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Annette Rollmann
Editorial
Die Welt ist eine andere geworden. In der Boomtown Shanghai
wurden in 15 Jahren so viele Hochhäuser gebaut wie in
Manhattan in einem ganzen Jahrhundert. Auf Fotos betrachten wir
argentinische Sojalager im XXL-Format oder hören Geschichten
über Briten, die - unzufrieden mit dem National-Health-Service
- nach Indien zur Bypass-OP fahren. In all diesen Ländern
findet Wachstum im Zeitraffertempo statt: Ökonomen sprechen
gar von einer Epochenwende.
In Westeuropa und den USA wächst die Sorge, die politische
und wirtschaftliche Dominanz zu verlieren. Die Zahlen sprechen eine
deutliche Sprache: Das Reich der Mitte wird Deutschland
nächstes Jahr vom dritten Platz in der Welt als Autobauer
verdrängen, Indien soll bereits in 20 Jahren das deutsche
Bruttosozialprodukt überflügeln. Eine schier unbegrenzte
Zahl an jungen, tatkräftigen und gut ausgebildeten Menschen
drängt auf die Märkte. Schon jetzt werden in China mehr
junge Leute zu Ingenieuren ausgebildet als in den USA.
Zudem sind die Löhne in vielen Ländern der Welt viel
niedriger als in Deutschland. So können Asiaten und
Osteuropäer mit preiswerteren Produkten konkurrieren, deren
Qualität immer hochwertiger wird. Einfache Rezepte gegen diese
neue Art von Wettbewerb gibt es nicht. Denn auch wenn die Experten
die Senkung der Lohnnebenkosten fordern, ist klar, dass eine
radikale Minderung der Reallöhne auf osteuropäisches oder
gar chinesisches Niveau eine Verarmung der westlichen
Bevölkerung nach sich ziehen würde.
Lösungsansätze wie der jüngste Vorschlag von
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, einen
Globalisierungsfonds einzurichten, der die sozialen Folgen der
Lohnkonkurrenz lindern soll, stießen allerdings bislang bei
der Politik auf Skepsis. Die Kassen der Mitgliedsstaaten sind
leer.
Angst macht sich breit, auch wenn die Globalisierung durchaus
auch angenehme Seiten hat: Sei es der preiswerte, trendige
Wintermantel aus Bangladesh oder das Flat-TV aus Korea - all das
kauft man heutzutage fast im Vorübergehen. Doch auf der
anderen Seite werden Arbeitsplätze in fertigungsintensiven
Branchen ins Ausland verlagert. Die Arbeitslosigkeit stagniert auf
hohem Niveau. Erstmalig ist sie nicht mehr abstrakt, sondern kann
jeden treffen.
Was für Europäer und Amerikaner ein Risiko ist, ist
für Afrika ein Parcours mit fast unüberwindbaren
Hindernissen. Der schwarze Kontinent, gebeutelt von Aids und
korrupten Systemen, ist in wirtschaftlicher Hinsicht allenfalls ein
Zaungast, der am ausgestreckten Arm elendig verhungert. Die reichen
Länder hindern die Afrikaner mit hohen Importzöllen an
einer nennenswerten Marktteilnahme. Auf Südfrüchte
beispielsweise werden in der EU rund neun Prozent Zoll erhoben, auf
Ananas in Dosen sogar 22,5 Prozent. Damit wird der Aufbau einer
einheimischen Industrie von der Ersten Welt untergraben.
Eines ist sicher: Wir können die Globalisierung nicht
abschaffen, wir können ihr nicht ausweichen. Wir müssen
mitmachen. Aber wie? Eine Antwort für Deutschland ist: Besser
sein und werden als die Anderen, mehr Geld in
zukunftsträchtige und anspruchsvolle Bildung und Forschung
investieren; Wege finden, die Menschen zur Eigeninitiative zu
ermutigen und sie dennoch nicht allein zu lassen. Den gewohnten
Wohlstand einer breiten Mittelschicht werden wir in Zukunft nur
halten, wenn wir dem internationalen Handel, der wachsenden Armut
und der Klimaveränderung mit intelligenten Konzepten begegnen
und es schaffen, die armen Länder daran teilhaben zu lassen.
Dann könnte sich das demokratische Bewusstsein auch in
autoritären, von Korruption und Fanatismus gezeichneten
Regionen einfacher verankern lassen. In diesem Sinn würde
Globalisierung auf lange Sicht die Welt sogar stabilisieren.
Annette Rollmann ist freie Journalistin und lebt in Berlin.
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