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Andreas Hoffmann
Der Januskopf der Globalisierung
Wie die weltweite Vernetzung unser Leben
verändert
Fangen wir mit Socken an. Herrensocken, schwarze
Baumwolle, fünf Paar zu fünf Euro. Damit beginnt
eigentlich die ganze Geschichte über die Globalisierung. Man
steht vor dem Wühltisch eines Kaufhauses und spielt Zeitreise
im Kopf. Wie war das vor 20 Jahren? Jeder setzte sich hin, holte
Nadel und Faden hervor und versuchte mit wenig Geschick, die
Löcher in den alten Socken zu flicken. Heute stopft kaum noch
jemand seine Strümpfe. Neue zu kaufen, ist sehr billig
geworden.
Nicht nur Socken, übrigens. Auch
DVD-Recorder, Schnitzel, Plastikspielzeug. Vieles ist erstaunlich
preiswert, und genau damit beginnt das Problem. Die Deutschen
selbst sind nämlich teuer. Krankenversicherung,
Rentenanspruch, sechs Wochen tariflicher Urlaub - die Stunde eines
Industriearbeitnehmers kostet 25,50 Euro. Der Tscheche hingegen
nimmt 3,03 Euro und der Indonesier 33 Cent. Weil keiner viel Geld
ausgeben will und Geiz geil ist, zerlegen Tschechen die Schweine zu
Schnitzeln, schrauben Chinesen die DVD-Recorder zusammen. Und die
Deutschen? Sie rennen zu Discountern und bangen um ihre Jobs, weil
Unternehmer in Billiglohnländer ziehen. Willkommen in der
Globalisierung.
Ein seltsames Gefühl macht sich breit,
wenn man am Wühltisch über die vergangenen zwei
Jahrzehnte grübelt. Nicht nur Jobs und Preise haben sich
geändert, auch der Lebensstil. Man kann nach Barcelona fliegen
und dort mit den gleichen Münzen bezahlen wie in
Berlin-Neukölln. Manchmal kostet der Flug nicht mehr als eine
Taxifahrt. Das Telefon ist zum unentbehrlichen Begleiter geworden
und kein sperriger Kasten mehr, der einen beim Plaudern daheim auf
die Wohnzimmercouch fesselt. Heute spielt das Handy Musik und Filme
ab, sendet SMS, ist Fotoapparat, und wer es nicht dabei hat,
vermisst etwas.
Wir hören Buena Vista Social Club auf
Rügen und in Rom, sehen in allen Hotels CNN, trinken
grünen Tee und sorgen uns, wenn in China die Vogelgrippe
ausbricht, weil auch Viren heutzutage global reisen. Man bleibt zu
Hause und zieht doch um die Welt, dank des Internets. Musik und
Bahntickets kann man dort kaufen und Menschen treffen, denen wir
früher nie begegnet wären.
Die Welt ist zusammengerückt, dank
Technik, gesunkener Transportkosten, geöffneter Grenzen und
Unternehmern, die im Ausland investieren. Eine neue Ära
scheint sich anzukündigen.
Doch das Gefühl trügt.
Globalisierung ist ein Déja vu, sie begleitet die Menschen
seit langem. Die alten Griechen waren die ersten, auch wenn sie
sich den Weg mit dem Schwert bahnten. Als Alexander der Große
begann, die damals bekannte Welt zu erobern, verbreitete er auch
den griechischen Lebensstil. Den Soldaten folgte als Nachhut
Architektur, Philosophie, Kultur und Handel. Dann traten die
Römer auf, brachten Kriege, aber auch Straßen und
Abwässerkanäle ins Land der Germanen. Rom rückte
näher.
Die Renaissance ließ die Welt erneut ein
Stück schrumpfen. Neue Handelswege öffneten sich von
Italien bis in den Orient, machten die Medici und Sforza reich. Das
Bank- und Textilgewerbe blühte, Geld strömte nach
Italien, und die Kaufleute gaben es aus für die Kultur. Die
Schriften der griechischen Philosophen wurden wieder entdeckt,
Leonardo da Vinci und Raffael stiegen zu Helden der Malerei auf.
Was vorher Handwerk war, wurde Kunst. Später bauten die Briten
ihr Kolonialreich auf, und die USA ließen die Welt auf den
Spuren ihres American Way of Life wandeln, aber stets war das
Muster gleich: Transport- und Kommunikationswege verkürzten
sich, Lebensstile vermischten sich, auf Handel folgte
Wandel.
Immer tauchten auch Fußlahme der
Globalisierung auf. Die Völker, die die Griechen und
Römer unterdrückten, erfuhren neben der Kultur ihrer
Eroberer auch deren Knute. Die Blüte der Renaissance erfreute
vor allem obere Stände, das Volk musste Hungersnöte,
Seuchen und Kriege ertragen. Zum britischen Empire zählte auch
der Sklavenhandel und die ausgebeuteten Kolonien, zum
amerikanischen Zeitalter die Selbstherrlichkeit des Weltpolizisten
aus Washington.
Das ist das Wesen der Globalisierung, ihr
Doppelgesicht, Yin und Yang, wie es die chinesische Philosophie
nennt. Yang kann für vorwärts, Yin für
rückwärts stehen, für hell und dunkel, doch erst
beide zusammen schaffen eine Einheit. "Schau dir diesen Stock an",
beginnt ein Spruch des Tai-Chi. "Das eine Ende ist Yin, das andere
ist Yang, welches ist wichtiger?" Die Antwort: "Der Stock selbst
ist wichtig." Das Antlitz der Globalisierung war also immer da, mal
offenbarten sich hässliche, mal schöne
Züge.
Der Dualismus der Globalisierung bündelt
sich zuweilen in einzelnen Menschen. Der Musiker Manu Chao, der in
seinen Liedern das Los illegaler Einwanderer besingt, ist eine
Ikone der Globalisierungsgegner. Doch seinen Erfolg verdankt er der
Globalisierung, weil er auf langen Reisen seinen Stil entwickelte,
Liveklänge aus südamerikanischen Bars und Radiostationen
aufnahm und mit Klängen von Rock, Chanson, Reggae und
algerischem Rai vermischte.
Für die Globalisierung gilt ein
Standardspruch der Ökonomen: "There are no free lunches."
Für alles muss der Mensch zahlen. Wir können leichter
nach Osteuropa und Asien reisen, aber wir haben auch neue
Konkurrenten im Kampf um internationale Märkte bekommen. Die
Kommunikation ist einfacher, doch das Leben unübersichtlicher
geworden. Es gibt mehr Freiraum im Beruf - und mehr Unsicherheit.
Wer nicht flexibel und gut ausgebildet ist, findet in der neuen
Arbeitswelt kaum einen Platz. Das soziale Netz aber kann die
Nachzügler kaum aufnehmen, es dehnt sich immer stärker
unter der Last von Arbeitslosen, Kranken und Alten. Es geht um
Gewinner und Verlierer. Die Globalisierung produziert sie
überall.
In Indien und China leben viele Gewinner.
Millionen Menschen können sich dort größere
Wohnungen leisten, sie hungern seltener, weil sie bessere Jobs
haben. Für sie heißt Globalisierung: Du hast eine Chance,
auch wenn Du nicht in den USA oder Europa geboren bist. Die
Verlierer der Globalisierung leben bevorzugt in Schwarzafrika, denn
um diese Region machen Konzerne und Kapital einen Bogen. Die
Menschen kämpfen gegen Krieg, Korruption und Krankheiten,
viele verlieren diesen Kampf. Sie haben keine Chance, die sie
nutzen können.
Aber müssen wir das Doppelgesicht der
Globalisierung ertragen, die hässlichen Züge einfach
hinnehmen? Die Regierungen sind nicht so machtlos, wie sie manchmal
behaupten. Einige Gefahren lassen sich abmildern, wenn Politiker
und Institutionen pragmatischer vorgehen. Die vorschnelle
Öffnung der Kapital- und Finanzmärkte, auf die der
Internationale Währungsfonds gedrängt hatte, schadete
einzelnen Ländern sehr und verschärfte Krisen. Der
US-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz beklagt: "Die bislang
betriebene Globalisierung versucht, die Diktatur nationaler Eliten
durch die Diktatur der Finanzmärkte zu ersetzen."
Von den Früchten der Globalisierung
werden die Menschen in den Entwicklungsländern
gleichmäßiger profitieren müssen, sonst steigt die
Unsicherheit, die letztlich auch uns bedroht. Die
Industrieländer werden Märkte öffnen müssen,
insbesondere die Deutschen. Wir als Exportweltmeister leben davon,
dass Ausländer unsere Waren kaufen. Auch Hilfen sind
nötig, weniger Geld, mehr Transfer von Know-how.
Auch in Industrieländern wie Deutschland
leben Verlierer der Globalisierung. Die Pisa-Studie zeigte, dass
viel weniger Arbeiterkinder das Abitur schaffen, als Zöglinge
aus Akademikerhaushalten. Solche Unterschiede können wir uns
nicht leisten. Unser wichtigster Rohstoff in globalisierten Zeiten
ist Wissen. Diesen Schatz müssen die Politiker besser
fördern.
Vielleicht sind auch einige Ruhezonen
nötig, um den Prozess zu entschleunigen. Soll etwa Osteuropa
dem Westen näher rücken, dürfen nicht alle hiesigen
Errungenschaften in der Sozialpolitik oder dem Umweltschutz
wegfallen. Andernfalls sehen die Menschen in dieser Globalisierung
nur Nachteile und sperren sich dagegen. Die Angst in den
Köpfen ist da und sie wächst. Debatten über den
Abbau des Kündigungsschutzes sind da wenig hilfreich, zumal
der wirtschaftliche Vorteil fragwürdig ist. In dieser rasenden
Welt sind Wegmarken nötig. Manche können die Politiker
stecken, wenn sie Schützenswertes erhalten. Der Markt allein
ist nicht gerecht, die Globalisierung auch nicht. Andere dieser
Wegmarken müssen wir uns selber suchen, uns fragen, was im
Leben wichtig ist. Unser Dasein besteht aus mehr, als billig zu
reisen, einen DVD-Recorder zu kaufen. Der Mensch lebt
schließlich nicht allein wegen der Socken.
Andreas Hoffmann ist Korrespondent in der Parlamentsredaktion der
"Süddeutschen Zeitung".
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