aktivitäten oder über Geheimdiensterkenntnisse
unmöglich werden. Wir hoffen, diese Dinge bei einem Treffen
mit Kommissar Frattini Anfang Dezember ausräumen zu
können.
Das Parlament: Datenschützer
protestieren gegen die EU-weit angestrebte Speicherung von
Telekommunikationsverbindungsdaten. Warum gesellt sich die EJF zu
den Kritikern?
Marc Gruber: Mehrere Staaten haben in
jüngerer Zeit mit nationalen Gesetzen den Informantenschutz
verbessert. Dieser Quellenschutz wird jedoch ausgehebelt, wenn auf
dem Umweg der Registrierung von Telefon- und Internetdaten die
Kontaktpersonen von Medienschaffenden ermittelt werden können.
Dann dürften auch Informanten in Regierungen, Behörden,
Geheimdiensten oder Unternehmen vorsichtig werden mit der
Weitergabe von internen Nachrichten, worunter dann die kritische
öffentliche Berichterstattung leidet.
Das Parlament: Welche negativen Folgen
hat die zunehmende Ausformung der EU zu einem einheitlichen
Rechtsraum?
Marc Gruber: Man stelle sich vor:
Journalisten in Portugal oder Dänemark schreiben Kritisches
über die Politik in Deutschland oder Frankreich - und dann
werden die Autoren in Deutschland oder Frankreich nach dem dort
gelten Recht wegen Verdachts auf unwahre Berichterstattung oder
Beleidigung angeklagt. Dann müssen Medienschaffende
ständig die Gesetzgebung der 25 EU-Staaten im Kopf haben. Das
ist unmöglich. Dazu ist keine spezielle EU-Regelung geplant,
aber im Rahmen der verstärkten Harmonisierung des
internationalen Privatrechts könnte es zu diesen Konsequenzen
kommen.
Das Parlament: International weitet
sich die Medienkonzentration aus, was dem Pluralismus schadet. Tut
die EU etwas gegen diese Tendenzen?
Marc Gruber: Das ist ein echtes
Defizit, die EU tut praktisch nichts gegen diese bedrohliche
Entwicklung. Die Kommission zieht sich auf den Standpunkt
zurück, dass der EU-Vertrag Brüssel bei diesem Thema
keine Kompetenzen zuerkennt.
Das Parlament: Demnächst wird die
EU-Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen" novelliert. Werden die
Zuschauer künftig mit mehr Product Placement rechnen
müssen? Das ist in Deutschland sehr umstritten.
Marc Gruber: Manche EU-Staaten streben
dies an, manche Länder sind dagegen, die Entscheidung ist noch
nicht gefallen. Die EJF ist prinzipiell gegen Product Placement,
weil Werbekunden nicht in die redaktionelle Arbeit hineinregieren
dürfen. So werden auch die Zuschauer manipuliert.
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