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Nikolaus Piper
Innovationen müssen Spitze sein
Offensiv im internationalen
Wettbewerb
Die Globalisierung macht den Deutschen Angst.
Die Menschen nehmen die Weltwirtschaft wahr als eine anonyme Macht,
die Arbeitsplätze und Wohlstand frisst, die
möglicherweise gesteuert wird von anonymen finsteren
Finanzgewaltigen ("Heuschrecken"). Die Furcht vor der
verschärften Konkurrenz aus Ländern mit
Stundenlöhnen von fünf Euro und weniger und vor der
vertieften internationalen Arbeitsteilung - und nichts anderes ist
Globalisierung - prägt die Auseinandersetzungen um Reformen in
Deutschland, um Kostensenkungen in den Unternehmen und den Umbau
der Sozialsysteme.
Manche Gewerkschafter glauben vielleicht
noch, die Globalisierung sei eine bloße Ausrede für
geldgierige Unternehmer oder Investoren, um die Löhne zu
drücken und die Gewinne zu Lasten der Arbeitnehmer in
unanständige Höhen zu treiben. Doch die eigentliche
Botschaft ist längst ins allgemeine Bewusstsein gedrungen: Die
Osteuropäer produzieren billig, die Chinesen noch viel
billiger, und wenn wir nichts unternehmen, wird bald der gesamte
Wohlstand ins Ausland gehen.
Der Münchner Ökonom Hans-Werner
Sinn spricht von Deutschland als einer "Basar-Ökonomie": Wegen
der internationalen Konkurrenz sinkt der Anteil der deutschen
Wertschöpfung an "deutschen" Produkten zusehends, immer mehr
Arbeit wandert ins Ausland, die Bezeichnung "Made in Germany" wurde
zum Etikettenschwindel.
Und was heißt schon "deutsches"
Unternehmen? Die so bezeichneten Konzerne emanzipieren sich
zusehends von ihrer Heimat. Siemens erzielt die meisten
Umsätze im Ausland, die Mehrheit der Mitarbeiter leben
jenseits der deutschen Grenze. Die Allianz wird eine
europäische Aktiengesellschaft, Umgangssprache im Vorstand
wird Englisch. Viele Mittelständler tun es den Konzernen nach.
Die Entfernungen sind so gering, dass sich von München oder
Nürnberg aus auch eine Fabrik in Tschechien führen
lässt.
Dabei geschieht noch etwas ganz anderes: Die
gesamte Basis für das alte Modell der Sozialen Marktwirtschaft
in der Bundesrepublik scheint zu erodieren. Die Unternehmer
entziehen dem Staat seine Finanzbasis, weil sie Wertschöpfung
ins steuergünstigere Ausland verlagern. Den Deutschen geht die
Arbeit aus, dem deutschen Staat laufen die Steuerzahler davon. So
ungefähr ist die Wahrnehmung. Aber ist sie auch
richtig?
Bei genauem Hinsehen werden die Dinge
wesentlich komplizierter. Vieles, was in den öffentlichen
Debatten der Globalisierung zugerechnet wird, ist in Wirklichkeit
hausgemacht, was auf den ersten Blick wie eine Schwäche der
deutschen Wirtschaft aussieht, könnte sich noch als
Stärke erweisen und umgekehrt.
Zum Beispiel Steuern: Tatsächlich ist in
Deutschland nach dem Jahr 2000 das Aufkommen aus der
Körperschaftsteuer zusammengebrochen. Zeitweise zahlten die
deutschen Kapitalgesellschaften in toto nicht nur keine Steuern,
sie ließen sich sogar netto welche erstatten. Ein in der
Geschichte der Bundesrepublik einmaliges Ereignis, das die
Haushaltsnöte von Bund und Ländern dramatisch
verschärft hat. Nur hat diese Entwicklung eben mit der
Globalisierung überhaupt nichts zu tun. Die
Steuerausfälle waren ein ungewollter Nebeneffekt der
rot-grünen Steuerreform von 1999. Der Gesetzgeber stellte
damals Beteiligungsverkäufe von Aktiengesellschaften
steuerfrei, was diese dazu nutzten, in großem Stil stille
Reserven steuerunschädlich aufzulösen. Die alte
Deutschland AG, also das Geflecht von Überkreuzbeteiligungen,
das vor allem den Finanzsektor in der Bundesrepublik zusammenhielt,
löste sich auf - zu Lasten der Staatskasse. Das war ein
handwerklicher Fehler des Bundesfinanzministeriums, aber keine
Folge der Globalisierung. In jüngster Zeit steigt das
Aufkommen aus der Körperschaftsteuer wieder.
Oder die Sache mit der "Basar-Ökonomie":
Tatsächlich haben die deutschen Unternehmen in den vergangenen
Jahren massiv Produktion ins kostengünstigere Ausland
verlagert. Nicht nur Großkonzerne, auch viele
Mittelständler wollen nach Osteuropa oder China gehen oder
haben den Schritt bereits vollzogen. Siemens hat sogar seine
gesamte Handy-Produktion an ein Unternehmen aus Taiwan verschenkt,
weil der Konzernvorstand es sich nicht mehr zutraute, den Bereich
aus eigener Kraft zu sanieren. Zwar ist Deutschland Vizeweltmeister
beim Export von Waren und Dienstleistungen, aber die exportierten
Produkte wurden zu einem immer größeren Teil im Ausland
vorproduziert. Der Porsche Cayenne kommt zum größten Teil
aus Ungarn und gilt trotzdem als deutsches Produkt - für
Hans-Werner Sinn das Paradebeispiel für den von ihm
behaupteten Basar-Effekt. Im Jahre 1991 noch mussten von jedem aus
Deutschland exportierten Euro 26,7 Cent vorher importiert werden,
2002 waren es bereits 38,8 Cent, rechnete das Statistische
Bundesamt aus.
Nur, was auf dem Papier so erschreckend
aussieht, ist in Wirklichkeit ein Ausdruck der potenziellen
Stärke Deutschlands: Die Unternehmen gliedern sich in die
internationale Arbeitsteilung ein und sichern so ihre Zukunft - und
auch die der Arbeitsplätze in Deutschland. Anton Kathrein,
Weltmarktführer für Antennen aus dem bayerischen
Rosenheim, hat im vergangenen Jahr 1.500 neue Arbeitsplätze
geschaffen; davon entstanden zwei Drittel im Ausland - die waren
aber die Voraussetzung dafür, dass das restliche Drittel in
Deutschland entstehen konnte. Die globalisierte Produktion half den
Deutschen, ihren Export viel stärker zu steigern als andere
europäische Staaten. Allgemeiner gesprochen: Ohne die
Verlagerung der Produktion wäre die Lage für die
deutschen Arbeitnehmer noch schwieriger. Dann würde im Zweifel
die ausländische Konkurrenz das Rennen machen, und die
Arbeitsplätze gingen komplett verloren.
Die Beispiele zeigen: Die Globalisierung ist
keine Bedrohung für Deutschland, sie ist eine Chance. Es kommt
aber darauf an, diese Chance zu nutzen und zwar so, dass
möglichst viele der heute noch knapp fünf Millionen
Arbeitslosen und das Gemeinwesen insgesamt etwas davon haben. Und
das bedeutet zuallererst, sich dem internationalen Wettbewerb
offensiv zu stellen.
Deutsche Finanzpolitiker beklagen immer
wieder den internationalen Steuerwettbewerb - doch an der Tatsache,
dass es ihn gibt, lässt sich nun einmal nichts ändern.
Das Problem sind dabei weniger osteuropäische Staaten wie
Estland oder die Slowakei, die mit ihren niedrigen Einheitssteuern
Schlagzeilen machen. Deren Modelle lassen sich kaum auf entwickelte
westliche Industrieländer übertragen. Das Problem aus
deutscher Sicht sind konkurrierende Länder auf vergleichbarem
Wohlstandsniveau, zum Beispiel Österreich, die ein
effizienteres Steuersystem mit niedrigen Steuersätzen
geschaffen haben.
Eine der logischen Folgen der Globalisierung
ist es, dass es mehr Chancen gibt und dass derjenige, der sie
nutzen kann, über viel mehr Alternativen verfügt als
früher. Mobile Produktionsfaktoren, also Kapital und
hochqualifizierte Arbeit, können sich viel leichter als
früher die besten Standorte aussuchen. Deshalb muss sich der
Fiskus wohl oder übel besonders um diese Faktoren
kümmern. Die Konsequenz daraus wird sein, dass künftig
Kapitaleinkommen niedriger besteuert werden als Arbeitseinkommen.
Der Sachverständigenrat der "fünf Weisen" arbeitet an
einem entsprechenden Modell, die "Stiftung Marktwirtschaft" in
Berlin hat mit Steuerexperten aus allen Lagern bereits ein Modell
vorgelegt.
Das alles widerspricht zwar auf den ersten
Blick dem Gerechtigkeitsempfinden, interessanterweise haben jedoch
gerade die nordeuropäischen Staaten dieses Konzept
gewählt, ihren Weg in der Globalisierung zu machen. Die
gezielte Entlastung der Unternehmen mittels einer dualen
Einkommensteuer trägt dazu bei, leistungsfähige
Unternehmen zu erhalten, die dann ihrerseits die ökonomische
Grundlage für einen weiterhin umfangreichen Sozialstaat
erhalten.
In der Globalisierung können die
Deutschen nur noch um so viel teurer sein, wie sie besser sind. Das
bedeutet: Der Wohlstand der Deutschen hängt davon ab, dass sie
bei Innovationen international an der Spitze stehen. Bedrohlich ist
es, wenn es zwischen vier und fünf Millionen Arbeitslose gibt,
aber trotzdem die hochqualifizierten Ingenieure fehlen, um zum
Beispiel den neuen Airbus zu bauen. Hier ist jahrelang mit der
Zukunft Deutschlands gespielt worden. Konkret müssen Schulen
und Hochschulen ausgebaut werden, die Förderung hat aber auch
schon im Kindergarten zu beginnen. Zu Recht will die große
Koalition die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf drei
Prozent des Bruttoinlandsprodukts heben; derzeit sind es knapp
über zwei Prozent.
Aber nicht alle Produktion kann
Spitzenproduktion sein. Deshalb lohnt es sich, auch weiterhin um
die Massenfertigung von Industriegütern zu kämpfen. Dazu
müssen die Gewerkschaften über ihren Schatten springen:
Die Unternehmen brauchen mehr Flexibilität bei den
Löhnen. Mancher Arbeitsplatz ist zu retten, wenn künftig
statt 38 wieder 40 oder gar 42 Stunden gearbeitet werden oder wenn
Samstagsarbeit möglich ist. Mit dem Tarifvertrag von Pforzheim
2004 hat die IG Metall einen großen Schritt getan, um mehr
betriebliche Bündnisse für Beschäftigung zu
ermöglichen. Wichtig ist es, dass solche Bündnisse
rechtzeitig und nicht immer erst in letzter Minute geschlossen
werden.
Die Erträge der maßvollen
Lohnpolitik zeigen sich bereits: Die Lohnstückkosten in
Deutschland sinken, die preisliche Wettbewerbsfähigkeit
steigt.
Und je mehr Jobs in Deutschland bleiben oder
neu geschaffen werden, desto mehr Einnahmen bekommt der Fiskus und
desto schneller können die öffentlichen Haushalte aus der
Krise herauswachsen. Auch die Gesundung der Staatsfinanzen
hängt elementar davon, ab, dass Deutschland die
Herausforderung der Globalisierung annimmt.
Nikolaus Piper leitet das Wirtschaftsressort der "Süddeutschen
Zeitung" in München.
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