Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 49 / 29.11.2004
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Josef-Thomas Göller

Condy Rice wird Bushs Kissinger

Der US-Präsident wird nach der Kabinettsumbildung wohl doch neue Akzente setzen
George W. Bush räumt auf. Nach seinem deutlichen Wahlsieg verlor der amerikanische Präsident keine Zeit, für seine künftige Politik zahlreiche neue Weichen zu stellen. Eine Rücktrittsflut im Bush-Kabinett setzte bereits mit Justizminister Ashcrofts Ausscheiden nach dem 2. November, dem Wahltag, ein. Präsident Bush wird also nicht so weiter regieren wie bisher. Grundsätzlich ist dies ein gutes Zeichen - "at home and abroad", zu Hause und für das Ausland. Allerdings entstehen wieder neue Unwägbarkeiten, auf die sich vor allem die Außenwelt einstellen muss.

Die wichtigste Neustrukturierung erfolgte in der Außenpolitik. Der bisherige Außenminister Colin Powell geht. Keine Überraschung. Überraschend war vielmehr, dass der Ex-General überhaupt so lange Chef-Diplomat der Vereinigten Staaten blieb, lag er doch seit mindestens drei der vergangenen vier Jahre nicht auf der Linie des Präsidenten. Dennoch: Er hatte es geschafft, sein eigenes Profil zu finden, das des "getreuen Ekkehard". Sein Image war im Laufe der Zeit aus der Sicht des Weißen Hauses so stark "beschädigt", dass man im Ausland Mitleid mit ihm hatte. Mit einem derartigen Image aber ist keine überzeugede Politik zu machen. Zwar hat niemand in Washington den sanften Powell aufgefordert zu gehen. Als er seinen Rücktritt anbot, hat ihn aber auch niemand gebeten zu bleiben. Eines ist klar: Es war an der Zeit, das amerikanische Außenministerium wieder auf die eigentliche Regierungspolitik einzuschwören; Außenminister haben immer und in jedem Land die Tendenz, sich zu verselbständigen. Wenn die Differenz zum Regierungschef so groß wird, wie im Falle Powells zu Bush, müssen fairerweise Konsequenzen gezogen werden. Ab Mitte Januar wird also Condoleezza Rice die Nachfolge im Department of State antreten.

Wer glaubt, dass die Chef-Denkerin des Weißen Hauses damit ein Stück entmachtet wird, irrt sich. Die Rolle der bisherigen Sicherheitsberaterin wird vielmehr aufgewertet. Wie einst Henry Kissinger, der unter Präsident Nixon vom Sicherheitsberater zum Außenminister aufstieg, so wird auch die smarte Condy Rice nun der amerikanischen Außenpolitik zu neuer Power verhelfen. Noch in seinen letzten Amtswochen zeigt Powell die neue Richtung auf: Seine erste Reise nach der Präsidentenwahl führte ihn in den Nahen Osten. Dort wird künftig der Schwerpunkt von Frau Rice liegen. Der Tod Arafats hat den Weg für eine echte neue Nahost-Initiative der Amerikaner frei gemacht. Die USA waren ja seit Jahren nicht mehr bereit, mit dem Palästinenser-Chef zu reden. Kaum war er gestorben, hat Bush erneut verkündet, die Palästinenser brauchten einen eigenen Staat. Von vielen übersehen worden ist, dass er der erste amerikanische Präsident ist, der stets öffentlich auf das Recht der Palästinenser pochte, in einem Staat zu leben, "der über ein zusammenhängendes Gebiet" verfügt. Sehr zum Missfallen der derzeitigen israelischen Regierung unter dem Hardliner Sharon.

Auch wenn dies in Washington in den vergangenen vier Jahren nie zugegeben worden ist, hat die Bush-Regierung längst erkannt, dass die Stabilisierung des Iraks als freier Staat viel besser gelingen kann, wenn den islamistischen Terroristen in den Augen der Araber das Argument entzogen werden kann, die USA seien einseitig pro Israel und anti-arabisch.

Bush hat nun vier Jahre Zeit, jenen Traum zu verwirklichen, der Bill Clinton durch die Alles-oder-Nichts-Politik Arafats versagt blieb: nach 60 Jahren Frieden zu schaffen zwischen Israelis und Palästinensern. Die Chancen hierfür sind zumindest zum derzeitigen Zeitpunkt besser denn je. Denn auch Syrien, das bisher eine unsägliche Rolle im Nahost-Konflikt als Basis und Unterstützer der Hamas-Terroristen spielte, fühlt den Druck der Amerikaner wie nie zuvor. Seit dem Sturz Saddam Husseins sind die Amerikaner mit ihren 130.000 Soldaten gewissermaßen Nachbarn Syriens. Das beinhaltet, richtig angepackt, auch für die Syrer eine Chance - nämlich auf die Zurückgewinnung zumindest des größeren Teils der von Israel besetzten Golan-Höhen.

Das Jahr 2005 wird zeigen, ob der seit sechs Jahrzehnten die Welt in Atem haltende Nahostkonflikt endlich beendet werden kann. Der Wille dazu ist seitens der USA wieder so groß wie zum Ende der Amtszeit Clintons. Und Condoleezza Rice fällt neben Präsident Bush dafür eine Schlüsselrolle zu. Wir werden eine Reisediplomatie der künftigen Außenministerin erleben, wie sie einst nur Henry Kissinger fähig war auszuüben. Inscha'allah!

Einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen der neuen Nahost-Initiative der Amerikaner wird außerdem der Auslandsgeheimdienst CIA leisten müssen. Sein Versagen, die amerikanische Welt über die arabische Welt richtig aufzukären, zeigte sich nicht nur im Vorfeld der Terroranschläge vom 11. September 2001, sondern erneut vor der anglo-amerikanischen Invasion des Iraks. Daraus hat Bush bereits im Sommer Konsequenzen gezogen und den CIA-Chef George Tenet im Juni 2004 zum Rücktritt veranlasst. Der von ihm interimsmäßig eingesetzte republikanische Congressman Porter Goss, früher selbst CIA-Agent, wurde kürzlich offiziell zum neuen Direktor der Agency bestellt. Goss hat umgehend eine personelle Umstrukturierung der CIA durchgeführt, die an sowjetische Säuberungen des KGB erinnert. Er feuerte zwei Top-Abteilungsleiter: den stellvertretenden CIA-Direktor John McLaughlin und Michael Scheuer, der hauptsächlich zuständig für die Jagd nach Bin Laden war. Weitere umfangreiche personelle Veränderungen werden erwartet.

Goss will mit der CIA den "War on Terror" für "Frieden und Freiheit in der Welt" aggressiver führen und natürlich endlich des Erz-Terroristen Bin Laden habhaft werden. Michael Scheuer galt innerhalb des amerikanischen Nachrichtendienstes als Defätist, veröffentlichte er doch Anfang des Jahres das Buch "Imperial Hybris", in dem er das Vorgehen der USA gegen Islamisten heftig kritisierte.

Selbst der einstige Gegner von George Bush, der namhafte republikanische Senator John McCain, lobte die Säuberungsaktion. Er bezeichnete die CIA als "schwerfällig und illoyal" gegenüber dem Präsidenten. Schützenhilfe kam auch von Senator Lindsey Graham, der der CIA vorwarf, dem Land mit falschen Informationen über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak "schwer geschadet" zu haben. Für das Irak-Desaster ist also nun ein Sündenbock gefunden worden, der nicht in der Nähe des Präsidenten zu suchen ist.

Jener Mann allerdings, der tatsächlich für den "Irrtum" verantwortlich ist, der bisherige stellvertretende Sicherheitsberater Stephen Hadley, wird nun Nachfolger von Condoleezza Rice. Hadley nämlich war es, der angeblich gegen den Rat des damaligen CIA-Direktors Tenet dem Präsidenten mehrfach in seine Reden schrieb, der Irak habe versucht, Uran aus Nigeria zu kaufen - und den USA lägen darüber Beweise vor. Wie sich wenige Monate nach der Invasion herausstellte, entbehrte diese "Information" jeder Grundlage. Warum also bleibt Hadley und wird sogar noch befördert? Weil er damals Bush jenes Argument lieferte, wonach der Präsident offenbar gedürstet hatte und weil Bush stets mehr die Loyalität seiner Mitarbeiter schätzt als kritische analytische Fähigkeiten. Das ist und bleibt eine der großen Schwächen des Präsidenten George W. Bush!

Seine zweite Amtszeit wird allerdings im Großen und Ganzen davon gekennzeichnet sein, dass er einen ernsthaften Versuch unternehmen wird, auf die Weltgemeinschaft zuzugehen. Bush braucht für eine Beruhigung der Lage und einen dauerhaften Erfolg im Irak die Vereinten Nationen. Sprich: Gebraucht wird eine substanzielle Zahl von Peace-Keepern namhafter Staaten wie Russland, Frankreich und Deutschland - die eigentlichen Gegner der anglo-amerikanischen Irak-Invasion. Russland ist gewissermaßen schon weichgeklopft. Aufgrund der anhaltenden Terroranschläge tschetschenischer Islamisten hat sich Moskau der Bush-Regierung beträchtlich angenähert. Zwar dürfte die Entsendung von russischen Friedenshütern in den Irak auszuschließen sein. Womit Bush allerdings rechnen kann, ist, dass Moskau kein erneutes "Njet" zu einer UN-Resolution aussprechen wird, die zur Unterstützung des Iraks auffordert. Eine solche Resolution des UN-Sicherheitsrates ist für 2005 zu erwarten. Die amerikanische Regierung wird bei den Vereinten Nationen für eine in ihrem Interesse "geeignete" Internationalisierung der Friedenssicherung im Irak werben.

Dafür ist auch die Unterstützung Deutschlands - obwohl keine Veto-Macht - immer wieder im Gespräch. Wer sonst als das reiche Deutschland ist in der Lage, substanzielle Aufbauhilfe und Friedenssicherung zu leisten? Aus diplomatischen Kreisen der USA war zu erfahren, dass Präsident Bush nach seiner erneuten Amtseinführung am 21. Januar 2005 deshalb nach Europa, respektive Berlin reisen wird, um erneut den Versuch zu unternehmen, Kanzler Schröder zu einer Zusammenarbeit zu bewegen. Über Schröder sollen dann möglicherweise auch die Franzosen umgestimmt werden. Reines Diplomaten-Gerücht?

Auch für Innenpolitik hat sich der Präsident vorgenommen, neue Wege zu gehen und lange Vernachlässigtes endlich anzupacken. Dafür mussten drei Minister gehen: die für Landwirtschaft, für Energie und für Bildung. Gerade sein hehres Bildungsziel "leave no child behind" (kein Kind soll in der Schulbildung zurückbleiben), mit dem er im Jahr 2000 antrat, ist weit davon entfernt, Realität zu werden. Obwohl die USA in der PISA-Studie der OECD sieben Plätze vor Deutschland liegen - hauptsächlich aufgrund von privaten Eliteschulen - gibt es in den sozialschwachen Teilen der Großstädte einen Bildungsnotstand, der mit Ländern der Dritten Welt vergleichbar ist. Bushs zweite Amtszeit muss dringend stärker von der Innenpolitik geprägt werden, zum Wohle der USA - und der Welt.

Vielleicht kann der Rücktritt des bisherigen Justizministers, des erzkonservativen und tiefgläubigen Christen Ashcroft, als ein Zeichen dafür gewertet werden, dass Bush innenpolitisch einen weicheren Kurs fahren will als bisher. Bei der Stammzellenforschung - die Verwendung von abgetriebenen Embryonen zu Forschungs- und Entwicklungszwecken - hat sich die Bush-Regierung dagegen ausgesprochen. Aber der politische Druck seitens mächtiger Interessengruppen für die Erforschung bestimmter Krankheiten, wie zum Beispiel Parkinson und Amyotrphic Lateral Sclerosis (ALS), und auch der Befürworter der In-vitro-Befruchtung, wächst gewaltig. Der betont religiöse Präsident wird da zum Beispiel im Time-Magazine von einer Frau aus Illinois gefragt: "Denjenigen, die Gott in diese Diskussion einbringen, möchte ich sagen: Wurde uns nicht gelehrt, dass alle diese Dinge in dieser Welt von Gott kommen, also auch die Stammzellenforschung?" "In God we trust - wir vertrauen auf Gott", heißt seit 200 Jahren das Motto der USA!


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.