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Huberta von Voss
Die Sehnsüchte im Land der Erinnerungen
Eine Ölpipeline soll für Aserbaidschan
und Georgien den Wohlstand bringen
Er steht da, als hätte ihn die Zeit dort
vergessen. Seine schwarze Kutte umweht der Herbstwind, fängt
sich im struppigen langen Bart. Nur die Augen des Paters verraten,
dass er jung ist. Hoch oben in den kaukasischen Bergen bleibt die
Moderne eine banale Ahnung. Ein Pilger hat seinen Stoffrucksack an
einen Zweig geknotet, isst im Schatten Tomaten und Käse. Nur
wenige Touristen verirren sich hierher. Auf einem Sockel neben der
Eingangstür des Kreuz-Klosters gurren zwei hübsche
schneeweiße Tauben. An einem ausgedienten Fußballtor
baumeln vier alte Glocken an rostigen Fahrradschlossketten.
Über den mächtigen Maulbeerbaum sind die Wünsche der
Gläubigen wie eine Plage hergefallen. Wer in dieser Region auf
etwas hofft, reißt ein Stück seines Taschentuches ab,
knotet es an einen Baum und betet und blickt in die Ferne, nach
Tiflis.
Dort in der Hauptstadt konzentrieren sich die
Erwartungen der Menschen an die neue Regierung, die mit der
Brechstange den Anschluss an die Moderne schaffen will. Der
jugendliche Präsident, Michael Saakaschwili, hat dafür
beste Voraussetzungen. Er ist 38 Jahre alt, liebt die USA, und die
Amerikaner lieben ihn. Nur für Israel gibt es derzeit pro Kopf
noch mehr Entwicklungshilfe aus Washington. Die junge Liebe hat
indess nichts mit dem Einfluss der georgischen Einwanderer in den
Vereinigten Staaten zu tun, nichts mit den gewaltigen
Naturschönheiten der Kaukasusrepublik oder den ehernen
Klöstern, die stolz von einer bald 1.700-jährigen
christlichen Tradition zeugen, und auch nur wenig mit dem
jugendlichen Charme Saakaschwilis, der im In- und Ausland als
sprunghaft gilt. Die Liebe hat - wie im echten Leben - profanere
Gründe: Es geht ums Öl, um die Sicherheit der Pipeline
von der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku über Georgien in
den türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Seit Mai dieses Jahres
strömt das schwarze Gold aus dem Kaspischen Meer in die
westliche Welt. Besonders aus Sicht der USA ist dies ein wichtiger
Schritt in Richtung Unabhängigkeit von Ölfeldern im
politisch explosiven arabischen und iranischen Raum.
Entlang der Saburtalo Straße in Tiflis
rotten Fabrikgebäude vor sich hin. Die dahinterliegenden
Hochhäuser sind eine georgische Mischung aus gesplittertem
Sichtbeton, unverputzten roten Backsteinen und Holzlatten. An
rostigen Eisenstangen trocknet allenthalben zerschlissene
Wäsche, die meisten Balkone werden das nächste Erdbeben
in der Region nicht überleben und samt des auf ihnen lagernden
Elektroschrotts zu Boden donnern.
Auch das Gebäude mit der Hausnummer 38
ist schlicht. Nur ein kleines, fast verschämtes Firmenschild
verrät, dass hier der größte ausländische
Arbeitgeber Georgiens sitzt: BP - British Petrolium. Wer hier einen
Vertrag unterzeichnet, hat das große Los gezogen und die
berechtigte Hoffnung, menschenwürdiger zu leben als der
Großteil der circa vier Millionen Einwohner Georgiens. Rund
4.500 Einheimischen ist das zur Hochzeit der Bauphase gelungen: Die
BTC genannte Öl-Pipeline (Baku-Tiflis-Ceyhan) ist mit 1.760
Kilometern die längste, die BP je gebaut hat. Und auch die
South Caucasus Pipeline (SCP), die Aserbaidschan, Georgien und die
Türkei mit Erdgas aus dem Kaspischen Meer versorgt, brachte
massive Investitionen in die von Korruption, Sezessionskriegen und
politischen Krisen gebeutelte Kaukasusrepublik. Für die
lokalen Mitarbeiter bedeutet eine Anstellung bei BP ein
Monatsgehalt, dass mit durchschnittlich 400 Lari zehnmal höher
ist als das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung. Dieses
liegt bei umgerechnet 20 Euro. "Manche verdienen mit 1.200 Lari
(gleich 600 Euro) sogar 30-mal mehr als ihre oft arbeitslosen
Nachbarn", sagt Rusudan Medsmariaschwili, eine lokale Mitarbeiterin
der Öffentlichkeitsarbeit zufrieden. "Hinzu kommen die vielen
Angebote zur Weiterbildung." Ein Viertel seiner weltweiten
Ölförderung will BP langfristig aus dem Kaspischen Meer
gewinnen. Es war also wichtig, bei dem Bau durch drei Länder-
und Armutszonen keine verbrannte Erde zu hinterlassen. David
Glendinning ist der Mann, der hier einen Ausgleich hinbekommen muss
zwischen den Interessen seines Konzerns und den berechtigten
Anliegen sowie Begehrlichkeiten der regionalen "Player". Der
freundliche Brite leitet die Öffentlichkeitsarbeit. Er ist
stolz auf das Erreichte. Dabei war der Bau von BTC und SCP mit rund
vier Milliarden Dollar Investitionsvolumen nicht nur eine
große finanzielle Herausforderung. Es galt auch, der
Globalisierung ein verträgliches Gesicht zu geben, das von der
lokalen Bevölkerung angenommen wird. Danach sah es
zunächst nicht aus. Der Baulärm, der Dreck, vor allem
aber die Landenteignungen führten in Georgien zu unerwartet
großen Protesten. Auch Umweltschützer traten auf den
Plan. Nicht alle Protes-te seien unberechtigt gewesen, räumt
der Mittvierziger ein. Die Rechnung für das strategische
Einfühlungsvermögen kann sich sehen lassen: 20 Millionen
Dollar Ausgleichszahlungen, zwölf Monate Bauverzögerung
sowie 4.000 eingereichte Beschwerden. Weder in der Türkei,
durch die der längste Bauabschnitt läuft, noch in
Aserbaidschan gab es derartige Probleme. "Ein gewisses Maß an
Opportunismus" seitens der Georgier sei dabei gewesen, sagt
Glendinning mit vornehmer Zurückhaltung. Denn er weiß:
Wer langfristig global agieren will, muss die Rechnung mit dem Wirt
machen. Deswegen zahlt BP nicht nur Ausgleichsgelder, sondern
investiert auch in zahlreiche Community-Projekte.
Westliche Geschäftsleute sind weniger
zurückhaltend mit ihrem Urteil. Von mangelnder
Eigenverantwortung und Rechtssicherheit für Investoren und
immer noch allgegenwärtiger Korruption ist die Rede. Die lange
Fremdherrschaft hat Spuren in den Menschen hinterlassen - wie
sollte es anders sein. Ein Rätsel bleibt, wie man mit einem
Durchschnittseinkommen von rund 20 Euro, steigenden Preisen und
hoher Arbeitslosigkeit seine Familie ehrlich durchbringen
soll.
Die Landstraße von Georgien ins
benachbarte Armenien ist eine Ansammlung von Schlaglöchern -
auf der georgischen Seite. Denn wer den Grenzübergang passiert
hat, wähnt sich plötzlich in der Schweiz. Der
armerikanisch-armenische Multimilliardär Kirk Kirkorian machte
es möglich. Er sanierte mit eigenem Geld in den vergangenen
Jahren einen Großteil des armenischen Straßennetzes.
Besonders auf touristischen Routen wie dieser, die durch eine
bewaldete Bergwelt am malerischen Sevan-See vorbei nach Jerewan
führt, hat man sich Mühe gegeben.
"Willkommen im Westen" heißt die stille
Botschaft an Georgien. Es ist wie bei der Geschichte vom Hasen und
vom Igel: "Ihr versucht mit amerikanischer Hilfe Anschluss an den
Westen zu finden, wir sind schon dort." Im Gegensatz zum
ärmlichen Tiflis sieht es in Jerewan viel eher so aus, als
würden westliche Industriestaaten investieren. Die Hauptstadt
pulsiert wie die Hauptschlagader des kleinen Landes. Der
Einzelhandel scheint zu blühen, die Cafés und Restaurants
sind voll Menschen. Doch nicht der Westen investiert in das
wirtschaftlich am Boden liegende Land, dessen Grenzen zur
Türkei und zu Aserbaidschan seit dem Krieg um Karabach
geschlossen sind. Es ist die Dias-pora der Armenier, die
jährlich 300 bis 400 Millionen Dollar ins Land pumpt. Ein
Heimatland am Tropf, das viele der jungen Leute auf der Suche nach
besseren Chancen verlassen. Wer bleibt, hat entweder noch kein
Ausreisevisum oder einen Job - so wie die rund 200 Mitarbeiter der
deutschen Bertelsmann-Tochter Lycos, einem global agierenden
Internet-Anbieter.
Auch die 26-jährige Lia Avetisyan hat
hier eine Stelle gefunden. Sie leitet ein Team von
System-Administratoren, die von Jerewan aus rund um die Uhr die
über 1.000 Rechner in Stockholm überwachen. Wenn dort ein
Fehler auftaucht, kann sich Christoph Mohn in Gütersloh auf
seine hochmotivierte Computerexperten im Kaukasus verlassen. Der
dynamische Unternehmer hat sich aus Kostengründen für
Jerewan entschieden und mit der Verlagerung technischer
Unternehmensbereiche von Westeuropa nach Armenien 30 Millionen Euro
eingespart. Dort liegt der Vollkostensatz pro Entwicklungsstunde
bei zehn Euro, in Deutschland dagegen bei 40 Euro. "Die kulturellen
Unterschiede sind nicht größer als zwischen Deutschland
und Schweden", sagt Heiko Holzheuer, der deutsche Manager der
armenischen Außenstelle, zufrieden. Aber die
betriebswirtschaftliche Rechnung funktioniert nur, solange die
Gehälter niedrig bleiben. "Ab 20 Euro gehe ich zurück
nach Deutschland", sagt er trocken.
Huberta von Voss ist die Herausgeberin des Bandes "Porträt
einer Hoffnung: Die Armenier", Schiler Verlag, und lebt in
Berlin.
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