|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Helga Gandlhuber
Polnisches Know-how im Münchner
Nobelviertel
Osteuropäische Ein-Mann-Betriebe nutzen
ihre Chance
Lächelnd blickt sich Slawomir Ludwik
Kostrzewa um, begutachtet die glänzenden Wände, den
polierten Boden. Er sitzt in einem kleinen Bistro, mitten in der
Münchner Innenstadt. "Ich bin hier der zweite Chef", sagt er
stolz. Und der eigentliche Inhaber, Remi Campana, nickt. Denn der
47-jährige Kostrzewa hat in zwei Monaten aus der Baustelle ein
Bistro gemacht - sein bisher größter Auftrag. Der
Alleskönner ist Maler, Trockenbauer, Innenausstatter, Parkett-
und Bodenleger. Ein Chamäleon des Handwerks sozusagen. Sein
Auftraggeber scheint daran bei der Namensgebung des Bistros gedacht
zu haben: Cameleon heißt es, in der Schreibweise seiner
französischen Heimat. Kostrzewas Heimat ist Polen. Im
März 2004 zog er nach München und holte sich einen
Gewerbeschein - genau zu dem Zeitpunkt, ab dem das rechtlich
möglich war.
Zwei Entwicklungen entfachten damals ein
Gründungsfieber. Durch die Änderung des Handwerksrechts
entfiel in 53 von 94 Berufen der Meisterzwang. Fliesenleger,
Gebäudereiniger, Raumausstatter - jeder kann seitdem in diesen
und anderen zulassungsfreien Sparten ein Unternehmen gründen.
Außerdem dürfen Polen, Tschechen und andere
Osteuropäer nach der EU-Osterweiterung in Deutschland leben
und arbeiten. Die Jobsuche auf dem freien Markt hat die
Bundesregierung wegen der hohen Arbeitslosigkeit verboten. Doch
Selbstständigkeit ist erlaubt.
Diese Dienstleistungs- und
Niederlassungsfreiheit nutzen nicht nur Osteuropäer, sondern
auch Einheimische. Deutschlandweit kommt nur jede achte
Neugründung in den zulassungsfreien Berufen von einem
Bürger aus den Beitrittsländern. Es sind jedoch die
Ich-AGs aus dem Osten, die für Aufregung in der Baubranche
sorgen. Und zwar nicht - wie zuerst erwartet - in unmittelbaren
Grenzgebieten, sondern in Ballungsräumen. Dort schießen
die osteuropäischen Ich-AGs aus dem Boden.
Diesen Boom belegt Rudolf Baier, Sprecher der
Handwerkskammer München-Oberbayern, mit Zahlen. Seit März
2004 hat sich in seinem Bereich die Zahl der selbstständigen
Fliesenleger von 168 auf 754 gesteigert. "Das ist eine Zunahme von
fast 350 Prozent, 64 Prozent der Neueintragungen kommen
übrigens von Polen." Bei den Gebäudereinigern gibt es ein
Plus von fast 240 Prozent, bei den Parkettlegern liegt es bei 110
Prozent.
Kostrzewa kam wie viele andere nach
München, weil es dort genug Aufträge gibt. Aber vor
allem, weil er dort früher drei Jahre lang gewohnt hatte.
Wegen der deutschen Abstammung seiner Frau erhielten die
Spätaussiedler eine Aufenthaltsgenehmigung. Kostrzewa
arbeitete damals als Kurierfahrer, wollte sich selbstständig
machen. Durfte er aber nicht, denn er war immer nur für sechs
Monate in der Bundesrepublik geduldet. Als seine Frau, eine
studierte Apothekerin, in Deutschland keinen Job fand, ging die
Familie 1991 nach Polen zurück. In einem 5.000-Einwohner-Dorf,
etwa 20 Kilometer von Breslau entfernt, haben die Kostrzewas nun
eine eigene Apotheke und ein Haus gebaut.
Seit er in München lebt, sieht der
47-Jährige seine Frau, die beiden Töchter (12 und 18) und
den Sohn (16) nur noch alle zwei, drei Wochen. Der Trost: 730
Kilometer von seinem Zuhause entfernt kann er genug Geld für
die Ausbildung seiner Kinder verdienen: "Für die gleiche
Arbeit bekomme ich hier das Dreifache." Dafür nimmt er
Aufträge an, die deutsche Firmen oft dankend ablehnen - weil
sie zu schwierig sind oder sich nicht rentieren. Der
47-Jährige arbeitet elf Stunden am Tag, abends rechnet er dann
noch in seiner Wohnung Angebote durch. Er kalkuliert knapp,
Preisdumping lehnt Kostrzewa aber ab.
Genau das werfen deutsche Kollegen
osteuropäischen Handwerkern jedoch vor: Sie würden ihnen
mit Billigtarifen Aufträge wegnehmen. Polnische Fliesenleger
sind zur Metapher für die Gefahr aus dem Osten geworden. Immer
wieder rechnen die Handwerkskammern die Misere vor: Deutsche Firmen
verlangten rund 40 Euro pro Gesellenstunde, ein
osteuropäischer Ein-Mann-Betrieb arbeite häufig für
die Hälfte.
Kostrzewa hat einen Stundenlohn zwischen 22
und 35 Euro - je nachdem, wo und für wen er arbeitet. "In
Grünwald, wo ich oft Aufträge habe, kann man ein bisschen
mehr ansetzen", sagt er über das Nobelviertel Münchens.
Aber auch für 22 Euro bekomme man bei ihm
Qualität.
Und vor allem Flexibilität. Denn im
Gegensatz zu deutschen Kollegen arbeitet der Pole auch abends,
nachts und am Wochenende. Sein müder Blick und die Augenringe
kommen nicht von ungefähr. Urlaub, Krankheit? Gibt es bei ihm
nicht. Kostrzewa ist klar, dass deutsche Firmen da nicht mithalten
können. Doch die Furcht vor der osteuropäischen
Konkurrenz findet er teilweise übertrieben: "Die Deutschen
sollen nicht Angst haben, die sollen ein bisschen fleißiger
sein."
Das versucht Manfred Hofmann. Der
37-jährige Fliesenlegermeister hat einen Betrieb in
München, weiß aber nicht, wie lange er seine beiden
Angestellten noch beschäftigen kann. Durch Lohnzusatzkosten
müsse er ganz anders rechnen. "Da kostet die Stunde rund 45
Euro, sonst muss ich zumachen." Hofmann versteht nicht, dass die
Osteuropäer in ihrer Heimat zu wenig verdienen. "Dort herrscht
doch jetzt Aufbruchsstimmung, da muss es doch Aufträge
geben."
Doch das ist nur zum Teil richtig. Die
polnische Wirtschaft ist im Aufschwung, bereits im dritten Jahr in
Folge. Heuer wird mit einem Wachstum von fünf Prozent
gerechnet. Trotzdem beträgt die Arbeitslosenquote rund 19
Prozent und ist damit die höchste in der EU. Der
Produktivitätsanstieg durch Rationalisierung verhindert einen
Zuwachs an Beschäftigung. Das Bauwesen ist zwar noch immer
einer der wichtigsten Sektoren, doch die guten Jahre waren von 1996
bis 1998. Nach dieser Hausse verringerte sich die
Beschäftigtenzahl bis 2002 rapide um rund 22
Prozent.
Deshalb drängten viele Polen Anfang 2004
auf den deutschen Markt. Kostrzewa las in der Zeitung von dieser
Möglichkeit, informierte sich und meldete wenige Tage
später sein Gewerbe an. "Es war ein Versuch, und ich habe es
geschafft." Weil der 47-Jährige schnell viele Aufträge
bekam, machten es ihm Verwandte und Freunde nach. Wenn Kostrzewa
nun für ein größeres Projekt Mithilfe braucht -
demnächst steht die Renovierung eines Reihenhauses für
30.000 Euro an - ruft er seine Freunde an. Er übernimmt den
ganzen Auftrag, seine Kollegen arbeiten mit. Bei der Abrechnung
gilt sein Wort.
Legal und fachmännisch sauber
Schwarzarbeit, Billiglöhne: Kostrzewa
kennt die Vorwürfe. Er setzt dagegen, dass sich nur diejenigen
durchsetzen, die legal und fachmännisch sauber arbeiten.
Kontrollen durch das Finanzamt seien an der Tagesordnung. Und man
müsse seine Grenzen kennen. "Wenn ich etwas nicht kann, sage
ich das." Statik, Elektrik, da sei ein Profi unverzichtbar. Doch
Kleinigkeiten übernimmt Kostrzewa nebenbei - dadurch spart
sich der Auftraggeber, eine weitere Firma engagieren zu
müssen.
Einige osteuropäische Ich-AGs scheitern
an der Verständigung. Kostrzewa lernte in der Schule neben
Russisch auch Deutsch. Er kann verhandeln, seine Dienste anbieten.
Kommunikation bedeutet für ihn auch, Netzwerke mit deutschen
Kollegen zu knüpfen. Er empfiehlt sie, sie empfehlen ihn. Das
sei unerlässlich, wenn man nur für Privatleute arbeite
und über Mund-zu-Mund-Propaganda an Aufträge komme. Denn
Werbung macht Kostrzewa nicht - nicht im Internet, nicht im
Branchenbuch, nicht in Kleinanzeigen. Er hat auch so genug zu tun.
Bisher hat er nur einen Auftrag nicht bekommen: "Zwei Ungarn haben
es billiger gemacht." Er wollte sie nicht unterbieten, der
Handwerker hat seinen Preis - und seine Ehre.
Für ihn ist die Arbeit in Deutschland
auch eine Art der Fortbildung. Er lernt neue Techniken, schaut sich
bei anderen Handwerkern Know-how ab. Damit möchte er in zwei
Jahren zurück nach Polen gehen und dort eine Firma
gründen. Vertreter des polnischen Bausektors erwarten eine
Trendwende in Polen. Man wäre in der Lage, so heißt es,
dort doppelt so viele Aufträge wie jetzt zu realisieren. Dazu
bräuchte es jedoch eine bessere technische Ausstattung und
qualifiziertere Arbeiter - Slawomir Ludwik Kostrzewa wird einer von
ihnen sein.
Helga Gandlgruber ist freie Journalistin in
München.
Zurück zur Übersicht
|