Bert Schulz
"Fast schon ein Ideologieersatz"
Reform - vom Bedeutungswandel eines Begriffs
Das erste Reformhaus in Deutschland, 1900 in Wuppertal eröffnet, warb mit dem Namen "Jungbrunnen". Bis heute bietet es seine Waren feil. Nun meint, wer vom Reformhaus spricht, nicht den Deutschen Bundestag - zum Bedauern so mancher Politiker. Schließlich wäre es unbestreitbar angenehm, wenn das Parlament von den Wählern als ein steter Jungbrunnen politischer Ideen angesehen würde. Darüber hinaus wäre es äußerst praktisch, wenn sich die Bürger einfach die von der Politik mit Liebe und Sorgfalt zusammengestellten Reformen aus den Regalen zusammensuchen und mit nach Hause nehmen würden. ...
Barbara Dribbusch
Das soziale Risiko des Jobverlustes wird privatisiert
Beschäftigungspolitik in Deutschland nach Hartz II und
III
Wer heute zurückblickt auf den Zustand der Arbeitslosenversicherung in der alten Bundesrepublik, dem müssen die früheren Zeiten fast paradiesisch erscheinen. In den 60er-Jahren lag der Beitragssatz bei 1,3 Prozent, die Arbeitsämter hatten trotzdem immer noch Geld übrig. Denn ihre Zielgruppe war klein: In der Bundesrepublik Deutschland herrschte praktisch Vollbeschäftigung. Bundesarbeitsminister Hans Katzer (CDU) bemängelte Ende der 60er-Jahre gar, die Bundesanstalt für Arbeit müsse weg vom ,,bloßen Anhäufen sowie der kommerziellen Anlage von Milliardenbeträgen" hin zu einem "produktiven Einsatz der Mittel zur Schaffung und Umstrukturierung von Arbeitsplätzen". ...
Eva Haacke
Erfolge und Fehlschläge auf der "größten
Baustelle"
Simone Helm (35) ist hochzufrieden. Um sie herum toben acht Kleinkinder und veranstalten einen Höllen-lärm. Die gelernte Erzieherin hat zusammen mit ihrer Kollegin Jacqueline Grundt (30) zwei Ich-AGs zur Kinderbetreuung auf dem Prenzlauer Berg in Berlin gegründet. Beide waren zuvor arbeitslos. Ihr "Lummerland" trifft in eine ideale Marktlücke: Denn in dem Bezirk liegt die Geburtenrate 20 Prozent höher als im Rest der Stadt, und die beiden machen den städtischen Kindertagesstätten mit deutlich niedrigeren Preisen Konkurrenz. "Für uns ist das ein Ausweg aus der Arbeitslosigkeit und gleichzeitig eine Übergangslösung, bis wir Fördergelder für die Gründung eines richtigen Kinderladens bekommen", berichtet Simone Helm. ...
Claudia Heine
Erhebliche Kratzer im Aufbruch-Image
Der größte Betreiber von
Personal-Service-Agenturen musste Insolvenz beantragen
Personal-Service-Agentur (PSA). Wer denkt da schon an Arbeitslose, noch dazu an solche, die als schwer vermittelbar in den Karteien der Bundesagentur für Arbeit vermerkt sind? Wer denkt da schon an Leiharbeit von kurzer Dauer? Der Begriff klingt modern und optimistisch und macht Langzeitarbeitslose ...
Karl-Otto Sattler
"Wir wechseln nicht nur das Namensschild aus"
Hartz III und die Zukunft der Arbeitsagenturen
Medienkarrieren gehören eigentlich nicht zum gängigen Berufsbild derer, die in den Zimmern der Arbeitsämter Dienst tun. Doch keine Regel ohne Ausnahme. Zu Shooting-Stars auf Bildern und in Artikeln zahlreicher Zeitungen sind inzwischen jene Damen avanciert, die im Empfangsraum eines Betonbaus mit wenig aufregendem Outfit in der schwäbischen Provinz die Ankommenden lächelnd begrüßen und freundlich ihre hilfreichen Dienste anbieten: Im Internet surfen? Hier stehen die Computer. Kurze Fragen zu Formularen? Rufen Sie doch von diesem Telefon aus einfach im Servicecenter an. Ihr Antrag ist etwas komplizierter? Da geht es zu den Info-Tischen mit Personal im ersten Stock. Ein intensiveres Beratungsgespräch ist nötig? Da müssen wir erst einen Termin für die nächsten Tage vereinbaren. ...
Bert Schulz
Raus aus der Schublade, rein die Schublade
Alle Jahre wieder: Streit um eine
Ausbildungsplatzabgabe
Aus dem undurchsichtigen Dickicht der Reformdebatte ragt die Diskussion über eine mögliche, und inzwischen wieder wahrscheinlicher gewordene Ausbildungsplatzabgabe deutlich heraus. Während viele andere Maßnahmen zum Umbau des Sozialstaates wie ein kompliziertes Konstrukt aus Anreizen und Zwängen, Einschränkungen und Umverteilungen wirken, besticht dieses Instrument durch eine geradezu simple Struktur und erhoffte Wirkung: Die Politik drängt und sanktioniert, die Wirtschaft reagiert. ...
Constanze Hacke
Schwarz oder für 400 Euro: Putzen, waschen,
bügeln
Mini-Jobs: Immer mehr Arbeitnehmer gehen einer
Nebenbeschäftigung nach
Mit der Debatte um das neue Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit rückt auch der Mini-Job wieder in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Vor knapp einem Jahr, im April 2003, wurden die 400-Euro-Jobs auf Vorschlag der Hartz-Kommission neu geregelt. Motiv war dabei nicht nur, die ...
K. Rüdiger Durth
Die Stunde der Gesellen
Die neue Handwerksordnung
"Meister wissen wie's geht." Unter diesem Motto hat das Handwerk eine Kampagne ins Leben gerufen, um für ihre Produkte und Dienstleistungen zu werben. Denn die am 1. Januar 2004 in Kraft getretene neue Handwerksordnung (HwO) liegt dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) schwer im ...
Volker Müller
Nur wenig mehr Luft zum Atmen
Von der Gemeindefinanzreform blieb nur ein
Reförmchen
Als der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat Ende vergangenen Jahres sein Paket zu den Agenda-2010-Gesetzen geschnürt hatte, da befand sich, eingewoben in dieses Reformknäuel, auch die Gemeindefinanzreform darunter. Von der seit Jahren angekündigten und von einer eigens dafür eingerichteten Kommission vorbereiteten Neukonzeption kann man rückblickend sagen, dass sie als Tiger sprang und als Bettvorleger landete. Aus der Reform wurde ein Reförmchen, statt einer Umgestaltung wurde wieder einmal nur an den Stellschrauben gedreht. ...
Constanze Hacke
Ein Weihnachtsgeschenk, das den Konsum ankurbeln soll
Erst verschoben, dann vorgezogen - die
Steuerreform
Ein zusätzliches Weihnachtsgeschenk sollte es sein: Bis in die letzten Dezember-Tage saßen Vertreter der rot-grünen Bundesregierung mit Oppositionspolitikern zusammen und verhandelten über ein Steuerreformpaket. Mit dem teilweisen Vorziehen der letzten Stufe der Steuerreform sollte die Wirtschaft in Deutschland wieder angeschoben werden. Was nun nach zähen Verhandlungen im Vermittlungsausschuss am 1. Januar 2004 in Kraft getreten ist, war dem Grunde nach schon seit gut vier Jahren beschlossene Sache: Denn am 6. Juli 2000 verabschiedete der Bundestag eine Steuerreform auf Raten, die drei einzelnen Stufen sollten jeweils im Zweijahres-Abstand Steuerrealität werden. ...
Alexander von Gersdorff
Die Suche nach dem sicher finanzierten Lebensabend
Auf die Rentner kommen neue Belastungen zu - und alle
müssen länger arbeiten
Kürzlich lautete eine Zeitungs-Schlagzeile, in diesem Herbst seien die Rentenauszahlungen gefährdet. In der Kasse der gesetzlichen Rentenversicherung klaffe dann eine Zahlungslücke von 700 bis 800 Millionen Euro. Umgehend erklärten die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) und der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR), die Liquidität der Rentenversicherung sei zu allen Zeitpunkten gesichert, auch im Herbst. Während die BfA hervorhob, die Einnahmen hätten Ende vergangenen Jahres sogar 900 Millionen Euro höher gelegen als erwartet, erinnerte der VDR daran, dass die Renten ohnehin stets sicher seien, da im Falle eines "Renten-Lochs" der Bund einspringe. Das Eintreten dieses Ereignisses wiederum wurde vom Bundessozialministerium als unwahrscheinlich bezeichnet. ...
Ulrike Baureithel
Der Pflegefall Pflegekasse
Eine Reform zwischen Handlungsbedarf und
Kleinmut
Kommt sie nun oder kommt sie nicht, die Reform der Pflegeversicherung? Nachdem Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), begleitet von viel rhetorischer Katzenmusik, die Gesundheitsreform vergangenes Jahr über die Bühne gebracht hatte, galten ihre Anstrengungen der Pflegeversicherung, für die sie bis zum Frühjahr einen Gesetzentwurf an die Öffentlichkeit bringen wollte. Der erste Referentenentwurf wurde bereits im Januar erwartet, doch dann kam alles ganz anders: Des Kanzlers "Machtwort" stoppte das gesamte Unternehmen. Dieser wollte Partei und Fußvolk nämlich nicht noch einmal beuteln und erklärte die "Grenze der Belastbarkeit" erreicht. ...
Rainer Büscher
Zerrieben zwischen allen Fronten
Gesundheitsreform: Ihr größtes Problem ist die
fehlende Akzeptanz
Über die Gesundheitsreform war in letzter Zeit viel zu hören, doch das war neu: Da lobte jemand die Anstrengungen um Veränderungen, und alle im Saal spitzten die Ohren. Mit einem beeindruckenden Konsens der politischen Entscheidungsträger sei das Reformpaket zustandegekommen, staunte ein ...
Götz Hausding
Die richtige Antwort auf die deutsche Bildungsmisere?
Die Bundesregierung setzt auf die
Ganztagsschule
Warum steht der Schiefe Turm von Pisa schief? Nein, es war nicht die Flut falscher Antworten auf diese Frage, die deutsche Bildungspolitiker zum Ende des Jahres 2001 in Aufruhr versetzte. Es waren vielmehr die Ergebnisse der PISA-Studie (Programme for International Student Assessment), die im ...
Konrad Adam
Keiner darf verloren gehen
Bildungsreformen in Deutschland
Ausgangspunkt aller Bemühungen um eine Neueinrichtung des Bildungswesens war und ist das beschämende Abschneiden deutscher Schüler beim Program for International Students Assessment, PISA genannt, im Herbst des Jahres 2001. Die Wirkung dieser Botschaft wird als Schock bezeichnet, zu Unrecht allerdings, da der Schock ja ein harter und unerbittlicher Lehrmeister ist. Wer eine schockartige Erfahrung macht, der muss, bei Strafe eines zweiten Schocks, der dann noch härter zuschlägt als der erste, sein Leben ändern. Doch davon, von der Bereitschaft und Entschlossenheit, die Schule besser zu gestalten, kann in Deutschland bis heute keine Rede sein. ...