Rüdiger Köhn
Maschinenbau hält das Schild "Made in
Germany" hoch
Die wichtigste Exportbranche kämpft gegen
internationale Konkurrenz
Thomas Keidel liebt die unverhohlene Ansprache.
Der Geschäftsführende Gesellschafter der Göttinger
Mahr Holding ruft seine Kollegen aus dem Maschinen- und Anlagenbau
offen auf, in ihren Unternehmen Bündnisse für Arbeit mit
den Arbeitnehmern zu schließen. Keidel ist bewusst, dass sich
Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene rechtlich in einer Grauzone
bewegen: "Ich weiß, dass solche Bündnisse eigentlich
illegal sind." Schließlich widersprechen sie den
Tarifverträgen, die zwischen Arbeitgeberverbänden und
Gewerkschaften geschlossen worden sind. Doch der Chef von Mahr
setzt auf "Legalisierung durch Praxis". Am Ende seien
schließlich Arbeitsplätze gesichert. "Den möchte ich
sehen, der sich dagegen wehrt und eine Arbeitsplatzverlagerung in
Kauf nimmt", spielt er auf den Widerstand der Gewerkschaften
an.
Die Göttinger Carl Mahr Holding ist
typisch für den deutschen Maschinenbau. Sie ist als Hersteller
unter anderem von Messgeräten für die Automobilindustrie,
die optische Industrie oder für die Forschung einer der
größten Anbieter weltweit, obwohl sie lediglich 140
Millionen Euro Umsatz im Jahr erzielt. Sie ist mit einem
Exportanteil von mehr als 60 Prozent vorrangig auf internationalen
Märkten tätig. Mahr ist ein inhabergeführtes
Familienunternehmen. Und es arbeitet in einem zyklischen
Geschäft mit Aufs und Abs im Mehrjahresrhythmus. Schon deshalb
sieht Keidel die Notwendigkeit, sich mit den Mitarbeitern auf
flexible Engagements zu einigen. Mahr hatte 2003 die
Wochenarbeitszeit von 35 auf 32 Stunden ohne Lohnausgleich gesenkt,
was zu Gehaltseinbußen von durchschnittlich acht Prozent
geführt hat. Dafür gibt es im Gegenzug
Arbeitsplatzgarantien bis Mitte 2006.
Weniger typisch für die Branche: Mahr
gehört mit seinen 1.500 Mitarbeitern schon zu den
größeren Arbeitgebern im Maschinenbau, 900
Beschäftigte arbeiten in Deutschland. Die Gesamtbranche indes
ist geprägt durch viele Kleinstfirmen (weniger als 20
Mitarbeiter) sowie zahlreiche kleine und mittelständische
Unternehmen, die selten mehr als 200 Beschäftigte haben und an
den deutschen Standort gebunden sind.
Wegen dieser kleinteiligen Struktur hat
mittlerweile jeder Zweite der 3.000 Mitglieder im Verband des
Deutschen Maschinen- und Anlagebau (VDMA) gehandelt und mit den
Betriebsräten unter Umgehung der Tarifverträge
Vereinbarungen getroffen. Angesichts dieser Grauzonen-Manöver
ist die Legalisierung der Bündnisse für Arbeit eines der
Hauptanliegen des VDMA. Der Dachverband hat auf politischer Ebene
für Akzeptanz geworben. Doch die Koalitionsparteien CDU/CSU
und SPD haben dieses Thema vorerst ad acta gelegt.
"Wir setzen die Bündnisse in der Praxis
um und bleiben Vorreiter", sagte VDMA-Präsident Dieter
Brucklacher jüngst trotzig in Berlin. "Wir warten nicht auf
die Politik", legte er nach. Adressiert ist das an die neue
schwarz-rote Bundesregierung, weniger die Gewerkschaft, die
allerdings wegen der drohenden Verluste ihrer
Einflussmöglichkeiten heftig dagegen vorgeht und den verbalen
Vorstoß von Mahr-Chef Keitel scharf kritisierte.
Die Stimmung ist in Deutschlands wichtigster
Exportbranche angeschlagen. Dabei ist sie so erfolgreich wie selten
zuvor - erfolgreicher als die Automobilindustrie, die international
gerne mit BMW, Audi, Porsche oder Mercedes brilliert. Dabei ist es
der Maschinenbau mit einem Exportanteil von 72 Prozent, der das
Aushängeschild "Made in Germany" auf den Auslandsmärkten
am höchsten hält.
Grund zum Klagen hat die Branche nicht. Die
Produktion soll um vier Prozent auf 144 Milliarden Euro auf einen
neuen Rekord steigen. Im nächsten Jahr erwartet der Verband
noch einmal ein Wachstum von zwei Prozent. Damit wird er im dritten
Jahr in Folge Zuwächse verzeichnen. Davon träumen andere
Industriebranchen wie der Automobilbau. Die Auftragsbücher
sind prall gefüllt. Die Produktionskapazitäten der
Unternehmen sind mit durchschnittlich 88 Prozent optimal
ausgelastet.
Den Boom jedoch verdankt die Branche nicht
dem Inlandsgeschäft, das mangels Perspektiven partout nicht
anspringen will und im Investitionsstau feststeckt. Die
Aufträge für die Produktion in Deutschland kommen aus dem
Ausland - vor allem aus den Vereinigten Staaten als
Hauptexportmarkt, gefolgt von Frankreich, China, Italien und
Großbritannien.
Nach Angaben des VDMA sind deutsche Anbieter
in 21 der insgesamt 31 Fachzweige des Verbandes Marktführer,
insbesondere in der Antriebstechnik, der Druck- und Papiertechnik,
der Fördertechnik, den Nahrungsmittel- und
Verpack-ungsmaschinen sowie der Landtechnik. Im Jahr 2004 war
Deutschland drittgrößter Maschinenbauproduzent der Welt
mit einem Anteil von 15 Prozent, hinter den Vereinigten Staaten (23
Prozent) und Japan (18 Prozent) - mit dem sich die Deutschen in
diesem Jahr um Platz zwei streiten. Auf Rang vier folgt mit
großem, aber wegen des rasanten Wachstums nicht beruhigendem
Abstand China (sieben Prozent).
Die Unternehmen brillieren auf den
Auslandsmärkten nicht mit Massenware, sondern zumeist mit
Hochtechnologie-Produkten. Doch der Erfolg geht am deutschen
Arbeitsmarkt vorbei. Neue Arbeitsplätze werden kaum
geschaffen. Die Auftragsspitzen werden durch Zeit- und Leiharbeiter
aufgefangen, nicht durch Festangestellte. Statt der
ursprünglich für dieses Jahr geplanten 7.000
Neueinstellungen beschäftigte der Maschinenbau zur Jahresmitte
mit knapp 860.000 Mitarbeiter sogar im Saldo 7.000 Mitarbeiter
weniger als noch vor einem Jahr. Zwar ist die Branche nach wie vor
größter industrieller Arbeitgeber in Deutschland vor der
Elektrotechnik (807.000 Beschäftigte) und dem Automobilbau
(773.000 Beschäftigte). Doch in der Beschäftigung
schrumpft sie. Seit 2001 gingen mehr als 40.000 Arbeitsplätze
verloren.
So paradox es klingt, gerade die starke
Präsenz auf den internationalen Märkten treibt so manche
Sorgenfalte auf die Stirn der Maschinenbauer. Das Geschäft in
Deutschland, das früher oftmals Schwächen auf
Auslandsmärkten kompensierte, fällt seit Jahren weg. Die
Abhängigkeit vom Export steigt unaufhaltsam. Der erbitterte
Wettbewerb auf den Weltmärkten schlägt so mit aller
Härte durch. Der starke Euro hat die Konkurrenzsituation
für die Deutschen erschwert. Die Preise für Rohstoffe wie
Öl sowie für Rohmaterialien wie Stahl sind explodiert.
Anbieter aus den aufstrebenden Märkten, die angesichts
niedriger Löhne Kostenvorteile haben, dringen vor. Der
Marktführer Deutschland kämpft zunehmend gegen die
unaufhaltsame Verdrängung.
China ist der größte
Herausforderer. Angebote von dort sind in der Regel weder in
Qualität noch in Technologie mit denen westlicher Angebote zu
vergleichen - noch nicht. Die Chinesen bieten meist Standard- und
Massenprodukte an, da sie nicht über die Technologien
verfügen, die den Deutschen zu ihrer Marktstellung verhelfen.
Doch auch die technologischen Abstände werden in den kommenden
Jahren geringer. Zum einen, weil die Chinesen unaufhaltsam
Fortschritte in der Forschung und Entwicklung machen; zum anderen,
weil sie Technologien aus westlichen Industrien kopieren. Deutsche
Maschinenbauer sagen es drastischer: klauen.
Durchschnittlich verdienen die Firmen des
Maschinenbaus nach Steuern nicht gerade üppige 2,5 Prozent
ihres Umsatzes. Die Struktur der Branche lässt internationale
Ausweichmöglichkeiten, wie sie deutsche Großkonzerne mit
ihrer weltweiten Präsenz verfolgen, nicht zu. Der Anteil der
Personalkosten ist im Maschinenbau mit 36 Prozent an den
Gesamtkosten besonders hoch. In der Automobilindustrie beträgt
er bestenfalls 15 Prozent. Dementsprechend stark schlagen die im
internationalen Vergleich hohen Arbeitskosten in Deutschland durch.
Eine Produktionsstunde kostet den Messgeräte-Hersteller Mahr
hierzulande 32 Euro, in den USA 22 Euro, in Tschechien aber nur 15
Euro und in China gar zehn Euro.
Vor diesem Hintergrund sind die Forderungen
nach der Liberalisierung der Tarifverträge zu sehen, die die
Gewerkschaften auf den Plan rufen. Der weltgrößte
Getränke- und Verpackungsmaschinenhersteller Krones aus
Neutraubling sucht einen Mittelweg, indem er übertarifliche
Leistungen zur Disposition stellt. "Wir haben eine variable
Vergütung von 20 Prozent eingeführt, ohne einen
Klassenkampf mit den Gewerkschaften losgetreten zu haben", sagt
Krones-Finanzchef Hans-Jürgen Thaus. "Wir brauchen mehr
Freiheit und Individualität vor Ort", fordert auch Thaus,
stellt aber Tarifverträge grundsätzlich nicht in Frage.
"Sie müssen die Rahmenbedingungen festlegen."
Starre Strukturen jedenfalls können
seltsame Blüten treiben. Das schwäbische Unternehmen
Kelch, eine traditionsreiche Werkzeugmaschinenfabrik mit einst 290
Beschäftigten, suchte wegen ihrer Probleme ein betriebliches
Bündnis. Die Mitarbeiter willigten in einen Abbau von 25
Arbeitsplätzen und einer Verlängerung der Arbeitszeit auf
40 Stunden ein - nicht so die IG Metall. Kelch ging in die
Insolvenz. Der Insolvenzverwalter verkaufte Kelch an ein
chinesisches Staatsunternehmen, das günstig einen guten
Markennamen, Zugang zur Technologie und zu einem neuen Markt
erhielt. Von den verbliebenen 209 Arbeitsplätzen wurden noch
einmal 31 Stellen abgebaut. Und die 40-Stunden-Woche wurde
eingeführt. Es sind solche schizophrenen Vorfälle, die
Thomas Keidel zu seinem unverhohlenen Aufruf
veranlassen.
Rüdiger Köhn ist Redakteur der "Frankfurter Allgemeinen
Zeitung".
Zurück zur Übersicht
|