Interview
Die Gralshüter der Freihandelstheorie
dominieren
Interview mit dem Bremer Globalisierungskritiker
Rudolf Hickel
Die Globalisierung muss sozial und
ökologisch gestaltet werden, fordert Professor Rudolf Hickel,
der zu den profiliertesten Kritikern einer neoliberalen
Wirtschaftspolitik in den westlichen Industriestaaten gehört.
Ähnlich wie andere Globalisierungsexperten ist Hickel aber
auch davon überzeugt, dass Deutschland auf Dauer nur bestehen
kann, wenn es die besseren und intelligenteren Produkte anbietet.
Hartz IV, kritisiert Hickel, sei aber das genaue Gegenteil einer
Qualifizierungsoffensive.
Das Parlament: In den
französischen Vorstädten brennen Autos, Jugendliche
randalieren und zünden Schulen an. Was hat das mit
Globalisierung zu tun?
Rudolf Hickel: Ich denke, sehr viel.
Aus den ärmsten Ländern der Welt wandern viele Menschen
in die Metropolen mit der Hoffnung, am Wohlstand teilzuhaben.
Daraus ergeben sich Spannungsverhältnisse. Ich bin
erschüttert, dass die französische Regierung glaubt, dass
man die wegknüppeln kann. Es handelt sich um eine
tiefgreifende Spaltung der Gesellschaft, auf die übrigens der
französische Soziologe Pierre Bourdieu sehr früh
hingewiesen hat. Wir haben zwar auch im qualifizierten Bereich
Arbeitsmarktprobleme, aber die Langzeitarbeitslosigkeit betrifft
derzeit noch vor allem die nicht oder wenig Qualifizierten. Hier
wirkt sich die real stattfindende Globalisierung besonders
belastend aus.
Das Parlament: Welche Folgen hat die
Globalisierung ganz konkret?
Rudolf Hickel: Es gibt
grundsätzlich zwei völlig neue Entwicklungen. Da ist zum
einen die Internationalisierung der Finanzmärkte, zum anderen
ist es die ohne Rücksicht auf Grenzen mögliche
Entscheidung über den Produktionsstandort. Sie wird heute
quasi über nationalstaatliche Grenzen hinaus getroffen - eine
Folge der grenzüberschreitenden Liberalisierung aller
Märkte durch Abbau des nationalen Protektionismus. Da
heißt für die Beschäftigten, dass Unternehmen
ernsthaft mit Standortverlagerungen drohen können, um im
Inland Lohnkürzungen durchzusetzen. Für die unzureichend
Ausgebildeten, die jetzt etwa in Paris aufbegehren, bedeutet dies
das Wegbrechen von Arbeitsplätzen, die ein geringes
Qualifikationsniveau erfordern. Solche Produktion findet jetzt in
Fernost oder in Osteuropa statt.
Das Parlament: Ist der Freihandel also
das Problem?
Rudolf Hickel: Dass vom Freihandel
alle profitieren, ist seit David Ricardo in der Ökonomie ein
Dogma. Michael Gorbatschow hat das später so zusammengefasst:
Durch den Zusammenbruch des realen Sozialismus hat sich die
Ideologie des totalen Freihandels als allein seligmachende Lehre
durchgesetzt. Doch davon profitieren vor allem die international
ausgerichteten Konzerne. Sie verfügen über die
Möglichkeit, die Chancen des Freihandels zu nutzen.
Erleichtert wird ihnen das durch die Internetrevolution,
schließlich liegen die Kommunikationskosten zwischen einem
Unternehmen in Deutschland gegenüber seinem Standort in China
praktisch bei Null. Der große amerikanische Ökonom Paul
A. Samuelson, Träger des Wirtschaftsnobelpreises, hat jetzt
allerdings in den USA eine spannende Debatte über die Frage in
Gang gesetzt, ob der Freihandel tatsächlich am Ende für
alle eine Optimierung des Wohlstands bringt.
Das Parlament: Und zu welcher Antwort
kommt er?
Rudolf Hickel: Er sagt: Das Theorem
des Freihandels als wohlstandsstiftend für alle ist falsch.
Für die USA hat er ausgerechnet, dass die Globalisierung
für die USA netto zu Wohlstandsverlusten führt. Durch den
Lohndruck verlieren die Beschäftigten bis zu 15 Prozent an
Lohn. Zudem gehen Arbeitsplätze verloren. Das ökonomische
Gegenargument dafür war immer: Die Nominallöhne gehen
zwar zurück, aber wir gewinnen auch an realer Kaufkraft, weil
preiswerter produziert wird, etwa in China. Samuelson macht jetzt
am Beispiel WalMart klar: Der Handelskonzern kauft in China billig
ein, verkauft aber nicht in gleichem Maße billiger, die
Preissenkung kompensiert also nicht die Lohnverluste. Für den
Konsumenten bedeutet das, er ist nicht in gleichem Ausmaß
Gewinner wie er als Arbeitnehmer Verlierer ist. So eine strittige
Debatte würde ich mir auch in Deutschland wünschen. Hier
dominieren die Gralshüter der Freihandelstheorie. Ich glaube,
dabei würde herauskommen, dass die Globalisierung - genauso
wie die nationale Marktwirtschaft - gestaltet werden müsste.
Wenn wir sie nicht sozial und ökologisch gestalten, wird sie
zu einer Bedrohung. Neoliberalen passen solche Erkenntnisse
über die tiefen Fehler einer sich selbst überlassenen
Globalisierung natürlich nicht in ihr Konzept.
Das Parlament: Was wäre die
richtige Antwort der Politik auf die Folgen der
Globalisierung?
Rudolf Hickel: Wir müssen
qualifizieren. Deutschland wird auf Dauer nur bestehen, wenn wir
die besseren, die intelligenteren Produkte anbieten. Hartz IV ist
das genaue Gegenteil einer Qualifizierungsoffensive. Hartz IV
verbannt arbeitslos gewordene Hochqualifizierte am Ende in die
Einbahnstraße des Niedriglohnsektors.
Das Parlament: Sie erwähnten
zuvor aber noch ein anderes Problem: die Internationalisierung der
Finanzmärkte. Was ist daran so gefährlich?
Rudolf Hickel: Nun, die Globalisierung
hat in eine Phase des Spekulationskapitalismus geführt.
Weltweit vagabundierendes Kapital sucht hohe Renditen irgendwo in
der Welt. Das ist für die Realwirtschaft sehr riskant. Die
Steigerung der kurzfristigen Dividenden steht im Widerspruch zu
einer mittelfristigen Sicherung des Unternehmens. Die auch durch
die Senkung der Kommunikationskosten auf nahezu Null entstandene
Freizügigkeit des Spekulationskapitals erhöht das Risiko
einer Weltwirtschaftskrise.
Das Parlament: Sprechen wir hier von
Münteferings "Heuschrecken"?
Rudolf Hickel: Franz Müntefering
nennt die Private-Equity-Fonds "Heuschrecken", ich nenne sie lieber
"Finanzbullen", denn die Fonds verfügen über
Milliardenbeträge. Es gibt zwar auch vernünftige
Aktivitäten, aber meistens werden unterbewertete Unternehmen
aufgekauft, um diese zu filettieren und dann lukrative Teile zu
veräußern. Über Nacht werden
Wertschöpfungspotenziale und Arbeitsplätze
zerstört.
Das Parlament: Welche Gegenstrategien
schlagen Sie vor?
Rudolf Hickel: Erstmal muss man
hinsichtlich dieser Fonds Transparenz schaffen und Informationen
vermitteln. Zum zweiten muss man den Hedgefonds, den
Private-Equity-Fonds, Eigenkapitalquoten vorschreiben, damit die
Kreditfinanzierung ihrer Übernahmen erschwert wird. Wir
müssen das vor allem auf europäischer Ebene gestalten,
zum Beispiel durch eine EU-Richtlinie zur Kontrolle der Private
Equity Fonds. Ein Problem dabei ist, dass ja inzwischen auch die EU
konzeptionell vom Neoliberalismus heimgesucht wurde. Gleichwohl ist
die europäische Integration eine richtige Antwort auf die
Globalisierung. Wir müssen weiterhin daran arbeiten, dass die
EU ordnungs- und wirtschaftspolitisch gestaltet wird. So muss sie
gegen die massive Steuersenkungskonkurrenz aus Ländern
Osteuropas, die auch noch EU-Zuschüsse im Rahmen der
Regionalpolitik erhalten, mit Mindeststeuersätzen antworten.
Der Präsident der EU-Kommission, Barroso, hat zudem einen
Globalisierungsfonds zur Abfederung der schlimmsten
Globalisierungsfolgen vorgeschlagen. Es gibt aber noch einen Punkt:
Wir brauchen weltweite Mindeststandards. Auf die globalen
Strategien des Kapitals wird man weltweit - auch mit Hilfe der
internationalen Institutionen - reagieren müssen.
Das Parlament: Wie sollte das
aussehen?
Rudolf Hickel: Wir brauchen weltweite
Regeln zur Beschränkung der Marktbeherrschung durch Monopole.
Darüber hinaus benötigen wir soziale Mindeststandards. Es
darf nicht passieren wie jetzt in China, dass eine 30-jährige
Frau tot zusammenbricht, weil sie - übrigens bei der
Produktion von Weihnachtsschmuck für Deutschland - 24 Stunden
ohne Pause gearbeitet hat. Und wie die sich häufenden
Naturkatastrophen in Folge der globalen Klimawärmung durch
Treibhausgase zeigen, geht es auch ohne Umweltstandards nicht. Hier
ist bei aller Unzulänglichkeit die Klimaschutzpolitik von Rio
und Kyoto ein erster Schritt, auch wenn die USA als eine der
größten Dreckschleudern der Welt nicht
mitmachen.
Das Parlament: Wie bewerten Sie den
Gedanken einer Devisentransaktionssteuer, der Tobin-Steuer, zur
Steuerung der Globalisierung?
Rudolf Hickel: Die Tobin-Steuer ist
vom Ansatz her richtig. Sie würde die riesigen Umsätze
für Devisenspekulationen, die ja 97 Prozent des gesamten
Handels ausmachen, steuerlich belasten. Deren Aufkommen sollte in
die Entwicklung der ärmsten Länder der Welt investiert
werden. Es wäre meiner Meinung nach machbar, diese Steuer nur
auf spekulative Transfers zu erheben und die Transfers, die
für reale Handelsgeschäfte benötigt werden, davon
auszunehmen. Tobin hat das ja ursprünglich gut formuliert, er
sagt nämlich, damit würde man Sand in das Getriebe der
Spekulation werfen. Aber da gibt es noch ein anderes Problem: die
über den Globus organisierte Steuerkriminalität. Gerade
auch die gefährlichen Private-Equity-Fonds setzen bei ihren
Geschäften auf Steueroasen mit zum Teil kriminellen Methoden.
Die werden über Firmen etwa auf den Cayman-Inseln abgewickelt,
die es real überhaupt nicht gibt.
Das Parlament: Bei all diesen
Schwierigkeiten: Meinen Sie, die "Globalisierungsinstitutionen"
Weltbank oder WTO sind überhaupt in der Lage, Lösungen zu
finden, etwa die von Ihnen genannten Standards
durchzusetzen?
Rudolf Hickel: Die WTO hängt
derzeit noch stark am Neoliberalismus, an der Ideologie der
Kapitalfreiheit. Für die von der US-Administration stark
beeinflussten Globalisierungsinstitutionen, wie etwa auch dem
Weltwährungsfonds, ist die "Entfesselung der Marktkräfte"
das Ziel. Mit diesem Laisser-faire wächst jedoch die Spaltung
der Welt zwischen Arm und Reich. Allerdings hatten wir in der
Geschichte dieser Institutionen immer auch gegenläufige
Strategien. Wenn man, wie jetzt Samuelson, zu dem Ergebnis kommt,
dass dieser ungehemmte Kapitaltransfer zu Wohlstandsverlusten
führt, wird man eine andere Politik verfolgen.
Das Gespräch führte Friedhelm Wolski-Prenger. Er ist
Lehrer und Dozent für politische Bildung in Meppen.
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