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Alexander Busch
Eine endlose Kette von Trucks fährt voll
beladen in die neue Zeit
Im Windschatten der Globalisierung:
Südamerika wird zum Rohstofflieferanten der Welt - und die
Armen bleiben arm
Primavera do Leste liegt in Brasiliens wildem Westen, etwa im
Zentrum Südamerikas. In geometrisch angelegten Siedlungen
inmitten einer staubigen Savanne leben hier 60.000 Menschen. Wo vor
kurzem noch Rinder in der unberührten Steppe grasten, wird
heute Soja und Baumwolle bis an den hitzeflimmernden Horizont
angebaut. Es ist eine der am schnellsten wachsenden
Pioniersiedlungen Brasiliens. Rechts und links der Hauptsraße
reihen sich die riesigen Silos der internationalen
Getreidehändler, die Lager der Agrochemiefirmen, Showrooms
für Landgeräte sowie zwei Dutzend nagelneue Tankstellen
für die endlose Kette an voll beladenen Trucks aneinander. Die
sonst in Brasilien übliche Kriminalität gibt es nicht.
Auch Slums fehlen. Jedes Kind geht in eine Schule.
Arbeitslosigkeit? "Haben wir hier praktisch nicht", sagt der
Bürgermeister stolz. "Jeder findet hier einen Job."
Reich ist Primavera: Der Toyotahändler hat eine Warteliste
von vier Monaten für importierte Pick-Ups. Die Miete eines der
schlichten Häuser kostet so viel wie in den teuren Stadtteilen
São Paulos. Hier in der Provinz entstehen mehr
Arbeitsplätze und wächst der Wohlstand schneller als in
den Städten an der Küste. Deshalb will das brasilianische
Statistikamt künftig für seine Erhebungen auch das
Landesinnere berücksichtigen, weil die in den Städten
ermittelten Wirtschaftsdaten ein verzerrtes Bild der Realität
zeigen.
Primavera do Leste im brasilianischen Westen ist nur eine dieser
neuen Pioniersiedlungen in Südamerika. In den letzten Jahren
sind sie fast überall zwischen der Karibik und Feuerland
entstanden. Sie finden sich in der Provinz, auf dem flachen Land,
am Rande des Regenwaldes oder in entlegenen Andenregionen. Es sind
die neuen Produktionsstandorte der Agroindustrie und des Bergbaus -
heute die dynamischsten Branchen Südamerikas. Die Farmer,
Trader und Minengesellschaften haben einen grundlegenden
Strukturwandel in der Ökonomie des Kontinents ausgelöst.
Dabei geht es um seine künftige Rolle in der Weltwirtschaft.
Die Investmentbank Goldman Sachs hat die neue globale
Arbeitsteilung in eine griffige Formel gebracht: Danach wird Indien
die Denkfabrik, China die Werkhalle, Russland die Zapfsäule -
und Brasilien das Rohstofflager der Weltwirtschaft werden. Diese so
genannten BRIC-Länder sollen künftig die Weltwirtschaft
am stärksten antreiben, bis sie in spätestens 40 Jahren
wirtschaftlich bedeutender sind als die heutigen
Industrieländer. Die neue Rolle Brasiliens als Zulieferer der
Weltwirtschaft gilt teilweise auch für die anderen Staaten
Südamerikas: Wie Brasilien haben sie einige Dekaden lang mit
verschiedenen Rezepten aber letztendlich vergeblich versucht, die
Industrienationen einzuholen. Nun kehren sie zu ihren
Ursprüngen zurück, und in Südamerika wiederholt sich
die Geschichte. Während der Kolonisierung pressten die Spanier
Silber und Gold aus den Andenländern. Heute fördern in-
und ausländische Konzerne immer noch Gold und Silber - aber
auch bei den anderen Metallen und Erzen wie Zink, Zinn, Kupfer,
Eisen und Mangan spielen Konzerne aus Südamerika und dort
aktive Multis an der Spitze im Welthandel mit. Drei Jahrhunderte
lieferten Brasiliens Plantagen Gummi, Tabak, Zucker und Kaffee nach
Europa. Argentiniens Pampas versorgten Europas Bevölkerung in
der Nachkriegszeit mit Weizen und Rindfleisch. Heute sind die
Agrarkonzerne Brasiliens und Argentiniens, aber auch Unternehmen
mit Investitionen in Bolivien, Chile und Uruguay,
Weltmarktführer für zahlreiche weitere Produkte wie Soja,
Rindfleisch, Orangensaftkonzentrat. Mit Baumwolle, Reis, Leder,
Pflanzenölen, Hühner- und Schweinefleisch, Shrimps, Wein,
ja selbst Zitronen oder Blumen sind südamerikanische
Produzenten unter der Weltspitze der Agrarexporteure zu finden. Es
sind moderne, hochkapitalisierte Betriebe, nicht mehr feudale
Haziendas oder Plantagenbetriebe, die man in Europa mehr oder
weniger romantisch verbrämt mit Südamerika assoziiert. In
Primavera do Leste sind die Rohstoffhändler in den Büros
der Agrarkonzerne online mit der Terminbörse in Chicago und
den Wettersatelliten verbunden. Nirgendwo sonst weltweit wird so
rentabel Soja angebaut wie hier. Eine Kommission des US-Senats, die
in Brasilien nach Beweisen für Dumping suchte, stellte
ernüchtert fest, dass brasilianisches Soja auch ohne
Subventionen und trotz hoher Transportkosten auf dem Weltmarkt
konkurrenzfähig ist.
Der Rohstoffboom hat die meisten überrascht.
Rohstoffkonzerne galten unter Investoren bis vor kurzem als
langweilig. Denn seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts wuchs die
Nachfrage nach Rohstoffen weniger schnell als für verarbeitete
Güter oder Dienstleis-tungen. Außerdem waren die
wichtigen Märkte im Norden für diese Produkte meist durch
Zollschranken und Einfuhrbeschränkungen verschlossen. Die
Preise für fast alle Commodities sanken über Jahrzehnte.
Doch das hat sich jetzt geändert. Die Preise sind auf
historische Hochs gestiegen. Viele Exporteure halten nun eine lang
anhaltende Hausse für Rohstoffe für möglich. Der
wichtigste Grund für den Stimmungswandel: China ist als neuer
Akteur auf den Weltmarkt für Rohstoffe getreten. Für die
meisten Staaten Südamerikas ist das Reich der Mitte innerhalb
weniger Quartale von einem vernachlässigten Markt zum
wichtigsten Exportziel geworden.
Die neue Nachfrage aus Fernost erwischte Südamerikas
Produzenten zu einem günstigen Zeitpunkt: In den 90er- Jahren
haben Brasilien und Argentinien ihre maroden Landwirtschaften, die
von staatlichen Subventionen abhingen und extensiv betrieben
wurden, in hochmoderne Agroindustrien verwandelt. Auch die
Minengesellschaften sind immer weniger staatlich gelenkt. Den
Privatisierungen der letzten zehn Jahre folgten hohe Investitionen
in der Bergbaubranche, welche deren Wettbewerbsfähigkeit
erhöhte.
Der Exportboom wirkt sich positiv auf die latent labilen
Volkswirtschaften des Kontinents aus. Erstmals seit Dekaden sind
die Leistungsbilanzen Südamerikas fast durchgehend positiv.
Alle Ökonomien wachsen stärker als noch vor kurzem
erwartet.
Dennoch kommt das Wachstum noch kaum bei der Bevölkerung an
- auch dabei könnte sich die Geschichte für
Südamerika tragisch wiederholen: Denn die Conquistadores
beuteten Südamerika mit Hilfe indianischer und afrikanischer
Sklaven aus, ohne die Region langfristig zu entwickeln. Die Weichen
für die hohe Einkommenskonzentration der Region wurden damals
gelegt: Sagenhafter Reichtum einiger Weniger existiert seitdem in
Südamerika neben der Armut der Bevölkerungsmehrheit - das
gilt mehr oder weniger für alle Staaten des Kontinents. Noch
ist der Rohstoffboom zu jung, um beurteilen zu können, ob
diesmal der Reichtum besser verteilt wird, das Wachstum also
nachhaltig ist. Die Anzeichen sind widersprüchlich:
Rohstoffkonzerne schaffen kaum Arbeitsplätze, belasten die
Umwelt und führen zur Verarmung der Bevölkerung,
argumentieren die zahlreichen Kritiker des rohstofforientierten
Exportmodells. Die politische Unruhen der letzten Monate in den
Andenländern lassen sich mit der Furcht der Bevölkerung
erklären, wieder mal zu kurz zu kommen: Die Demonstranten
wollen weder Gas noch Öl ins Ausland exportieren, auch wenn
die Regierungen dringend die Einnahmen bräuchten. Auch die
Landlosenbewegung Movimento Sem Terra (MST) in Brasilien oder die
arbeitslosen Piqueteros in Argentinien wollen eine gerechtere
Verteilung der nationalen Ressourcen - und holzen aus Protest
Eukalyptusplantagen ab oder besetzen Tankstellen.
Die Befürworter der rohstofforientierten Entwicklung
dagegen verweisen auf die positiven Impulse durch die florierenden
Exporte. Überall werden neue Häfen, Straßen und
Schienenwege gebaut. Geräte- und Maschinenbauer folgen ihren
Kunden, den Bergbau- und Landwirtschaftskonzernen. Chemiekonzerne
investieren in Agro- und Bergbauabteilungen. Lebensmittelkonzerne
bauen die Produktion aus, um näher an die Rohstoffquellen zu
rücken.
Letztendlich ist das Abwägen zwischen den verschiedenen
Perspektiven für Südamerika müßig, denn der
Kontinent hat keine Wahl: Die neue, alte Rolle als
Rohstofflieferant der Welt bedeutet für Südamerika eine
Chance in der Globalisierung. In diesen Branchen können die
Unternehmen ihre Standortvorteile ausspielen. Ob die Staaten diesen
Rückenwind nutzen, um in Bildung, Gesundheit und
Rechtssicherheit
zu investieren, also die Grundlage für anhaltendes Wachstum
zu schaffen, das ist eine andere Frage. Bisher scheint nur Chile
auf dem richtigen Weg zu sein und die hohen Kupferpreise zu nutzen,
um seine Wirtschaft zu diversifizieren. Im restlichen
Südamerika ist jetzt vor allem die Politik gefordert.
Alexander Busch ist Korrespondent für das "Handelsblatt" und
lebt in Sao Paulo.
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