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Das Parlament
Nr. 48 / 28.11.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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JOsef-Thomas Göller

In der Zwickmühle der internationalen Diplomatie

UN-Untersuchung setzt Damaskus im In- und Ausland unter Druck
Syrien hat keine Freunde. Zumindest nicht in der arabischen Welt. Deshalb ist es derzeit möglich, den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad unter Druck zu setzen. Von niemand anderen als den Vereinten Nationen. Er soll mit der UNO zusammenarbeiten. Klingt bekannt: Einen ähnlichen Zug auf dem Schachbrett der Nahostpolitik haben wir schon einmal erlebt. Im Winter 2002/2003. Damals wurde der Irak in die Enge getrieben - es ging um angebliche Massenvernichtungswaffen - und der Diktator Saddam Hussein begriff zu spät, dass er ziemlich alleine dastand.

Eigentlich hätte der Nachbar Syrien daraus lernen können. Aber das Attentat auf den libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri am 14. Februar dieses Jahres, das nach jüngster UN-Untersuchung die Handschrift Syriens trägt, deutet darauf hin, dass man in Damaskus die Zeichen der Zeit nicht beziehungsweise zu spät erkannt hat. Inzwischen sind nicht nur die USA gegen Syrien aufgebracht, sondern vor allem der Libanon; zahlreiche arabische Staaten zeigen sich besorgt.

Selbst im Land formiert sich die Opposition gegen den verhassten Assad-Clan. Stürzt der Sohn des langjährigen Diktators Hafis al-Assad bereits nach nur fünf Jahren im Amt? Der Exil-Syrer Akram Shalghin, der als freier Journalist in London und in Berlin lebt, vertritt die Auffassung, Assad herrsche über Syrien im "stalinistischen Stil", als gebe es noch eine Ost-West-Konfrontation und Russland stünde zumindest diplomatisch auf Seiten der Araber.

Aber die am 31. Oktober vom UN-Sicherheitsrat verabschiedete Resolution 1636 spricht eine andere Sprache. Die 15 Mitglieder des Sicherheitsrates, darunter das arabische Algerien, forderten Syrien einstimmig zur "vollständigen Zusammenarbeit" mit der UN-Ermittlungskommission zum Hariri-Mord auf. Zwar werden keine Sanktionen angedroht, doch die UNO behält sich laut Resolution "weitere Maßnahmen" vor, sollte Damaskus die UN-Ermittlungen "weiter behindern".

Für Damaskus kam dieser Druck wohl völlig überraschend. Während Syriens UN-Vertreter händeringend die Unschuld seines Landes beteuert, spricht der deutsche Staatsanwalt und UN-Ermittler im Hariri-Mord, Detlef Mehlis, in seinem ersten Bericht vom 21. Ok-tober, von Erkenntnissen, die darauf hindeuten, dass Syrien den Mord entweder beauftragt oder mit durchgeführt hat. Außerdem behindere Syrien seine Ermittlungen, beklagt Mehlis. Deshalb fordert die Resolution 1636 Damaskus dazu auf, alle sechs benannten Verdächtigen festzunehmen und den UN-Ermittlern "vollen Zugang" zu ihnen zu ermöglichen. Das Problem ist nur: Unter den Verdächtigen, die verhaftet werden sollen, befinden sich ein Bruder sowie ein Schwager von Assad. Der Mord an dem Libanesen Hariri wird plötzlich zum Familienproblem des Assad-Clans. Als Deadline für Syriens Zusammenarbeit gilt der 15. Dezember. Dann soll UN-Ermittler Mehlis einen zweiten Bericht über seine Untersuchungen vorlegen.

Die Frage bleibt: Was, wenn Mehlis nichts zum Vorlegen hat? Inzwischen pokert Syrien auf Zeit. Statt Zusammenarbeit mit Mehlis, schlägt es in New York bei der UNO "alternative Wege" vor. Doch anders als im Fall Irak, pocht hier ein arabisches Land, der Libanon, auf rückhaltlose Auflklärung des politischen Mordes. Und natürlich die USA aus sehr eigenen Gründen sowie Großbritannien und Frankreich, die sich in diesem Falle anders als beim Irak völlig einig sind. Auch diese neue Dimension hat Damaskus offenbar völlig unterschätzt. Es ist nämlich dem diplomatischen Geschick Frankreichs zu verdanken, dass Syrien nach dem Attentat an Hariri endlich seine 29-jährige Besatzung des Libanons aufgab und seine Truppen abzog. Welche konkreten Interessen Frankreich im Syrien-Konflikt verfolgt, bleibt noch unklar. Möglicherweise will die einstige Kolonialmacht die sich abzeichnenden fundamentalen Umwälzungen im Nahen Osten nicht alleine der anglo-amerikanischen Achse London-Washington überlassen.

Der eigentliche Ärger der Amerikaner auf das Regime in Damaskus wird von Washington nicht verborgen: Die Amerikaner beklagen sich darüber, dass Aufständische aus aller Herren Länder über Syrien in den Irak einsickerten. Zudem unterstützt Syrien seit Jahrzehnten die palästinensische Terrororganisation Hisbollah. Nun soll in einem Aufwasch sozusagen mittels einer internationalen Mordanklage der syrischen Diktatur entweder ein Ende bereitet oder zumindest eine drastische Veränderung in Damaskus herbeigeführt werden.

Dieser plötzliche internationale Druck hat eine Gruppe von syrischen Oppositionellen ermutigt, am 16. Oktober eine bemerkenswerte Stellungnahme abzugeben. In der so genannten "Damaskus-Erklärung" wird zunächst aufgezählt, welches Unrecht die Diktatur der Assad-Familie seit 1963 über das Land gebracht hat. Außerdem habe sie die Nation innerhalb der arabischen Welt in eine Isolation getrieben. Deshalb ruft die Oppositionsgruppe aus syrischen Kurden, Sunniten und den Moslembrüdern dazu auf, den Wandel in Syrien selbst herbeizuführen. Ohne sie beim Wort zu nennen, wird indes zwischen den Zeilen deutlich darauf verwiesen, dass eine Einmischung der 130.000 im nachbarlichen Irak stationierten US-Marines unerwünscht sei. Die Unterzeichner der "Erklärung von Damaskus" verweisen vielmehr deutlich darauf, dass sie dazu bereit seien, alles zu riskieren, um den Wandel von der Diktatur zur Demokratie selbst herbeizuführen. Klar bekennen sie sich in dem Papier zur "Annahme der Demokratie als modernes Staatssystem mit ihren universalgültigen Werten". Syrien müsse ein "Hort der Freiheit und Demokratie werden".

Das sind in der arabischen Welt völlig neue, ungehörte Worte. Deshalb verwundert es nicht, dass nationalistisch-arabisch gesinnte Medien - und das ist die Mehrheit in der Region - völlig andere Töne anschlagen. Allen voran der Bin-Laden freundliche TV-Sender Al-Dschasira: Er verbreitet, wie auch auf seinen englischsprachigen Internetseiten nachzulesen ist, Meinungen und Berichte, die die Integrität des UN-Ermittlers Detelf Mehlis in Frage stellen. Vor allem aber wirft Al-Dschasira den USA vor, aus Frustration über die anhaltenden Aufstände im Irak, Syrien bestrafen zu wollen. Der syrischstämmige Büroleiter von Al-Dschasira in Deutschland, Aktham Suleiman, sagt zum Beispiel: "Diese Art Demokratie, wie sie die USA im Irak einführen, wollen wir nicht." Andere führende arabische Medien, wie die in London erscheinende Tageszeitung "Al-Quds al-Arabi", gehen auf die Demokratisierung des Nahen Ostens überhaupt nicht ein. Vielmehr wird in altbekannter Weise (die nie vorhandene) arabische Einigkeit beschworen und der syrische Diktator in Schutz genommen: "Baschar al-Assad und seine Genossen können den Forderungen von Bush gar nicht gehorchen - täten sie es, würden sie die politische Legitimität bei der großen Mehrheit der syrischen Bevölkerung verlieren, denn diese Bevölkerung ist in ihrer Mehrheit patriotisch und national gesinnt und sunnitischen Glaubens.

Kurz gesagt: Assad weigert sich, einen nationalen Selbstmord zu begehen, nur weil er damit Bush und seinen Anhängern unter den "zionistischen" Arabern und Nichtarabern einen Gefallen täte, schreibt Al-Quds al-Arabi.

Während in vielen arabischen Medien verbreitet wird, "die große Mehrheit des syrischen Volkes" stünde hinter Assad, wird die Stimme der Opposition verschwiegen. Kein Wort auch über die politischen Gefangenen, von denen noch nicht einmal Amnesty International weiß, wie viele von ihnen in syrischen Kerkern schmachten. Außerdem bringt Al-Quds al-Arabi das zum Ausdruck, was die breite Öffentlichkeit in der ganzen arabischen Welt denkt: "Es sieht so aus, als würde Washington mit Syrien so verfahren wie mit dem Irak am Vorabend des Krieges. Über einen Sicherheitsratsbeschluss wird das Land zur Kooperation mit dem Untersuchungsausschuss aufgefordert und soll zugeben, dass hochrangige syrische Offizielle bei der Planung und Durchführung der Ermordung Hariris mitgewirkt haben. Tatsächlich aber glauben die Stützen des syrischen Systems ohnehin nicht, dass irgendein Entgegenkommen Amerika zufrieden stellen könnte. Denn der Beschluss, das System auf die eine oder andere Weise zu stürzen, ist in Washington bereits gefallen."

Deshalb plädieren die arabischen Zeitungsmacher von London aus für Konfrontation: "Wenn der Sturz schon unvermeidlich ist, dann ist es besser, Amerika und Israel patriotisch und würdevoll gegenüberzutreten, als ihrem politischen und wirtschaftlichen Druck schuldbewusst und gebückt zu weichen."

Kein Wunder, dass bei solcher Stimmungslage Syriens Nachbarn - die sehr traditionell orientierten Königtümer Saudi-Arabien und Jordanien sowie die Emirate am Golf - zunehmend nervös reagieren. Während sie dem sozialistisch-nationalistischen Regime in Damaskus nie freundliche Regungen entgegengebracht haben, drängen nun hinter der diplomatischen Bühne einige arabische Staaten aus Angst um ihre eigene Macht Syrien dazu, mit den Vereinten Nationen zusammenzuarbeiten.

Der Druck aus dieser Ecke dürfte mindestens so bedeutend sein wie der Wink der USA mit den Marines. Es ist interessant zu beobachten, dass sich - im Gegensatz zu den Scharfmachern in den arabischen Medien - bisher kein arabischer Führer öffentlich zur Verteidigung Syriens zu Wort gemeldet hat. Im Gegenteil: "Wir sprechen bei der Resolution 1636 von der Entscheidung einer international legitimierten Einrichtung, und deren Entscheidung hat von allen respektiert zu werden", zitierte eine Nachrichtenagentur in Kuweit Anfang November den kuweitischen Außenminister, Scheich Mohammed Al Sabah.

Die kuweitische Stellungnahme gibt offenbar die Haltung von Marokko bis Medina wieder. Aus Kairo ist indes zu erfahren, dass die ägyptische Regierung versucht, sowohl Assad zum Einlenken zu bringen als auch mäßigend auf Washington einzuwirken. Der ägyptische Präsident Mubarak, selbst nicht unbedingt sattelfest im Amt, da er ein wesentlicher Verbündeter der Amerikaner in der Region ist, hat Washington mehrfach gewarnt, den Syrer Assad allzuweit in die Enge zu treiben, da sein Sturz islamistischen Fundamentalisten in die Hände spielen würde. Doch die syrische Opposition der "Erklärung von Damaskus" sieht diese Bedenken nicht. Und wahrscheinlich hat sie Recht.

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