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Oliver W. Schwarzmann
Boom auf Pump ist eine
Milchmädchenrechnung
Die Macht der Finanzströme: Wie sie die
wirtschaftliche Entwicklung ganzer Kontinente bestimmen und
"künstliche" Finanzkrisen erzeugen können
Die Analyse der augenscheinlichen Übermacht der
Finanzströme und der offenkundigen Krisenanfälligkeit,
die sich im wachsendem Maße über alle Volkswirtschaften
hermacht, entspringt einem Phänomen, das sich am besten als
Beschleunigung des globalen Kapitalismus beschreiben lässt.
Für die geradezu wildwüchsige Dynamik des internationalen
Finanzsystems lassen sich fünf wesentliche Ursachen
beziehungsweise Ingredienzien festmachen:
Der technologische Fortschritt: Die elektronische
Vernetzungsdichte ermöglicht finanzielle Transaktionen um die
Welt in Sekundenschnelle, jenseits jeglicher Physis einer
Volkswirtschaft, der Authentizität eines Marktes oder der
Plausibilität seines Wachstums. Die Zunahme der weltweiten
Verwebung von Finanz-, Wirtschafts- und Unternehmenssystemen
erhöht Anzahl und Geschwindigkeit internationaler
Einflussfaktoren auf nationale Volkswirtschaften. Das sich
beschleunigende Zusammenspiel von ökonomischen
Abhängigkeiten, Wechselwirkungen und Konstellationen steigert
die strukturelle Labilität des internationalen
Wirtschaftssystems. Instabilität wird zur Konstante der
ökonomischen Entwicklung. Und Instabilität ist der
Nährboden für Finanzkrisen. Hinzu kommt: Je dichter und
offener die nationalen Märkte in der globalen Ökonomie
werden, desto höher ist die Kapitalmobilität und desto
mehr Raum finden kurzfristige Investitionen. Kurzfristigkeit ist
das Wesen der Spekulation. Und Spekulation ist der Treibstoff
für Finanzkrisen.
Gigantisches Potenzial
Die Öffnung geschlossener Märkte: Mit dem Niedergang
kommunistischer und sozialistischer Systeme öffneten sich bis
dato abgeschottete Märkte mit einem gigantischen Potenzial an
gut ausgebildeten Fachkräften auf niedrigem Lohnniveau. Diese
Entwicklung setzt nach wie vor etablierte und hochpreisige
Lohnländer unter Druck, da im globalen Business dort
produziert werden kann, wo es am billigsten ist. So werden bisher
nahezu unbekannte Regionen via Outsourcing ruckartig an die
Weltwirtschaft gekoppelt.
Zudem ergibt sich daraus ein weiterer Aspekt: Der Kapitalismus
ist ohne Konkurrenz, immer mehr Volkswirtschaften folgen ihm. Der
bisher äußere Wettbewerb der unterschiedlichen Systeme
verlagert sich in das Innere des Kapitalismus und führt zu
einem massiven Verdrängungswettbewerb unter seinen
Teilnehmern. Dieser Verdrängungsdruck gipfelt in einen Kampf
um Wettbewerbsfähigkeit. Internationale
Wettbewerbsfähigkeit wird in Innovation, Dynamik, aber vor
allem noch in Preisen gemessen. Immer mehr Volkswirtschaften
bemühen sich daher, die Nase möglichst schnell und
kostengünstig vorne zu haben, was sie für schnelles Geld
öffnet. Es werden sich nach und nach Länder für den
globalen Markt anbieten, die heute noch unerschlossen oder durch
Konflikte gehemmt sind.
Die Liberalisierungsbewegung: Immer mehr Länder wollen am
internationalen Wirtschaftssystem ihren Anteil haben, öffnen
sich damit dem globalen Kapitalismus, senken Beschränkungen
und Kontrollen oder setzen sie komplett aus. Viele Länder,
deren Finanzstruktur noch nicht reif für die Kraft des
globalen Kapitals oder zu klein für dessen Massen ist,
profitieren letztlich kaum bis nicht vom Zulauf internationaler
Finanzen. Sobald Währungsaufwertungen zu stark und
Auslandsschulden zu hoch werden und die Volkswirtschaften in
strukturelle Probleme geraten, zeigt sich vor allem kurzfristig
orientiertes Kapital als extrem flüchtig. Die einsetzende
Kapitalflucht löst die Umkehrung der zunächst positiven
Effekte aus und führt in die Währungsabwertung, die durch
entsprechende Spekulationen beschleunigt wird. Die Anhäufung
solcher Finanzkrisen birgt einen Lerneffekt für ein neues
Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit dem erleichterten Zugang
zum globalen Kapital.
Die Herden werden größer: Durch die herrschende
Vernetzungsdichte der globalen Märkte und die internationale
Kapitalmobilität kommt es zu einer Verstärkung von
Finanzströmungen. Wie beim Dominoeffekt bauen sich
Investitionsbewegungen auf oder Krisen verbreiten sich epidemisch.
Zwar erhöht sich mittels der Informationsdichte die
Transparenz der Märkte, dennoch basieren Entscheidungen von
Anlegern auf dem Phänomen des Massentrends. Dieser ist an sich
nicht verwerflich, denn Wachstum ist auf eine Expansion der
Nachfrage angewiesen, dennoch hat jeder Markt eine begrenzte
finanzielle Aufnahmekapazität. Wird der kritische Massepunkt
durch das bekannte Herdenverhalten überschritten, kommt es
sowohl zum strukturellen Zusammenbruch als auch zu irrationalem
Verhalten, das die Situation verschärft. Hochspekulative
Hedgefonds verstärken diesen Hebelmechanismus, da sie die
Herden organisieren. Die Bündelung von Investoren besitzt
durch die so mögliche Ansammlung gigantischer Mittel eine hohe
Spekulationsmacht. Allerdings geraten Hedgefonds selbst unter
Druck, denn durch ihre wachsende Kapitalgröße werden sie
auch träger und benötigen sowohl aufnahmebereite als auch
aufnahmefähige Märkte. Es wird, wie gesagt, auch
zukünftig spekulative Boomlands geben, doch durch die weltweit
steigende Spezialisierung der Märkte verändern sich
Wachstumsstrukturen, die zunehmend Investitionen in Forschung,
Entwick-lung und Bildung erfordern. Auf die veränderten
Wachstums- und in Folge Profitbedingungen reagieren Equity-Manager
verstärkt mit nachhaltigen Investitionsstrategien.
Globalisierung und Regionalisierung: Mit dem internationalen
Wirtschaftssystem verhält es sich wie mit dem Klima: Zwar
braut es sich global zusammen, doch interessieren sich die Menschen
vielmehr für das Wetter vor Ort. Je intensiver und volatiler
die internationalen Verflechtungen werden, desto stärker sind
die regionalen Auswirkungen oder anders gesagt - die regionalen
Unterschiede werden größer. Eine Entwicklung, welche die
Regionalisierung zu einem der heißesten Themen der kommenden
Jahre machen wird. Denn Aufmerksamkeit und Sensibilität
für regionale Effekte werden durch den internationalen
Einfluss steigen. Der gesteigerte Fokus auf nationale Interessen
und die Abschottung regionaler Handelsblöcke sind die Folge.
Da sich die ökonomische Globalisierung derzeit noch durch
regionale Handelsblöcke organisiert, äußert sich die
Absicht aufstrebender Volkswirtschaften im globalen Markt
anzukommen in einem wachsenden Teilnahmedruck auf die bestehenden
Handelsblöcke. Was den bereits erwähnten, internen
Verdrängungswettbewerb verstärken wird, denn die
wachsenden Handelsblöcke geraten immer mehr in ein Mahlwerk
zwischen der Optionalität freier Märkte, dem
Teilnahmedruck aufstrebender Volkswirtschaften, einem
verschärften Verdrängungswettbewerb und der Sicherung
ihrer jeweils regionalen beziehungsweise bündnisorientierten
Interessen. Damit hängt der Globalisierungserfolg an der
Verbindung zwischen internationaler Freiheit und regionalem
Nutzen.
Macht am Scheideweg: Die Beschleunigung des globalen
Kapitalismus ist unumkehrbar. Die hohe Kapitalmobilität
ermöglicht schnelle, spekulative Investitionen, die wachsende
Verkettung der Märkte erschafft neue Hebelwirkungen, deren
Kräfte sich multiplizieren. Das globale Wirtschaftssystem
benötigt für seine Funktion daher neben einem
strukturellen, abgestimmten Wachstum ein ausbalanciertes
Verhältnis zwischen Vermögen und Verschuldung, zwischen
Gewinnern und Verlieren. Selbst Spekulationen sind ohne
funktionierende Finanz- und Wirtschaftssysteme nicht möglich,
weshalb auch Spekulanten daran gelegen sein wird, den Raum ihrer
Investitionen zu erhalten.
Auf der Suche nach Märkten
Die wirtschaftsstarken Finanzzentren produzieren auch weiterhin
durch ihr hohes Vermögen große Liquiditätsmengen,
die immer auf der Suche nach geeigneten Märkten sind, die
schnelle Rendite versprechen. Es sind auch noch genügend
aufstrebende Länder in der Pipeline, die für schnelles
Kapital aufnahmebereit sind und damit ihr dynamisches Wachstum
meist über kurzfristige Konsum-, Immobilien- oder Aktienbooms
versorgen. Boom auf Pump ist eine Milchmädchenrechnung, bei
dem schlussendlich das Land selbst auf der Strecke bleibt. Gerade
die Finanzkrisen in den 1980er- und 1990er-Jahren sind auf
kurzfristige (Auslands-)Kredite zurückzuführen und dann
als Menetekel zu werten, wenn sich die spekulative Kurzfristigkeit
als Prinzip der Kapitalströme erhält. Doch die
Bereitschaft aussichtsreicher Wachstumsländer, über
kurzfristige Kredite schnelle Investitionen für den schnellen
Boom zu tätigen, wird zunehmend in Frage gestellt. Denn der
beschriebene Verdrängungsdruck erfordert eine Verlagerung des
Investitionsfokus auf die Sicherung und Steigerung der
internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Die ist in den
kommenden, hoch spezialisierten Wissensmärkten zunehmend durch
Innovation und Flexibilität zu erzielen. Beides benötigt
kreatives Potenzial, Wissen und technologische Infrastruktur.
Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung sind nicht auf
kurzfristige Effekte zu reduzieren, sondern orientieren sich an
einer hochwertigen Zukunftsvision. Die Macht der Finanzströme
steht somit am Scheideweg ihrer bisherigen Absicht: Sie muss sich
nun an nachhaltigen Perspektiven orientieren, um sich selbst zu
erhalten.
Oliver W. Schwarzmann war früher im Bankgeschäft
tätig und arbeitet heute als Publizist zu Finanzthemen im Raum
Stuttgart.
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