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Susanne Kailitz
Magna Charta der Freiheit
Damals ... vor 15 Jahren am 22. November:
Regierungserklärung und Bundestagsdebatte zur KSZE-Konferenz
von Paris
Große Konferenzen, die derart erfolgreich zu Ende gehen,
dass sie von allen Seiten bejubelt werden, sind eher selten. Die
KSZE-Konferenz, die vom 19. bis 21. November 1990 in Paris
stattfand, war allerdings ein solcher Fall: Das Treffen von 34
Staats- und Regierungschefs aus Europa und Nordamerika endete mit
der Unterzeichnung der "Charta von Paris", die nahezu von allen
Teilnehmern und Beobachtern als Meilenstein der Politik betrachtet
wurde.
In dem Dokument hatten sich alle europäischen Staaten - mit
Ausnahme Albaniens - , die USA und Kanada zur "Demokratie als
einziger Regierungsform" bekannt und so offiziell den Kalten Krieg
beendet. Bereits im Vorfeld hatten die 16 NATO-Staaten und die
verbliebenen fünf Mitgliedsländer des Warschauer Pakts
ihre 35-jährige militärische Gegnerschaft für
beendet erklärt. Frankreichs Staatspräsident Francois
Mitterand betonte in der Schlusssitzung, die KSZE sei von nun an
nicht mehr nur durch ein gemeinsames Sicherheitsbedürfnis,
sondern durch "eine gemeinsame Vision der Welt und gemeinsame
Werte" verbunden.
Ganz im Zeichen der Begeisterung über das Erreichte standen
dann auch Regierungserklärung und Bundestagsdebatte am 22.
November in Berlin. Bundeskanzler Helmut Kohl bezeichnete das
Pariser Dokument als eine "Magna Charta der Freiheit", die sich zu
einer "auf Menschenrechten und Grundfreiheiten beruhenden
Demokratie" bekenne und so die "Hoffnungen und Erwartungen so
vieler Menschen und Völker, die sich über Jahrzehnte
mutig für die Ideale der KSZE eingesetzt haben" erfülle.
Zudem sei in Paris das "Werk der deutschen Einigung unter dem
europäischen Dach" vollendet worden und ein großes Ziel
deutscher und europäischer Politik erreicht: "Wir Deutsche
überwinden die widernatürliche Teilung, unter der unser
Land und Volk mehr als 40 Jahre gelitten hat, und wir Europäer
beenden Konfrontation und Kalten Krieg und begründen die
historisch gewachsene Einheit unseres Kontinents neu."
Auch die Opposition begrüßte die Pariser Ergebnisse -
und betonte, sie seien auch ein Erfolg deutscher Außenpolitik,
an der die SPD Anteil habe. Horst Ehmke, stellvertretender
SPD-Fraktionschef, erinnerte daran, "dass sich Paris nahtlos in die
Architektur der sozialdemokratischen Friedens-, Sicherheits- und
Menschenrechtspolitik einfügt, die mit der Person Willy Brandt
verbunden ist". Es sei Brandt gewesen, "der die Entspannung in
Europa eingeleitet hat, deren Früchte Sie und wir heute
ernten". Es sei nicht leicht gewesen, Helsinki und die KSZE gegen
die "starre Kalte-Kriegs-Mentalität" der Unionsparteien
durchzusetzten. Ehmke mahnte, es sei nötig, nun auch eine
"Abrüstungsgemeinschaft" aufzubauen, denn Kooperation in
Europa sei nicht möglich ohne den Abbau von Konfrontation:
"Der sozialdemokratische Leitgedanke der Angriffsunfähigkeit
muss jetzt verwirklicht werden."
Für den FDP-Fraktionsvorsitzenden Otto Graf Lambsdorff war
die europäische Friedensordnung nun nicht länger nur
Vision, sondern konkretes Handlungsprogramm. Nun gebe es neue
Aufgaben: "Die FDP ist - anders als der Herr Bundeskanzler - der
Meinung, dass wir Deutschen geradezu verpflichtet sind, den Ungarn,
den Polen, den Tschechoslowaken den Weg in die Europäische
Gemeinschaft zu öffnen."
Auch die PDS teilte diese Sicht. Den Absichtserklärungen,
dass es keine "Wohlstandsmauern" und keine "Europäer erster
und zweiter Klasse" geben dürfe, müssten Taten folgen, so
Sylvia-Yvonne Kaufmann: "Ein gesamteuropäischer ,New Deal',
der von allen Staaten mitgetragen wird, muss schleunigst entwickelt
und am besten baldmöglichst zum Gegenstand einer Art
ökonomischer Nachfolge-KSZE gemacht werden." Skepsis war
dagegen aus den Reihen der Grünen zu vernehmen. "Paris war
vorerst nur der Abschluss einer Epoche, deren Ordnung berechenbar,
waffenstarrend und ungerecht war. Ob es in der unsicheren Zukunft
Europas wirklich keine Verlierer geben wird, hängt ganz und
gar davon ab, ob es gelingt, eine gerechte Zukunftsordnung für
dieses neue europäische Haus zu entwerfen." Am Anfang der KSZE
seien "nur die Träumer klug" gewesen, die "Zweifler waren
damals die historisch Dummen" - die CDU habe zu Letzteren
gehört.
Trotz aller Zweifel: Das Haus Europa wurde auch nach Paris mit
rasender Geschwindigkeit weitergebaut. Im Dezember 1990 leiteten
zwei Regierungskonferenzen zur Weiterentwicklung der
Europäischen Gemeinschaft mit der Wirtschafts- und
Währungsunion sowie einer politischen Union eine neue Phase
europäischer Integrationspolitik ein.
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