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Jürgen Osterhammel
Die Globalisierung ist postmodern
Sklavenhandel und Mauerfall: Als die Welt
international wurde
Hätte man vor 30 Jahren Historiker gefragt, mit welchem
allgemeinen Begriff sie die wirtschaftliche Entwicklung in den
letzten beiden Jahrhunderten beschreiben würden, dann
hätten vermutlich die meisten von ihnen das Wort
"Industrialisierung" genannt. Heute dürfte bei vielen die
Antwort eher "Globalisierung" lauten. Globalisierung ist nicht nur
zu dem mittlerweile wohl wichtigsten Thema der internationalen
Sozialwissenschaften geworden. Immer mehr wird auch die
jüngere geschichtliche Entwicklung in dieser Perspektive
gesehen. Dabei ist allerdings ein wichtiger Unterschied zu
beachten: Industrialisierung ist viel griffiger, viel leichter in
der Vergangenheit konkret zu beobachten als Globalisierung. Die
Spuren früher Industrialisierung sind oft bis heute materiell
überliefert, auch kann man sie recht genau datieren. Es gibt
keinen Zweifel darüber, welches die wichtigen technischen
Erfindungen waren, die am Beginn der "Industriellen Revolution"
standen. Ebenso gut lässt sich genau angeben, von wann sie
stammen, die ersten Fabriken in England und anderswo, die ersten
Dampflokomotiven, das Aufstreben besonderer Industriestädte:
All das kann man anschaulich beschreiben.
Bei der Globalisierung fehlt eine solche Anschaulichkeit. Sie
ist ihren frühen Formen vor allem als Anknüpfung und
Verdichtung von Handelsbeziehungen über große
Entfernungen hinweg zu verstehen. Von solchen Beziehungen sind oft
nur vereinzelte Überreste geblieben. Noch schwieriger sind
kulturelle Beziehungen, etwa die Wanderung von Religionen, konkret
dingfest zu machen. Eine genaue Chronologie solcher
"Transferprozesse" ist oft sehr schwer aufzustellen. Nur deshalb,
weil "Globalisierung" selbst kein "Ding" ist, das man vorfindet,
ausgraben oder anschauen kann, sind Debatten um die Anfänge
der Globalisierung überhaupt möglich. Den Beginn der
Industrialisierung kann man ziemlich genau datieren und sogar den
Ort angeben (England um 1770). Auf die Frage, wann die
Globalisierung begann, unterscheiden sich die Antworten um mehrere
Jahrhunderte.
Ganz grob unterschieden, bewegen sich die
Lösungsvorschläge zwischen zwei Extremen. Einige
Historiker sehen bereits im Mittelalter großräumige
Verflechtungen, die sie als eine Art von Ur-Globalisierung
bezeichnen möchten: Vor allem die Eroberungen der Mongolen im
frühen 13. Jahrhundert schufen einen euro-asiatischen
Kontinentalraum, in dem sich Waren und auch Ideen über
große Distanzen schnell verbreiten konnten. Freilich war
Amerika an diese Ströme noch nicht angeschlossen. Am
entgegengesetzten Extrem steht die - viel weiter verbreitete -
Ansicht, von Globalisierung könne man erst reden, seit die
weltweite Verbreitung des Internet Kommunikation "in Echtzeit"
ermöglicht und damit die Bewegung von Informationen und
Finanztransaktionen beschleunigt habe. Ist die erste dieser beiden
Positionen zu weit gefasst, so unterschätzt die zweite die
historischen Voraussetzungen der jüngsten
Globalisierungswelle.
Von Globalisierung sollte man erst von dem Moment an sprechen,
als die Ozeane für den Verkehr erschlossen wurden. Dies
geschah im 16. Jahrhundert mit der Gründung amerikanischer
Kolonien zuerst durch Spanier und Portugiesen, im folgenden
Jahrhundert auch durch Engländer, Franzosen und
Niederländer. Im gleichen Zeitalter wurden erste
regelmäßige Handelsbeziehungen über den Pazifik
hinweg (von Mexiko bis China) geknüpft. Ebenfalls im 17.
Jahrhundert verdichteten sich die Fernhandelsnetze im Indischen
Ozean. Dazu trugen neben den europäischen
"Ostindienkompanien", die zu den größten
Handelsorganisationen der damaligen Welt zählten, auch
arabische Seefahrer und Händler maßgeblich bei. Der
Fernhandel mit kostbaren Gütern wie Edelmetallen,
Gewürzen oder Porzellan wurde bald durch einen Handel mit
Massenware ergänzt. Dazu gehörten aus damaliger
europäischer Sicht auch afrikanische Sklaven. Etwa zwischen
1570 und 1870 wurden mindestens 11 Millionen Afrikaner durch
europäische Sklavenhändler in die Neue Welt verschleppt.
Die gesamte "Frühe Neuzeit" war durch einen Prozess der
"archaischen" Globalisierung (C. A. Bayly) gekennzeichnet.
"Archaisch" daran war, dass die Transportgeschwindigkeit sich
während des gesamten Zeitalters kaum veränderte. Auch gab
es nur wenige Gegenden, deren Schicksal ganz von
Außenkontakten bestimmt wurde.
Eine neue Stufe der Globalisierung wurde erst nach der Mitte des
19. Jahrhunderts erreicht. Man könnte hier von moderner
Globalisierung sprechen. Sie setzt die Anwendung industrieller
Prinzipien auf Verkehr und Nachrichtenübermittlung voraus. Im
19. Jahrhundert machte die Dampfschifffahrt Überseereisen
schneller, sicherer und billiger. Dies war eine wichtige Ursache
für die Auswanderung von Millionen von Europäern nach
Nord- und Südamerika sowie in das neu erschlossene Australien.
Ein weltumspannendes Telegrafennetz ermöglichte es nach etwa
1880, innerhalb von Minuten zwischen den Kontinenten zu
kommunizieren. Erst jetzt entstand eine Weltwirtschaft, wie wir sie
heute noch kennen. Sie setzte relativ freie Märkte voraus, an
deren Funktionieren auch viele Regierungen interessiert waren. Ein
deutliches Zeichen für einen höheren Verdichtungsgrad war
es, dass sich seit den 1880er-Jahren ökonomische Probleme zu
Welt-Wirtschaftskrisen ausweiten konnten.
Die größte dieser Krisen begann 1929. Sie wäre
ohne die vorausgegangene engmaschige Verflechtung der
Weltwirtschaft in Handel wie Finanz nicht möglich gewesen. Auf
der anderen Seite konnte diese eigentliche "Weltwirtschaftskrise"
nur deshalb so verheerende Folgen haben, weil der Erste Weltkrieg
die internationale Staatenwelt zerrüttet hatte. Es fehlten in
den 1920er-Jahren Mechanismen der wirtschaftlichen Kooperation und
politischen Konfliktregelung zwischen den führenden
Mächten der Welt. Im Zweiten Weltkrieg, den sie anzettelten,
verfolgten Deutschland und Japan eine Politik der brutalen
Eroberung von Großräumen, die "autark" gemacht werden
sollten. Das kann man als den Versuch sehen, die Uhr der
Globalisierung zurückzudrehen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mit politischen Mitteln ein
freier Welthandel wieder hergestellt, dem sich allerdings die
kommunistischen Staatshandelsländer nur sehr bedingt
anschlossen. Neue technische Entwicklungen ließen die
Kontinente näher zusammenrücken, etwa die rasante
Ausbreitung der zivilen Luftfahrt und die Abhängigkeit der
Volkswirtschaften Europas, Japans und der USA von arabischem
Öl. Multinationale Konzerne erlangten nun eine viel
größere Bedeutung und Macht als in der Vergangenheit.
Die neueste Phase der Globalisierung kann man als die
postmoderne bezeichnen. "Postmodern" bedeutet, dass die großen
Ordnungsmächte der Vergangenheit, etwa Staaten, Kirchen oder
gesellschaftliche Klassen an Bindekraft verlieren. Die Initiativen
von kleinen Gruppen und Einzelnen werden hingegen wichtiger. Das
lässt sich auch auf internationaler Ebene beobachten.
Nationale Wirtschaftssysteme sind weniger geschlossen denn je.
Für viele Dienstleistungen spielt es schon keine Rolle mehr,
in welchem Land sie verortet sind. Nach dem Ende der Sowjetunion
und der Öffnung Chinas entzieht sich kaum eine Gegend der Welt
solchen Zusammenhängen.
Jürgen Osterhammel ist Professor für Neuere und Neueste
Geschichte an der Universität Konstanz. Er ist Verfasser des
Buches "Die Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse,
Epochen".
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