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Matthias Wolfschmidt
Fairer Handel wäre Verständnis von
Zukunft
Die europäische Agrarlobby schadet mit
protektionistischen Winkelzügen den Ländern des
Südens
Die Agenturmeldungen vom EU-Gipfel, der Ende
Oktober im britischen Hampton Court stattgefunden hatte,
verhießen nichts Gutes: Frankreichs Staatspräsident
Chirac drohe, "jeglichen neuen Vorschlag der EU-Kommission im
Agrarbereich zurückzuweisen", falls die EU bei der für
Dezember angesetzten Welthandelsrunde in Hongkong ein zu
großzügiges Angebot unterbreiten werde. Einen Tag
später priesen EU-Handelskommissar Peter Mandelson und
Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel das EU-Angebot als
ausgewogen. Man werde den Partnern in der Welthandelsorganisation
(WTO) entgegenkommen. Worin genau dieses "Entgegenkommen" letztlich
bestehen wird, ist offen und ob es insbesondere für die armen
Länder ausreicht, darf bezweifelt werden.
Offiziell sollen beim nächsten
WTO-Gipfel in Hongkong im Dezember 2005 wichtige Entscheidungen
über den Abbau von Agrarsubventionen und Agrarzöllen vor
allem in den Industrieländern sowie über die Öffnung
von Märkten für Industriegüter und Dienstleistungen
in den Entwicklungsländern fallen. Der Hongkong-Gipfel ist ein
erneuter, manche Experten meinen, ein letzter Versuch der WTO, die
im Jahr 2001 begonnene so genannte Doha-Runde zur multilateralen
Handelsliberalisierung zu retten. Bereits im Jahr 2003 war der
WTO-Gipfel im mexikanischen Cancun an den ungelösten Problemen
des Agrarmarktes gescheitert. Weltbankpräsident Paul Wolfowitz
soll laut der Zeitung "Financial Times Deutschland" vom 10. Oktober
2005 vorsorglich gewarnt haben: "Eine Handelsvereinbarung in
Hongkong würde Investitionen erleichtern und Wachstum
schaffen, das Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen den Ausweg
aus der Armut ermöglicht."
Einen Gutteil ihres zehnjährigen
Bestehens hat die inzwischen 148 Mitgliedsstaaten zählende WTO
schon über den Abbau von Zöllen und Subventionen im
Agrarsektor gestritten. Bislang erfolglos. Die Fronten in dem als
"Entwicklungsrunde" verbrämten Machtkampf innerhalb der WTO
sind vor allem deswegen verhärtet. Scheitert der Gipfel von
Hongkong, so könnten an die Stelle multinationaler (WTO-)
Abkommen bilaterale und regionale Freihandelsabkommen treten.
Darunter würden die Schwellen- und Entwicklungsländer
womöglich mehr leiden als die Industrienationen. Denn deren
zentrale Anliegen zum unbehinderten Handel mit Industriegütern
sind längst von der WTO auf den Weg gebracht worden. Für
die EU, die USA, Japan und Kanada ist deshalb nicht mehr so viel zu
gewinnen wie früher.
Bis heute schotten die Industrienationen ihre
Märkte gegen Agrarimporte aus Schwellen- und
Entwick-lungsländern ab, während sie zugleich ihre
eigenen Agrarprodukte auf verschiedenste Weise subventionieren, um
sie auf dem Weltmarkt und nicht zuletzt in den armen Ländern
abzusetzen. Die EU gibt jedes Jahr bei einem Gesamtumfang der
EU-Agrar- und Fischereiausgaben von circa 49 Milliarden Euro, etwa
40 Milliarden Euro für so genannte Marktordnungen aus. Unter
anderem sponsert die EU den Export von Überschüssen durch
"Exportbeihilfen". Eine halbe Milliarde Euro zahlt allein das in
Deutschland dafür zuständige Hauptzollamt Hamburg-Jonas
jedes Jahr aus. Den Löwenanteil von rund 90 Prozent erhalten
die Exporteure von Rindfleisch, Milch- und Milcherzeugnissen sowie
Zucker. Die USA gehen andere Wege. Überschüsse werden den
dortigen Farmern abgekauft und als Nahrungsmittelhilfe in
Entwicklungsländer geliefert. Dumping ist beides.
Dem hohen Subventionsniveau und weitgehend
geschlossenen Agrarmärkten im Norden stehen nach wie vor
weitgehend offene Märkte mit kaum subventionierter
Landwirtschaft im Süden gegenüber. Eine der
grundlegendsten Forderungen der Entwicklungsländer für
die kommende Verhandlungsrunde lautet daher "Balance the
imbalances". Immerhin arbeitet ein großer Teil der
Bevölkerung im Süden in klein strukturierten
landwirtschaftlichen Betrieben, die insbesondere
Grundnahrungsmittel für den heimischen Markt produzieren. Das
Gelingen der Hongkong-Konferenz und damit der
Doha-"Entwicklungsrunde" hängt maßgeblich davon ab, ob
sich die Industrieländer stärker bewegen als die
Entwicklungs- und Schwellenländer.
Bislang bestrafen die Industrienationen
Importe aus Entwicklungsländern mit viermal höheren
Zöllen als Importe, die von ihresgleichen stammen. Die
Weltbank hat ausgerechnet, dass dieser Protektionismus der Reichen
die Armen etwa 100 Milliarden Dollar im Jahr kostet. Eine Summe,
die doppelt so hoch ist wie alle Entwicklungshilfegelder zusammen.
Doch die überhöhten Zölle sind nur eine Seite der
Medaille. Auf der anderen Seite stehen unglaublich hohe Summen an
Subventionen. In den wirtschaftlich am meisten entwickelten 30
Mitgliedsstaaten der "Organisation für Wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung" (OECD) sollen diese von 247
Milliarden US-Dollar im Jahr 1986 auf 318 Milliarden US Dollar im
Jahr 2002 angewachsen sein. Subventionierte Billigimporte aus dem
Norden belasten besonders die kleinen Bauern im Süden,
zerstören oftmals deren Lebensgrundlagen.
Entgegen manchem Vorurteil spielen keineswegs
die USA die unrühmlichste Rolle im undurchsichtigen Geschacher
und Versteckspiel um Vergünstigungen und Zollhürden im
Agrobusiness. So hatten die USA bereits vor über zwei Jahren
vorgeschlagen, die Zölle für Agrarprodukte um 75 Prozent
zu senken. Doch die EU kippte diesen durchaus den Interessen der
Entwicklungsländer entgegenkommenden amerikanischen
Vorstoß auf Druck Frankreichs. Außerdem weigerte sich die
EU, die handelsverzerrenden Subventionen für ihre Bauern
deutlich zu senken.
Dass nur der geringste Teil der
Agrarsubventionen überhaupt bei den Bauern ankommt, wie die
OECD in einer bereits vor einigen Jahren veröffentlichten
Studie ermittelte, scheint die EU-Verhandlungsführer nicht
sonderlich zu beeindrucken. Der OECD-Studie zufolge erhält der
Landwirt von einem Euro, der von den Regierungen für
Preisstützungen ausgegeben wird, nicht mehr als 25 Cent. Der
Rest lande bei den Verpächtern von Ackerland, werde für
den Kauf von Betriebsmitteln aufgewendet oder gehe durch
Ineffizienz der Politik verloren.
Die Öffnung der Agrarmärkte kann zu
mehr Gerechtigkeit auf der Welt beitragen. Dies muss weder zum
Schaden für die Verbraucher noch für die Umwelt oder die
Landwirte in den Industrieländern sein. Bisher hat die
protektionistische europäische Agrarpolitik nicht zu einer
besonders umweltverträglichen Landwirtschaft geführt. Im
Gegenteil: Die Landwirtschaft ist der "wichtigsten Verursacher von
Belastungen der Ökosysteme und der Reduzierung der
Biodiversität, für Beeinträchtigungen der
natürlichen Bodenfunktionen, für Belastungen von Grund-
und Oberflächengewässern und in der Folge von Nord- und
Ostsee" geworden. So steht es im "Umweltgutachten 2004" des Rates
von Sachverständigen für Umweltfragen beim
Bundesumweltminister. Ebenso unmissverständlich heißt es
dort: "Eine Liberalisierung der europäischen Agrarmärkte
muss nicht notwendigerweise zu einer weiteren Verschlechterung der
Umweltbilanz der Landwirtschaft führen."
In der Globalisierungsdebatte werden
zukunftsweisende, gleichermaßen sozial und ökologisch
sinnvolle Strategien für eine Landwirtschaft benötigt,
die in der Lage ist, die Weltbevölkerung mit qualitativ
hochwertigen Produkten zu ernähren. Dies gilt unabhängig
davon, ob man die Ausrichtung oder gar die Existenz der WTO
politisch für wünschenswert hält oder nicht.
Für eine solche Agrarpolitik einzutreten, ist im Rahmen der
WTO genauso richtig wie in der EU. Denn die europäischen
Agrar-Protektionisten bedienen sich großzügig bei ihren
Bürgern. Allein das EU-Zuckerkartell verringert die Kaufkraft
der europäischen Verbraucher jährlich um sechseinhalb
Milliarden Euro.
Doch fast alle politischen Akteure in
Deutschland und in der Europäischen Union drücken sich
bis heute darum, die Notwendigkeit öffentlich einzugestehen,
dass Agrarsubventionen und Zollschranken drastisch abgebaut werden
müssen, um einen fairen Welthandel zu ermöglichen.
Verantwortlich dafür ist eine Mischung aus Angst vor den
Lobbyisten der Zucker, Fleisch- und Milch erzeugenden und
verarbeitenden Wirtschaft und falscher Rücksichtnahme auf
rückwärtsgewandte Klienten. Es mag sein, dass die
Wahlaussichten des einen oder anderen europäischen
Staatsoberhaupts steigen, wenn die EU beim Hongkong-Gipfel
politische Scheinlösungen auftischt. Im Ergebnis dessen wird
mit all den protektionistischen Winkelzügen unerträglich
viel Zeit zum Schaden der europäischen Allgemeinheit und der
Not leidenden Menschen in den agrarisch geprägten Ländern
des Südens verschwendet.
Matthias Wolfschmidt arbeitet bei der Verbraucherorganisation
foodwatch in Berlin.
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